11. Mai 2024

Einzahlen, bitte!

Im Vorfeld der diesjährigen Europawahlen wird in Lettland die Praxis von Parteispenden diskutiert. Anfang Mai beschloss das lettische Parlament eine Änderung im Parteiengesetz, der zufolge nun schon Parteispenden ab 7.000 Euro strafbar sind, wenn sie aus ungeklärten Quellen stammen. Unklar allerdings, ob dies allein ausreichen wird, um solche zweifelhaften Spenden zu verhindern.

Briefumschlag - Bankautomat - Parteikasse 

Zunächst standen Spenden an die Partei "Latvijas attīstībai" ("Für Lettlands Entwicklung") im Mittelpunkt der Diskussionen, auch die Antikorruptionsbehörde KNAB (Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs) sah sich zu Untersuchungen veranlasst. Māris Mičerevskis, früher mal Mitglied bei "Latvijas attīstībai", brachte die Sache mit Aussagen wie dieser ins Rollen: "Da gibt Dir jemand einfach zweitausend Euro und sagt, Du musst es für die Partei spenden.“ (LR1) 132 Spenden wurden als verdächtig angesehen, wo Verwandte, Freunde, Angestellte oder andere Vertrauenspersonen die Einzahlungen getätigt hatten. Dennoch wurden keine Strafverfahren eingeleitet, weil, wie es hieß, keine geltenden Gesetze verletzt worden seien. (lsm)

"Aus den Akten zu diesem Fall geht klar hervor, dass Menschen Geld spenden, das ihnen nicht gehört," sagt Sanita Jemberga vom Zentrum für investigativen Journalismus "Re-Baltica".

Spenden für die Karriere

Die Vorwürfe gegenüber der Partei "Vienotība" sind da etwas anders gelagert. Parteimitglieder spendeten auffallend großzügige Summen an die eigene Partei, und das noch dazu in vielen Fällen zeitlich geradezu synchron. 

So ist vom jetzigen "Vienotība"-Fraktionsvorsitznder Edmunds Jurēvics bekannt, dass er zu Zeiten, als er lediglich eine (eher "symbolisch" bezahlte) Stelle als Assistent eines Parlamentsabgeordneten hatte, mehr als 1.000 Euro an die Partei spendete. Und seit 2020, als der von ihm beratene Vilnis Ķirsis Bürgermeisterkandidat wurde, spendete er erneut mehr als 1.000 Euro. Seitdem Jurēvics aber 2022 Mitglied des Rigaer Stadtrates und später auch der Saeima wurde, gingen die Zahlungen erheblich zurück. 

Bei Dāvis Mārtiņš Daugavietis, ein weiterer "Vienotība"-Abgeordneter, soll es ähnlich gewesen sein - zunächst hohe Spendensummen, die nach seiner Wahl ins Parlament stark zurückgingen. "Ich wollte meine politische Karriere aufbauen, und ein Teil des Aufbaus dieser Karriere besteht darin, Mitgliedsbeiträge an die Partei zu zahlen, was ich auch als Investition in mich selbst, als Investition in meine Zukunft betrachtete," so erklärte es Daugavietis selbst (lsm)

Offenbar hilft es in Lettland, wenn nicht eine Wahl über die Zukunft einer Politikerin oder eines Politikers entscheidet, sondern vorab getätigte kräftige Spenden aufs Konto der eigenen Partei. Im Fall der stellvertretenden "Vienotība"-Generalsekretärin Sanita Stelpe-Segliņa sollen Spenden von Mann, Mutter und Schwiegertochter gekommen sein. 

Umschläge und Zählverfahren

Weiterhin gibt es Anschuldigungen, dass "Vienotība" in mehreren Fällen, einschließlich dem Büro von Ex-Ministerpräsident Kariņš, Löhne "im Briefumschlag" gezahlt haben soll (BNN) - ein Vorwurf, den die Partei energisch abstreitet. .

Und ein weiterer Vorwurf dreht sich darum, dass "Vienotība" über Jahre hinweg Dienstleistungen der Firma SOAAR genutzt haben soll, ohne dafür zu bezahlen (tv3) Inzwischen wurde bekannt, dass (erstmals seit 13 Jahren) bei den Europawahlen in Lettland die Stimmauszählung nicht mehr mit Hilfe der Firma SOAAR erfolgen wird. Der Staatliche Rechnungshof hatte bei einer Prüfung festgestellt, dass die Firma hier ohne rechtliche Grundlagen eine Monopolstellung gehabt habe. Bei den Europawahlen werden die Stimmen nun wieder manuell in den Wahllokalen ausgezählt werden. (IR).

30. April 2024

Fuß, Hand oder Stock? Sportstadt Riga

Basketball und Eishockey sind in Lettland klar die beliebtesten Sportarten,da müssen wir uns gar nicht unbedingt auf das Jahr 1935 berufen, als Lettland Basketball-Europameister wurde. Bei der Eishockey-WM 2023 gelang mit Platz 3 Lettland erstmals der Sprung in die Medaillenränge.

