20. Mai 2012

Lettische Flaggen für die Bundesliga

Einmal der erste sein reicht noch nicht!
Wer dieser Tage nach "Artjoms" sucht, weiß was gemeint ist - ein in Deutschland bisher eher seltener Vorname. Wenn schon kaum jemand über die Arbeitsemigration der Arbeiterschaft Lettlands nach Westeuropa redet, dann doch über diejenige der Künstler und Sportler. Artjoms Rudņevs, 24 Jahre alt, bekommt als erster lettischer Fußballspieler einen Vertrag in der deutschen Bundesliga und soll in der kommenden Saison helfen, den Hamburger SV wieder nach oben zu bringen.

Nicht selbstverständlich, dass ein Fußballspieler aus Lettland in Deutschland mit gespannter Erwartung empfangen wird. Liegt es nur an der schlechten Saison der Hamburger, die gerade abgeschlossen ist? Oder liegt es daran, dass über Rudņevs kaum etwas anderes als die allgemeinen Fußballerstatistiken bekannt sind? Rudņevs kommt von Lech Poznań (Posen) und wurde dort in der abgelaufenen Saison mit 22 Treffern erfolgreichster Torjäger. Hoffnungen erzeugt das auch deshalb, da nur zwei Jahre vorher ein gewisser Robert Lewandowski Torjäger in Poznań war und inzwischen als einer der Leistungsträger beim zweifachen deutschen Meister Borussia Dortmund aufläuft. Nun hoffen die HSV-Fans auf Ähnliches.
Ein Foto fürs "Vorher-Nachher"-Archiv:
HSV freut sich auf einen Letten

Vorschußlorbeeren
Der Spruch klingt wie eine Erwartung deutscher Tugenden: "Ich bin bereit für harte Arbeit" zitiert der HSV den Neuzugang auf der vereinseigenen Webseite. Das klingt ähnlich wie Rudnevs Aussagen, die von der lettischen Zeitschrift "IR" gesammelt wurden, nachdem Rudnevs senationell drei Tore im Spiel seines polnischen Clubs gegen Juventus Turin gesammelt hatte: "Hobbys? Nein. Ich habe den Fußball." Und ein grundsolides Leben scheint der in Daugavpils geborene Stürmer zu bevorzugen: Vater Jurijs arbeitet als Bauarbeiter, Mutter Žanna als Köchin. Und auch die eigene Familie ist bereits gegründet: mit seiner Frau Santa hat Rudnevs eine Tochter (Arina). Angewohnheit: nach jedem Tor einen Kuss auf den Ehering. 2010 sagte er noch in einem Interview, das wesentliche was ihm in Polen fehle sei seine Frau. Also Achtung, HSV-Funktionäre: hier muss eine Familie versorgt werden.

Schwieriger wird es bei Fragen nach "sonstigen Hobbys". Artjoms häufigste Antwort: "Mein Hobby ist Fußball. Sonst nichts." Welches Buch er zuletzt gelesen habe, fragte ihn einst das Magazin "IR". Antwort: "Ein romantisches. Den Titel habe ich vergessen." Ein typischer Fußballer offenbar.

Ich bin Lette
Den HSV-Fans kündigt Rudnevs an, künftigt - im Gegensatz zu Polen - die lettische Version seines Nachnamens auf dem Trikot tragen zu wollen: Rudnevs. Andererseits nannte er in fast allen bisherigen Interviews eher Namen aus der englischen oder spanischen Liga, wenn er nach Lieblingsklubs gefragt wurde (auffällig oft: Arsenal London). Gegenüber der Hamburger Presse beeilt er sich nun zu betonen, wie gut der Ruf der deutschen Bundesliga und auch des Hamburger SV sei. Aber in den vergangenen Wochen musste er dann auch mitzittern: der in Aussicht gestellte Vertrag galt nur für die 1.Bundesliga. "Ich will hier international spielen" zitiert das Abendblatt den Neuen, andere Schlagzeilen stehen dem in nichts nach - obwohl Rudnevs als Stürmer der lettischen Nationalmannschaft bisher noch viele Wünsche offen ließ: "Dieser Tor-Lette ist besser als Olic" (Bild), "Hamburgs neue Sturm-Perle" (Mopo), "ein echter Knipser" (Kicker). Da bleibt ihm nur zu wünschen, dass die angebliche Herleitung seines Vornamens (aus dem Griechischen = unverletzbar) ebenfalls ein gutes Omen ist.

