22. Januar 2016

Mr K. im Einsatz: man lebt nur zweimal!

Wer ist Māris Kučinskis? Kurz gesagt: geboren am 28. November 1961 in Valmiera, verheiratet mit Laine Kučinska, bis Dezember 2015 in der Staatskanzlei zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Zwei Söhne, Edgars (aus erster Ehe) und Gints.Sprachkenntnisse Englisch, Russisch und Deutsch ("aus Schulzeiten", wie er selbst sagt, fürs internationale politische Geschäft nutzt er momentan noch Übersetzer/innen).

Provinzler mit Ambitionen
Die politischen Wege und die Einnahmequellen Kučinskis zu erklären, ist eine etwas komliziertere Aufgabe und hängt mit seinem Werdegang zusammen. Bevor er 1994 als Stadtratsabgeordneter in Valmiera seine politische Karriere begann, hatte er nach Absolvierung von Grund- und Mittelschule an der Lettischen Universität eine Ausbildung als "Economist" gemacht - was das genauer bedeutet, darüber schweigt der Lebenslauf. Abschlußjahr 1988. Nach kleinen Jobs bei der Kreisverwaltung Valmiera und als Buchhalter bei einer Firma für Holzverarbeitung gründete Kučinskis in den 1990iger Jahren seine erste Firma, die "SIA Apgāds" (SIA = lettische GmbH), die sich im Handel mit Metallen, Farben und Glas betätigte. Eigentümer war anfangs sogar teilweise die Kreisverwaltung, später stieg zeitweise ein Investor aus Italien ein ("Idro Erre" aus Turin). Zunächst lag der Umsatz auch bei mehr als einer Millionen Euro (Lursoft), ab 2002 sank der Umsatz rapide. Zum Zeitpunkt, als die Firma 2004 dann Konkurs anmelden musste, besaß Kučinskis schon keine Anteile mehr daran.
Zwischen 1996 und 1998 war Kučinskis auch noch an einer weiteren Firma beteiligt, der "SIA Bergsons", später wurde der Architekt Gatis Bergsons einziger Anteilhaber. 1999 bis 2000 betätigte war Kučinskis Name dann auch in Verbindung mit dem Energieversorger Valmieras, der "SIA Enerģija", zu lesen, dann auch als Bevollmächtigter der Wohnungsbau- und Immobiliengesellschaft in Valmiera (bis 2004), die auch für die Instandhaltung der Parks, Gärten und Friedhöfe zuständig ist.
Als 2002 das Sport- und Konferenzzentrum "Olympiazentrum Valmiera" gebaut wurde, war Kučinskis zunächst Vorsitzender der Betreibergesellschaft.

Die Spinne im Netz
Auch die politische Karriere ist bei Kučinskis nicht ganz einfach nachzuvollziehen - sie verlief zumindest "mehrgleisig". 1998 wurde er Mitglied der von Andris Sķēle "Tautas Partija" (Volkspartei), die bis 2007 die politische Szenerie in Lettland bestimmte und solange guten Wählerzuspruch hatte wie die Illusion bestand, der neue Wohlstand würde in Lettland innerhalb nur weniger Jahre für alle verfügbar sein. Kučinskis wurde weder 1998 noch 2002 ins Parlament gewählt, war aber in dieser Zeit sowohl Chef des Stadtrats wie auch des Kreises Valmiera. 2003 kam er dann aber als Nachrücker doch in die Saeima, und stieg im Dezember 2004, nachdem das Kabinett Emsis über die Haushaltsberatungen stolperte, gleich zum Kabinettsmitglied unter Regierungschef Aigars Kalvītis auf (Minister für Regionalentwicklung). Nach den Wahlen 2006 schied er allerdings als Minister aus, um 2010 dann er als Delegierter der neuen Partei "Par labu Latviju" (PLL) wieder aufzutauchen, deren Führungsfiguren neben den beiden Ex-Premiers Kalvītis und Sķēle auch der dubiose Ex-Verkehrsminister und Vize-Rigabürgermeister Ainārs Šlesers waren; letzterer u.a. war dann einer der Hauptgründe für die Entlassung des Parlaments durch Präsidents Zatlers im Frühjahr 2011. - Die darauf folgenden Neuwahlen standen unter den Vorzeichen der "Anti-Oligarchen-Wahl" - die PLL flog dementsprechend raus. 2011 wurde zum Untergangs-Jahr der "Tautas Partija", und auch die an der PLL zuvor Beteiligten zerstreuten sich.
Aufs falsche "Pferd" gesetzt, Herr Kučinskis? Nun ja, wir ahnen es schon: er hat immer mehrere Pferde gleichzeitig laufen.

Die erste Bekanntschaft mit der Partei der "Bauern und Grünen" (Zemnieku un Zalu Savieniba ZZS - Wahlspruch: "Herr im eigenen Hause sein") machte Kučinskis 2011, allerdings wurde er auf der ZZS-Liste nicht ins Parlament gewählt. Wer immer gedacht hatte, Kučinskis habe seine Netzwerke nur in Valmiera, mußte sich umorientieren: der geborene Livländer wurde nun zum Leiter der "Vertretung der Stadt Liepaja in Riga" (Liepājas Pārstāvniecība Rigā) bestimmt - mit einem schicken Büro keine zweihundert Meter vom Parlamentsgebäude. Dazu kommt weiterhin der Geschäftsführerposten der Vereinigung der großen Städte in Lettland (Latvijas Lielo Pilsētu asociācijā LLPA), zu der sich - inklusive Riga - insgesamt 9 Städte zählen. Und nach den Europawahlen 2014 konnte er als Nachrücker doch noch einen Sitz im Parlament wahrnehmen. Also gibt es auch bisher schon vier Jobs: "Liepajas Augen und Ohren", wie sich die "Hauptstadtvertretung" der lettischen Hafenstadt nennt, zahlt satte 8.000 Euro, 16.000 Euro als Parlamentsabgeordneter, 31.000 Euro als Honorar der LLPA und noch 900 Euro aus einer Tätigkeit an der Hochschule für Wirtschaft und Kultur in Riga (Ekonomikas un kultūras augstskola).