So könnte der neue Rigaer Fußballtempel aussehen
Aber Fußball? Wer aus deutscher Sicht ein gutes Gedächtnis hat, erinnert sich vielleicht noch an ein 0:0 der deutschen Elf gegen Lettland im Rahmen der Europameisterschaft 2004. Seitdem hat sich Lettlands Fußballnationalteam nie wieder für eine EM oder WM qualifiziert. Gemäß der FIFA-Weltrangliste rangiert Lettlands Männerteam auf Platz 136 (Litauen 137, Estland 123). Die FIBA-Weltrangliste im Basketball dagegen weist Lettland auf Platz 6 auf (Litauen 10, Deutschland 3).

Endlich ein Fußball-Tempel?

Nun aber fällt der Stadtrat Riga mit einer Entscheidung auf, die vielleicht auch Verwunderung auslöst. Am 2. April wurde entschieden, dem lettischen Fußballverband ein 10 ha-Grundstück für den Bau eines nationalen Fußballstadions bereitzustellen. Die Kosten werden auf (vorläufig) 44 Millionen Euro geschätzt, nach Fertigstellung soll das Stadion 16.000 Sitzplätze bieten. (lsm) Zum Vergleich: das würde in etwa den Stadien in Ingolstadt, Regensburg oder Halle / Saale entsprechen (gegenw. alle 3.Liga). 

Die Begeisterung hält sich teilweise auch bei Fußballfans in Grenzen - denn die Finanzierung eines solch großen Projekts bleibt vorerst unklar. Schließlich sei ja zunächst nur die Möglichkeit geschaffen worden, einen Plan auszuarbeiten, also ein Konzept für ein Stadion vorzulegen. (sportacentrs) Und der Kostenrahmen werde wohl deutlich überschritten werden müssen - da das vorgesehene Baugrundstück auch einige Infrastrukturmaßnahmen erfordert. 

Unterstützung von der UEFA?

Der erst kürzlich in seinem Amt wiedergewählte LFF-Präsident Vadims Ļašenko hofft auch beim Stadionbau auf Unterstützung von UEFA und FIFA - falls einer Maximalförderung zugestimmt würde, seien 17.6 Millionen Euro zu erwarten, meint er. Da auch von der Stadt Riga - außer dem Grundstück als Bauplatz - keine große Finanzunterstützung zu erwarten sein wird, bleibt die Hoffnung auf Investoren aus der Wirtschaft. Den ersten Entwürfe zufolge, erstellt von der deutschen Architektengruppe "Fiebinger", erfordert der Stadionnaubau eine Fläche von 119.000 m2, davon 66.000 m2 für das Stadion selbst.

2016 hatte der Fußballverband LFF noch darauf gehofft, auf einem Gelände an der Krišjāņa Barona ielā mit einem Stadionbau beginnen zu können. Dazu hätte es aber einer Kreditaufnahme von 10 Millionen Euro bedurft - der damalige Vorstand entschied sich dagegen (sportacentrs). Manche schauen da neidisch auf die litauischen Nachbarn in Vilnius - aber dort ist zwar ein Nationalstadion bereits im Bau, allerdings auch immer wieder von Skandalen und Finanzschwierigkeiten erschüttert (LRT / pstprojektai) Der aktuellen Entscheidung des Stadtrats in Riga war eine Prüfung von insgesamt neun möglichen Standorten für ein neues Stadion vorausgegangen.

Protest der Kleingärtner

Begleitet wurde der Stadtratsbeschluss "für den Fußball" von Protesten: bisher ist Lucavsala, nur über eine Brücke über die Daugava zugänglich, eher eine "grüne Oase", geprägt von kleinen privaten Gärten. "Wir wollen nicht noch einen zubetonierten Stadtteil!" ist also der Wahlspruch der Protestler vom Nachbarschaftsverein Lucavsala. Das "grüne Licht" des Stadtrats ist allerdings mit einer Bedingung verknüpft: fünf Jahre hat der Fußballverband Zeit, um ein Realisierungskonzept vorzulegen. Aleksejs Čiževskis vom Verein "Daugavkrastu dārzi" sieht es so: "Wir haben ja schon das Stadion Daugava in Riga. Nur, dort sitzen die Zuschauer weit weg vom Spielfeld und haben kein Dach über dem Kopf. Werden es diese Millionenausgaben wert sein, nur für überdachte Sitzplätze?" (lsm) Zur Zeit hat das Stadion Daugava eine Kapazität von 10.000 Plätzen, das Skonto-Stadion fasst 8.000 Zuschauer.

Interessant ist auch, dass ebenfalls auf Lucavsala ein EU-gefördertes Projekt realisiert werden soll "zur Stärkung der ökologischen Vielfalt". Auf 4 Hektar (lucava) soll hier ein entsprechendes Modell-Areal entstehen.

Lettische Fußballgeschichte - britisch inspiriert

Begründet wurde Fußball in Lettland 1907 von Arbeitern der Fabrik für Metallverarbeitung "Salamander" in Riga, die sich in englischen Eigentum befand. Dort wurde der British Fooball Club (BFC) gegründet, der Unternehmer Herold Hall (1884–1943) wurde deren Trainer. Später gab es auch deutsche, jüdische, polnische und russische Fußballklubs in Riga; der erste lettische Fußballverein nannte sich 1912 "Amatieris". (LFF)

Laut Statistik des lettischen Fuballverbands LFF sind es heute 151 Fußballvereine in Lettland, die Zahl der registrierten Fußballspielenden beläuft sich auf knapp 20.000, und aus Ticketverkäufen wurden im Jahr 2023 insgesamt nur 290.000 Euro Erlös erzielt. Zwar gibt es in Lettland inzwischen auch Frauenfußball (bisher 741 Spielerinnen über 18 Jahren), große sportliche Erfolge sind hier aber noch nicht zu verzeichnen. Der lettische Fußballverband LFF hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Zahl von 5.000 aktiven Spielerinnen zu erreichen (siehe: Entwicklungsstrategie 2030). 