Ich bin Russe
Eines der seltenen längeren Interviews, in dem auch ein paar private Fragen gestellt wurden, war vor einem Jahr in der lettischen Zeitschrift "Klubs" zu lesen (vollständiger Text hier). Auch hier waren seine drei sensationellen Tore gegen Juventus Turin der Auslöser, und die Journalisten warteten geduldig mehrere Monate auf einen Gesprächstermin. Bescheiden ordnete sich Artjoms damals noch hinter den bisher bekannteren lettischen Stürmerkollegen ein: Māris Verpakovskis (bekannt durch seine 6 Tore in 10 Spielen der EURO 2004) und Marians Pahars (erfolgreich beim FC Southhampton in England, inzwischen Trainer bei Skonto Riga). "Ich bin Russe" zitiert "Klubs" Rudnevs in der Überschrift des Artikels, und fragt auch zur Bekreuzigungs-Geste des Star-Stürmers nach. "Ja, ich bin gläubig," antwortet Rudnevs und bekennt sich zum orthodoxen Christentum. Besonders seit er im Ausland spiele, danke er öfters Gott für das Erreichte. "Wenn ich daheim in Daugavpils bin, gehen wir auch zur Kirche. Auch in Polen bin ich ein paarmal hingegangen, habe mich einfach auf eine Bank gesetzt und über das Leben nachgedacht."

Und auch ein Hochzeitsfoto ließ er "Klubs" zum Abdruck freigeben. Ein Foto, dass immer neben seinem Bett steht, sagt Artjoms - auch in Polen. Es seien ja auch Muslime und viele polnische Katholiken in Poznań im Team gewesen. Am besten habe er sich mit einem Weißrussen im Team verstanden, zusammen habe man Russisch reden können. Vor jedem Spiel habe ein Priester den Segen gespendet, alle Spieler im Halbkreis. "Das stärkt den Teamgeist, nicht nur physisch, sondern auch geistig" meint Rudnevs, der sich aber vermutlich beim HSV dann mit anderen Teambildungsmaßnahmen anfreunden muss. Ob nun Russe oder Lette ("ich habe nicht viel Gelegenheit Lettisch zu reden, aber habe auch schon etwas Polnisch gelernt", sagte Rudnevs einst "IR"): wenn der erste Stürmerstar aus Lettland in Deutschland erfolgreich sein will, wird man wohl bald viel mehr von ihm hören und lesen können.

Die Hamburger Medien sind vermutlich gnadenlos. Hamburger Fußballfans werden sich vielleicht noch an den ersten "Balten" in der Bundeslige erinnern: Valdas Ivanauskas. Dessen Diskussionen mit seiner Frau Beatrix wurden am Ende fast bekannter als seine 13 Tore in 4 Jahren HSV: als Ivanauskas nach Wolfsburg wechseln wollte, soll seine Frau gesagt haben: "hier kann ich nicht leben." Unter Tränen überzeugte sie ihren Mann, Ivanauskas rettete seine Ehe und ging zurück wieder nach Österreich, wo er auch vorher schon erfolgreich gewesen war. Auch sein nur dreimonatiges Gastspiel als Trainer beim damaligen Zweitligisten Carl Zeiss Jena hinterläßt vermutlich wenig positive Erinnerungen. Also hoffen wir einfach mal, es möge bei Artjoms Rudnevs, dem "Unverletzlichen", besser sein.

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