Nachdem Kučinskis dann im Oktober 2014 auf der Liste der ZZS erfolgreich gewählt wurde, gab er dann auch seinen Beitritt zur "Liepaja-Partei" bekannt, mit der die ZZS kooperiert (was wohl auf Deutsch heißt: "Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen").

"Grüner" Regierungschef?
Zusammengefaßt: "Mr.K" ist der frühere Bürgermeister aus Valmiera, der sich öfter dort angeschlossen hat, wo wichtige Knotenpunkte im Netzwerk der Interessen waren. Er vermeidet es, sich allzu weit für nur eine Sache aus dem Fenster zu lehnen, denn er weiß dass er bei den Wähler/innen nicht von persönlicher Popularität oder Charisma leben kann. Abseits des in Riga offenbar vorerst konsolidierten Machtgefüges um den russischstämmigen Nils Ušakovs sind es vor allem lettische Geschäftsleute, die sich Einfluß und Geldquellen sicherstellen wollen.

Bleibt die Frage, die von einigen deutschsprachigen Medien aufgeworfen wurde: Würde / wird Māris Kučinskis ein "grüner" Ministerpräsident sein, so wie "Der Standard" es vermutet? Schon daraus, dass bisher nichts (= gar nichts!) von irgendwelchen "grünen" Aktivitäten des Herrn K. zu berichten wäre, können ja Schlußfolgerungen gezogen werden. Außer dass die Wahlliste, für die er kandidiert hat und gewählt wurde, unter anderem die Bezeichnung "grün" im Namen führt (und nicht mal die Partei, deren Mitglied er ist) - gibt es da nichts auf der "Haben"-Liste. Warum auch? Als Minister trat Kučinskis 2004 sogar genau in dem Moment auf, als der damalige Ministerprädient Emsis (der ist immerhin Mitglied der lettischen Grünen Partei) gestürzt wurde. - Von dem anderen Mitglied der lettischen Grünen, Präsident Raimonds Vejonis, bekam Kučinskis just den Auftrag, es mit einer Regierungsbildung zu versuchen. Bleibt dem so Beauftragten nur schnell zu versichern, die zwei amtierenden "grünen" Minister (Bergmanis - Verteidigung, Belēvičs - Gesundheit) möglichst auch in das neue Kabinett übernehmen zu wollen (siehe Interview "IR").

Mehr Naturschutz? Windenergie? Vielleicht endlich Pfand und Rückholsystem für Plastikflaschen? Einschränkung des Autoverkehrs? Nein, Mr. K wäre nicht Mr. K., wenn er jemals auch nur durch Formulierung solcher Ziele aufgefallen wäre. Kučinskis ist eher "Interessenvertreter", und sein großes Plus in der momentanen Situation ist, dass seine Drähte in alle Richtungen bestehen, einschließlich natürlich des weiterhin lustig schmunzelnden Ventspils-Patriarchen und ZZS-Finanziers Aivars Lembergs, der mit einem Regierungschef Kučinskis wohl die für ihn unangenehme Zeit der öffentlichen "Anti-Oligarchen-Stimmung" wohl endgültig überstanden haben sollte.
Aber warten wir es ab: momentan scheint Māris Kučinskis die letzte Trumpfkarte der bisherigen Koalition zu sein, um Neuwahlen zu vermeiden. Inzwischen mußte Präsident Vejonis mit Herklappenproblemen ins Krankenhaus und bedarf nach einer schwierigen Operation noch der Erholung - kann also seine verfassungsgemäße Rolle der Beauftragung eines Regierungschefs wohl nicht mehr so stark ausfüllen, falls "Mr. K" scheitern sollte.
Noch amtiert Laimdota Straujuma:
hier als Rednerin bei einem
Wirtschaftsforum Osteuropa-China
Obwohl Lettland inzwischen seit über einem Monat führungslos scheint - die Koalitonsgespräche werden mindestens noch eine Woche andauern, und drehen sich vor allem um das Verhältnis der bisherigen Straujuma-Regierungspartei "Vienotība" zur ZZS: Vienotība hatte sechs Ministersessel, die ZZS fünf. Zumindest dieses Verhältnis möchte Kučinskis gerne umkehren.

Eines scheint sicher: am meisten bedauert wohl die "Vienotība" selbst, dass Regierungschefin Straujuma wohl auch aus den eigenen Reihen zum Rücktritt gedrängt wurde. Parteichefin Solvita Āboltiņa wollte gern - konnte aber wegen mehrfach nachgewiesener "Unbeliebtheit im Volk" nicht zur Nachfolgerin werden. Wenn Āboltiņa aber nun ihrerseits als Parteichefin zum Rücktritt gedrängt werden sollte bleibt es unklar, welche Führungsfiguren der Partei noch bleiben - die meisten "Erfahrenen" haben sich längst für einen besser bezahlten Job in Brüssel verabschiedet.

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