Lettischer Fußball - ohne Fan-Interesse? 

Das Interesse von Lettinnen und Letten am Fußball liegt bei nur 3,2 von 10 möglichen Punkten, so ergab es eine Umfrage im Jahr 2016. Die Frage nach Freizeitbeschäftigungen ergab Ähnliches: während sich 68% für Kino oder Musikkonzerte interessieren, sogar 57% für Theater oder Oper, äußerten noch 31% Interesse an Eishockeyspielen, 12% an Basketball und nur 8% an Fußball. (LFF)

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Norstat" zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen LSM ergab Folgendes: 16% der befragten Lettinnen und Letten finden ein neues nationales Fußballstadion "unbedingt" wichtig, insgesamt sind 49% "eher dafür".  (lsm)

5. April 2024

Strassen-Rochaden

Wer in einer deutschen Großstadt wohnt, wird vielleicht so manche Diskussion um Straßennamen mitbekommen haben; da gibt es doch einige, die an gar nicht so heldenhafte Persönlichkeiten erinnern. Aber Umbenennung ist schwierig. So scheiterte im westfälischen Bünde die Umbenennung einer "Lettow-Vorbeck-Straße", in Berlin blieb ein Versuch die "Mohrenstraße" umzubenennen ebenfalls erfolglos - so berichtete "Die Zeit". 

Da gibt es immer die Argumente, eine Umbenennung habe "erhebliche Folgen für Anlieger". Früher hat man auch gern argumentiert, es müssten dann ja alle Anwohner neues Briefpapier oder Visitenkarten drucken - das hat sich heute allerdings, dank Digitalisierung, wohl erübrigt. Na gut, dort wo noch gedruckte Passdokumente verwendet werden, muss wohl auch ein neues mit geänderter Adresse ausgestellt werden.

Hier ist nicht Moskau

In Riga liegt die Sache offenbar einfacher. Seit Putin in die Ukraine einfiel, haben diejenigen Zulauf, die "reinen Tisch" mit jeglicher Art von möglicherweise ehrender Erinnerung an Sowjetisches machen wollen. Dazu zählt dann auch einiges, was zur Sowjetzeit "russifiziert" wurde. Mitte Februar beschloss also ein Ausschuss des Rigaer Stadtrats die Umbenennung gleich mehrer Straßen. Das Argument: die Persönlichkeiten, deren Namen getilgt werden sollen, hätten keinerlei Bezug zu Lettland, hätten dort nie gearbeitet oder auch nur Lettland in einem ihrer Werke genannt. (riga.lv)

Künftig sollen die Straßen die Namen örtlicher Persönlichkeiten tragen - wie den des Linguisten Kārlis Mīlenbahs, des Schriftstellers Jānis Klīdzējs, und einer der ersten Wissenschaftlerinnen aus Latgale, Valērija Seile. Auch Landschaftsmaler Vilhelms Purvītis und Publizistin Emīlija Benjamiņa werden nun zum Vorbild für Straßennamen. 

Zunächst musste also die bisherige "Latgales iela" zur "Jāņa Klīdzēja iela" umbenannt werden, damit dann die bisherige "Maskavas iela" größtenteils zur "Latgales iela" werden konnte, ein Anfangsabschnitt heißt nun "Lastādijas iela". Die "Puškina iela" wurde zur "Kārļa Mīlenbaha iela", die "Turgeņeva iela" zur "Vilhelma Purvīša iela", die "Ļermontova iela" zur "Viļa Plūdoņa ielua", die "Gogoļa iela" zur "Emīlijas Benjamiņas iela" und die "Lomonosova iela" wurde zur "Valērijas Seiles iela".

Also: kein Moskau mehr, kein Lomonosov, Puschkin, Gogol, Lermontov und Turgenjew - statt dessen gibt es nun viel mehr Latgale in Riga (riga.lv). Und sogar die Umbenennung der scheinbar "unschuldigen" "Tipogrāfijas iela" (Straße der Typograhie) hat einen Hintergrund. Den Namen bekam die nur 159 Meter lange Straße im Jahr 1950 in Erinnerung daran verpasst, da hier das kommunistische Untergrundblatt "Cīņa" ("Kampf") in den 1930iger Jahren eine Zeitlang hergestellt wurde. Jetzt heißt die Straße "Augusta Spariņa iela", benannt nach einem der Helden des lettischen Unabhängigkeitskampfs 1918-20. (jauns).

Beschleunigte Symbolik

Und in Riga geht so eine Umbenennung offenbar ganz ohne bürokratisches Verfahren. Schon am 27. März meldete die Stadtverwaltung Vollzug, was die neue Straßenschilder der "Benjamiņas" und "Lastādijas iela" angeht. Die Verwaltung, an der Spitze Bürgermeister Vilnis Ķirsis rückte an, um die neuen Schilder zu verteilen. Laut Ķirsis sei ja die Bezeichnung "Lastādijas iela" mit Bezug zum "historischen Namen dieses Viertels" gewählt worden. Gleichzeitig wurde auch die Bezeichnung einer ganzen Reihe von Bus- und Straßenbahnhaltestellen geändert (riga.lv / rigassatiksme)

Nehmen wir mal an, wir kennen also alle Personen, die nun zur Ehre eines neuen Straßennamens kamen. Bleibt die Frage: „Wo ist Lastādija? Wer oder was ist das?“ 

Traditionell, aber unbekannt? 

Noch 2019 schrieb Journalistin : "Lastādija? Bei dieser Frage zuckt vielleicht selbst der hartgesotteste Einwohner Rigas unwissend mit den Schultern, einige werden sogar widersprechen und behaupten, dass es in Riga keinen solchen Ort gibt." (TVnet) Nun meinte Lazdina allerdings, die Frage mit einem simplen Verweis auf "Wikipedia" klären zu können - ins Deutsche übersetzt heiße der Name "Lastadie". Leider verweist Wikipedia bei diesem Begriff nur auf eine Bezeichnung für einen Verladeplatz in Lübeck, Königsberg, Rostock, Stralsund oder Stettin. "Lastadie" ist also auf jeden Fall nichts, was es nur in Riga gab. Aber so einen "Ladeplatz" hatte wohl jede Hafenstadt (siehe auch: mittelniederdeutsches Handwoerterbuch). In alten Büchern ist auch nachzulesen, es habe hier nahe der Daugava sogar den Versuch gegeben, eine Werft zu errichten - aber Schiffe seien an dieser Stelle, wohl auch wegen dem häufigen Eisgang der Daugava, nie gebaut worden. "Eine Siedlung von Schiffern, Flößern und Kaufleuten; später auch ein Sägewerk, Scheunen und Holzhäuser", schreibt Lauma Lazdiņa.

Auch die (deutschsprachige) Infoseite der "Dzirciema Aptieka" kommt unserer Wissbegier entgegen - dort finden wir etwas über eine "Lastadie-Apotheke". Hier steht zu lesen, eine "Lastadie" sei in Riga zum ersten Mal im Jahr 1348 erwähnt worden. Außerhalb des Stadtwalls, am Daugavaufer. Zitat: "Am Anfang der jetzigen Moskauerstraße".  Na, ab sofort dann wohl: nicht mehr "jetzig". 

Mit einer modernen Variante von "Lastādija" soll es aber schon 2013 in Riga losgegangen sein. "Lastādija ist ein selbstorganisiertes subkulturelles und soziales Kreativviertel" (Capitel R) Einige Aktivist/innen gründeten damals "Free Riga" um kreative Lösungen für die vielen leerstehenden Gebäude in Riga zu finden. "Unser Rezept: sich einmischen, damit die von der Gesellschaft gewünschten Veränderungen erreicht werden!" Inzwischen hat man bereits für 40.000 m2 leerstehende Räumlichkeiten neue Nutzungen gefunden. Und die Projekte vom "Free-Riga"-Vorsitzenden Mārcis Rubenis zeigen, dass ein Teil dieser Ideen vielleicht auch im Austausch mit Berlin oder sogar Chemnitz entstanden sind (Goethe-Institut / urbact). 

Also: ob nun alte Traditionen, oder neue Inspirationen - die Idee, einen Teil der "Moskauer Straße" nun zur "Lastādijas iela" zu machen, erhofft sich vielleicht auch eine ideele Anbindung an die junge Rigaer Startup-Szene.

30. März 2024

Wolfs Unfreunde

in Lettland eingeführt:
Wolfsspuren erkennen mit Handy-App

Ja, es gibt das Wort "Nedraugi" im Lettischen. Der "lettische Tezaurs" sagt dazu: "Nedraudzīgs cilvēks" ("unfreundlicher Mensch"). Oder, wo ein Beitrag auf "Lasi.lv" meint: "Vasaras nedraugi - traumas" (vielleicht übersetzbar mit "Verletzungen - des Sommers Unfreuden"). Mir geht es hier allerdings um die Tierwelt. 

Im Grenzland

Mehreren lettischen Presseberichten zufolge spielte sich Ungewöhnliches in der Gemeinde Vilce ab, ganz im Süden Lettlands an der Grenze zu Litauen gelegen. Ein Ort mit nur noch knapp über 1.000 Einwohner/innen, stark von Landflucht betroffen, also eine eher verlassene Gegend. Landschaftlich sind dort einige Flüsse, auch Sandsteinfelsen, feuchte Laubwälder, mäßig feuchte Wiesen anzutreffen. Aber die Idylle wurde schon im vergangenen Jahr häufig durch ungewöhnliche Vorfälle gestört. Viele meldeten: mein Haustier ist verschwunden! 

Vielfach geht es um Hunde. Menschen, die in weit abgelegenen Häusern wohnen, oft auch allein, umgeben sich natürlich gern mit Haustieren, und diese müssen dort nicht in Haus oder Wohnung eingesperrt leben. Freien Auslauf haben sie also - und gerade das wurde einigen zum Verhängnis. Es häuften sich die Notrufe bei der lettischen Forstverwaltung, dass Wölfe solche Haustiere angreifen. Solche Schadensfälle müssen in Lettland bei der Forstverwaltung (Valsts meža dienests VMD) gemeldet werden, diese hat inzwischen eine eigene Handy-App entwickelt, um solche Schadensmeldungen zu erleichtern. Ab dem 1.April müssen inzwischen auch alle Jagdberechtigten sämtliche Jagdbeute per Handy-App domumentieren - so verlangt es eine Änderung im lettischen Jagdgesetz (lsm)

Angeleint - ohne Chance

Vilce kam Anfang Januar in die Schlagzeilen der lettischen Presse, da dort gleich mehrere Haushunde Opfer von Wölfen wurden (nra / apollo / tvnet). Betroffen war zum Beispiel Mārīte Zurovska, deren Hund "Kūpers" eines Morgens um das Haus lief und verschwand. Als dann auch zwei alte Katzen nicht mehr auftauchten, habe sie die Tiere gerufen, gesucht, ihre Tochter zu Hilfe gerufen - es hätten sich aber nur noch ein paar wenige Blutspuren finden lassen. Bei der Nachbarin seien innerhalb eines Tages gleich zwei Hunde verschwunden. "Im Gegensatz zu Katzen und Menschen", schreibt Journalistin Laura Dumbere, "steht der Hund auf dem Lieblings-Fastfood-Speiseplan des Wolfes – Futter, das ohne großen Aufwand beschafft werden kann und welches das clevere Raubtier aufzuspüren und zu täuschen weiß." Noch einfacher wird es, wenn die Hunde angeleint sind. (IR)

Bisher waren im Süden Lettlands, in Zemgale, wenig Zwischenfälle mit Wölfen gemeldet worden. "Es gibt dort nicht so viele Schaf- oder Rinderzüchter, eher Getreide- oder Rapsfelder," meint Jānis Ozoliņš, der am Institut für Waldwirtschaft "Silava" arbeitet (IR). Aber im Norden Litauens hätten einige mit der Zucht von Damwild angefangen, fügt er hinzu, auch das habe wohl Wölfe angelockt.

Schutz und Schuss

Wölfe sind in Lettland unter Schutz stehende Tiere, aber auch nicht selten. Jährlich wird eine Höchstmenge von Wölfen festgelegt, die landesweit pro Jahr geschossen werden dürfen - 2023 lag diese bei 300 Tieren. (VMD) Der Enziklopädie "Latvijas Daba" zufolge wird die Wolfspopulation in Lettland auf etwa 500 Tiere geschätzt. Insgesamt schwankt die Zahl der Wölfe aber offenbar in Lettland stark: es sollen auch schon mal Tausend Wölfe gezählt worden sein (daba.lv) Und auch Wanderungen eines Wolfes von 20-40km pro Tag sind nichts Unmögliches. Gemäß den gültigen Bestimmungen der EU dürfen Wölfe in Lettland in begrenzter Zahl geschossen werden, wenn Lettland eine insgesamt stabile Population und die Überwachung der angewandten Jagdtechniken sicherstellt (VMD). 

Wissenschaftliche Untersuchungen in Lettland zeigen, dass sich Wölfe in Lettland zu etwa 80% von Rehen, Hirschen oder Wildschweinen ernähren; in den 1990iger Jahren waren es (in manchen Gegenden bis zu 30%) auch Biber. Vereinzelt kommen dann auch Hasen, andere Nagetiere, Vögel, Reptilien oder Insekten dazu. Besonders dort, wo wenig wildlebende Huftiere sind, greifen Wölfe auch Haustiere an - im nördlichen Teil Lettlands allerdings sehr viel seltener als in den südlichen Landesteilen. Und offenbar sind es besonders einzeln lebende Wölfe, die sich auch auf Haustiere spezialisieren können (VMD) Aktuelle Statistiken zeigen, dass unter den getöteten Haustieren meistens Schafe betroffen sind (82,1%), Rinder zu 8,2%, Ziegen 5,9% und Hunde zu 3,8% (unter den verletzten Tieren sind zu 6,8% Hunde).

7. März 2024

Meistens allein

 "Die Familie ist einer unserer Grundwerte der Gesellschaft", so sagte es einmal der lettische Präsident Egils Levits (aprinkis). Er verband das mit der Auffassung, dass die bisherige rechtlich festgelegte Auffassung einer traditionellen Familie erhalten bleiben müsse; so wie es in Paragraph 110 der lettischen Verfassung heißt: „Der Staat schützt und unterstützt die Ehe – die Verbindung zwischen Mann und Frau, die Familie, die Rechte von Eltern und Kindern.“ Levits interpretierte es so: "In einer gut funktionierenden Familie wird ein Mensch "trainiert", ein verantwortungsbewusstes Mitglied der Gesellschaft zu sein."

Frau mit Kind

Auch in Lettland heiraten Frauen und Männer
viel später als noch vor einige Jahrzehnten.
Vielleicht lohnt da ein Blick auf die Analysen des lettischen Amts für Statistik (Centrālā statistikas pārvalde). Aus dem Jahrbuch 2023 lassen sich auch Zahlen zu den Familien in Lettland ablesen. Demnach ist gegenwärtig die häufigste Form einer lettischen Familie: die alleinerziehende Frau.
37,2% aller Familien sind das, und erst weit dahinter kommen mit 26,2% verheiratete Ehepaare mit Kindern. Weitere 18,2% machen Verheiratete ohne Kinder aus, und 7,9% aller Familien bestehen aus alleinerziehenden Vätern. Bei 5,4% der Familien handelt es sich um unverheiratete Paare mit mindestens einem Kind, und 5,0% sind unverheiratete Paare ohne Kinder.

Späte Heirat und hohe Scheidungsrate

Insgesamt wurden in Lettland 492.052 Familien gezählt - 3.835 weniger als im Jahr zuvor. Aus 11 (oder mehr) Personen bestehen in Lettland noch 41 Familien (2011 waren es noch 62). Dabei gibt es eine relativ hohe Scheidungsrate: auf 1000 geschlossene Ehen kommen in Lettland 456 Scheidungen. 

Für das Jahr 2023 wurden in Lettland insgesamt 1.883.008 Einwohnerinnen und Einwohner gezählt. 806.940 von ihnen (42,8 %) leben allein, 681.137 (36,2%) leben verheiratet zusammen, 231.254 (12,3 %) sind geschieden und 155.502 (8,2 %) verwitwet. 

Und die Kinder? Dort, wo mindestens ein minderjähriges Kind aufwächst, sind es 98.511 alleinerziehende Mütter, 81.843 verheiratete Paare, 19.322 alleinerziehende Väter und 17.502 unverheiratet zusammenlebende Paare. (LVportals)



20. Februar 2024

Leerstellen

Lehrkräfte - woher nehmen?

In Lettland werden zum nächsten Schuljahrsbeginn 200 Lehrerinnen und Lehrer fehlen - zumeist für die Schülfächer Mathematik und Lettisch.

Das durchschnittliche Gehalt für Lehrerinnen und Lehrer in Lettland liegt bei 1500 Euro (brutto), es ist damit eines der niedrigsten in Europa (ähnlich wenig gibt es in Bulgarien, Griechenland, Ungarn, oder Rumänien). In den Bezirken rund um Riga - Bremerinnen und Bremer würden vielleicht "Speckgürtel" dazu sagen - liegt die Entlohnung noch um 200-300 Euro höher. Im Nachbarland Estland streikten im Januar die Lehrerinnen und Lehrer, weil sie auch 2000 Euro (brutto) für zu wenig einschätzten. Im "Pisa-Vorzeigeland" Estland sei ein hoher Prozentsatz der Lehrkräfte (25%) Mitglied einer Gewerkschaft, so berichtete der "Deutschlandfunk".

Eine landesweite Übersicht aller offenen Stellen
an lettischen Schulen bietet die "skolu vakanču karte"

Lehrer streiken, kleine Schulen schließen

Wie sieht die Stimmung unter Lettlands Pädagog/innen aus? Das zuständige Ministerium in Lettland hat ein neues Gehaltsmodell entwickelt, dass zu Beginn des neuen Schuljahres im September 2024 eingeführt werden soll. Dann sollen die Gehälter nicht einfach dort am höchsten sein, in welcher Gemeinde es die meisten Schülerinnen und Schüler gibt - stattdessen wird geschätzt, wie viele Lehrkräfte für die Umsetzung eines bestimmten Lehrplans benötigt werden. Mehrere Kommunen, die das neue System getestet haben, kommen zu dem Schluss: Ja, die Gehälter werden höher sein. Allerdings: auch die Zusammenlegung kleinerer Schulen ist vorgesehen.

Damit soll einer durchaus spürbaren Tendenz entgegengewirkt werden, dass viele den Lehrerberuf verlassen. Mit dem Programm "Mācītspēks" wurde ein berufsbegleitender Pädagogikkurs geschaffen, der Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen dabei unterstützten will, Lehrer für allgemeinbildende Fächer zu werden. Es war auch schon versucht worden, Studierende der Pädagogik an Schulen einzusetzen - aber viele gaben der hohen Arbeitsbelastung wegen wieder auf.

Etwa 150 kleine Schulen sind in den vergangenen 10 Jahren in Lettland geschlossen (bzw. mit anderen zusammengelegt) worden; aber noch immer schätzen Experten, dass eine weitere Optimierung des Schulsystems 80-120 Millionen Euro einbringen könnte, Geld, das dann zur Erhöhung der Lehrergehälter ausgegeben werden könnte. Andererseits ist auch klar, dass die Schließung kleiner Schulen den Mangel an Lehrkräften nicht beheben wird. (IR)

Lernen wie im Lichtpalast!

"Wir stecken in einem tiefen Loch", sagt Ieva Margarita Ozola, Leiterin der 13. Mittelschule in Riga. Noch lange nach Beginn des Schuljahrs musste nach zwei Lehrkräften für Lettisch gesucht werden, und das Fach Ingenieurswissenschaften muss immer noch ausfallen. (IR) "Schüler und Lehrer sind stolz auf ihre Schule – sie ist wirklich unser Lichtpalast!" so ist es in der Eigenwerbung dieser Schule zu lesen ("Lichtschloss, lett. "Gaismas pils", entsprechend dem legendären Chorlied von Jāzeps Vītols). 

Vielleicht mögen ja die Schülerinnen und Schüler ihre Schulen, wo sie gerade unterrichtet werden. Noch aus Sowjetzeiten stammt die Sitte, die Klassenlehrerin oder den Klassenlehrer am letzten und am ersten Schultag mit Blumen und Geschenken zu überhäufen - wohl wissend, dass damals von ihm oder ihr mehr abhängig war als die Schulbehörde organisieren konnte. Heutzutage wird in Lettland der "Skolotāju diena" (Weltlehrertag) brav an einem Sonntag begangen (erster Sonntag im Oktober); allerdings wird in den Schulen oft schon am Freitag davor etwas organisiert. "Ein wirklich talentierter Lehrer ist oft die erste Inspirationsquelle, ein Vorbild und ein Held, dem jeder Erstklässler nacheifern möchte", so sagte es Präsident Edgars Rinkēvičs aus diesem Anlaß 2023 (lvportal).
Die lettische Bildungsministin Anda Čakša zitierte lieber Winston Churchill, der gesagt haben soll: "Lehrer haben die Art von Macht, von der Premierminister nur träumen können“ (LIZDA)

Beim Kampagnenportal "Manabalss" ("Meine Stimme") sind zur Zeit viele Aufrufe zu finden rund um das Thema Schule: gleich zwei für den Erhalt kleiner Landschulen (einmal generell, einmal speziell der Mittelschulen), gegen die Umstrukturierung verschiedener Schulen in Jūrmala, Valdemārpils, Mērsrags und Jaunpils, oder auch für ein Verbot von Smartphones an Schulen.Die Gewerkschaft LIZDA (Latvijas Izglītības un zinātnes darbinieku arodbiedrība) betreibt zur Zeit eine Kampagne, welche einen gesetzlich festgelegten Rücktritt einer Regierung für den Fall der Nichteinhaltung von gegenüber der Gewerkschaft gemachten Versprechungen fordert.

Agenda 2030

Viel diskutiert wurde über neu festgesetzte "Qualitätskriterien" für die Lerninhalte an Schulen, genannt "Skola2030".  Es gibt Richtlinien für die Vorschulerziehung wie auch für die Grundschule. Für Lehrer/innen der Grundschule werden Materialien bereit gestellt und Online-Kurse angeboten - vielfach einfach auf Youtube (siehe Beispiel). Hingewiesen wird auch auf die Notwendigkeit eines Rollenwechsels: die Art und Weise, wie Lehrkräfte den Lernprozess anleiten, habe sich geändert. Kinder seien "Forscher und Macher", und Lehrerinnen und Lehrer sollen das Umfeld dazu schaffen, so heißt einer der Leitsätze in den Lehrmaterialien. Und Kinder dürften auch Fehler machen, wird betont - auch daraus entstehe ein Lernprozess. 

Lettische Schulen im Veränderungsprozess. Ob nun Pädagoginnen und Pädagogen eher Umfeldbereiter für selbständiges Kinderlernen sind, oder doch Machtinhaber, auf die selbst Staatschefs neidisch sind - das muss wohl im Trubel der lettischen Schulreformen geklärt werden müssen. Dass Lehrerinnen und Lehrer in Lettland verhältnismäßig schlecht bezahlt werden, daran scheint auf absehbare Zeit wenig zu ändern zu sein.


 

9. Februar 2024

no post today

"Pasta Balodis" ist keinesfalls ein
Nudelgericht - das lehrt die lettische Post

Landleben in Lettland wird zunehmend schwierig: die Schulreform bringt es mit sich, dass viele der kleineren Schulen keine Zukunft haben. Und nun kündigt auch die lettische Post noch an, über 100 Filialen schließen zu wollen. Wird es in Zukunft unmöglich sein, zum Beispiel eingeschriebene Briefe zu versenden, Päckchen oder Pakete aufzugeben, oder Bargeld abzuheben? 

Zu Fuß zur Post - keine Option

Jetzt wird es also in Lettland Gemeinden geben, wo fast 50km Wegstrecke erforderlich sind, um ein Postkontor zu finden (IR) Die Post verspricht: in Zukunft sollen die Postboten auf Bestellung nach Hause kommen, um dort alle Serviceleistungen vornehmen zu können. Die Kunden und Kundinnen zweifeln aber, ob das ohne Preissteigerungen wirklich möglich sein wird. 

In einem Beitrag der Zeitschrift "IR" wird das Beispiel des Bezirks Südkurland durchgerechnet:die 33.000 Einwohner/innen hier leben ziemlich verstreut. Nur 2% von ihnen besuchen Postfilialen, ganze 60% des Umsatzes macht hier der Verkauf von Haushaltswaren aus, die Standard-Dienstleistungen wie Brief- oder Paketversand nutzen lediglich 24%. 

Beāte Krauze-Čebotare, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende bei "Latvijas Pasts", beklagt eine sehr schwierige Finanzsituation der Post (lsm) und erläutert die Entscheidungskriterien so: wenn nur so wenige die Dienstleistungen der Post in Anspruch nehmen, der Rest aber eigentlich etwas anderes sucht - warum dann eine Postfiliale? (IR

Bedarfslösungen - Folgen der Digitalisierung?

"Pastnieks mājās" ("Der Postbote zu Hause") - so wird eine neue Serviceleistung bezeichnet. Eingeführt zunächst während der Corona-Pandemie, erwies es sich als effektiv für Kundinnen und Kunden, die außerhalb der Städte leben (LA). Seit 2020 sind bereits 190 Postämter auf dieses Format umgestiegen oder haben ganz geschlossen. Der Reorganisationsplan der Lettischen Post sieht nun vor, dass 2024 weitere 105 Abteilungen betroffen sein werden - nur etwa 70 blieben dann übrig. 

"Aber wenn ich einen eingeschriebenen Brief bekommen soll," klagt ein Unternehmer in der Zeitschrift 'Druva', "und der Postbote mich nicht zu Hause antrifft, bekomme ich eine Benachrichtigung dass ich es beim Postamt im Landkreiszentrum abholen soll; und das sind 70km Hin- und Rückfahrt." (druva)

An manchen Orten gibt es einen "Pakomat", also ein Paket- und Briefautomat. Aber Achtung - Info der lettischen Post für alle e-Klienten: "Wenn Sie die falsche Paketgröße wählen, wird das Paket zurückgeschickt und die Gebühr wird einbehalten!" (pasts.lv) Und einige Postfilialen sollen nun, ähnlich wie in Deutschland, in Läden, oder sogar in Büchereien eröffnet werden.(lsm)

Die lettische Post setzt offenbar auch auf Autofahrer/innen: "Wir bieten den Empfang von Sendungen aus lettischen Online-Shops an einer von mehr als 50 CIRCLE K-Tankstellen in ganz Lettland an," heißt es (pasts.lv) (Aber auch hier befinden sich etwa die Hälfte dieser Tankstellen in und um Riga).

Natürlich lassen sich auch in Lettland postalische Grüße auch ganz elektronisch-digital versenden - sogar unter Verwendung eines eigenen Fotos. Wer also nicht per "Whatsapp" oder Ähnlichem grüßen möchte, lässt sich eine Postkarte drucken und verschicken: mit der "Pasta Balodis", der digitalen "Posttaube". 

Der Lohn - ein Ehrentitel

Postbotin Solveiga Šķiņķe, im Jahr 2023 als "beste Postbotin in Vidzeme" ausgezeichnet (an dieser Umfrage beteiligten sich 11.475 Postkund/innen), erzählt von ihrer Arbeit: "Ich fahre täglich ungefähr 180 km. Früher hatte ich nur die Gemeinden Ķoņi und Lode, dann kam noch Naukšēni dazu." (Grenzgebiet zu Estland). (ReTV) Ihr Dienst dauert jeden Tag von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr nachmittags, manchmal länger. Oben drauf kommen dann die Kund/innen, für die sie besondere Dienstleistungen erledigt, dazu zählt manchmal auch, eben mal ein paar Sachen aus der Apotheke zu holen ...

Noch gibt es bei der lettischen Post knapp 3.000 Angestellte - davon 70% als Postbot/innen oder in Filialen. In Zukunft sollen also die "Pastnieki" auch die Rentenzahlungen und Ähnliches dem Kunden direkt zu Hause auszahlen. (jauns) Dazu ist ein Antrag bei der staatlichen Sozialversicherung nötig ("Valsts sociālās apdrošināšanas aģentūra" VSAA), die Gebühr für die Zustellung beträgt vorläufig 2,39 Euro. Die VSAA warnt vorsorglich: der Auszahlungsdatum kann sich ändern - je nachdem, wann der Postbote / die Postbotin Zeit hat zu kommen. 

Wer ist verantwortlich?

Seit der Ankündigung der Einsparvorhaben bei der Post ist auch ein Streit um Verantwortlichkeiten ausgebrochen. Verkehrsminister Kaspar Briškens, auch für die Post zuständig, wirft einigen Managern bei der Post "teure Dienstreisen und Partys" vor (jauns). Daraufhin traten bereits mit Raimonds Dūda und Ivars Blumbergs zwei der Topmanager zurück. Begründung: schwierige Kommunikation mit dem Ministerium. (jauns)

Vielfach wird nun auch die öffentliche Unterstützung der Post durch Steuergelder in Frage gestellt. Wenn Busunternehmen verpflichtet werden können auch wenig rentable Strecken zu bedienen, könnte nicht Ähnliches auch von der Post verlangt werden? Minister Briškens fordert nun von der Post, im Vorfeld bevorstehende Änderungen besser öffentlich zu kommunizieren. "Es reicht nicht aus, dass kurz vor der Schließung der Post ein kleiner Zettel in die Briefkästen geworfen wird, ohne zu sagen, welche Alternativen es gibt und wie viel sie kosten werden." (IR)

Vielleicht finden sich also in Zukunft für ehemalige Postämter ganz andere Nutzungen; so wie etwa das "Pastnieka māja" in der Hafenstadt Liepāja - ein Restaurant. Vielleicht auch für verärgerte Postkunden? Die Werbung verspricht: "Gibt es etwas, das mehr Spaß macht als Liepāja? Ja. Das Leckerste in Liepāja ist eine cremige Karotten-Spinat-Suppe mit Schlagsahne als süßen Hut."

30. Januar 2024

Zwischenstudien-Aufenthalt

Der Anteil von Studierenden aus dem Ausland beträgt in Lettland immerhin 14%, so berichtete es die lettische Fernsehsendung "De Facto" (lsm) Das sind im Lehrjahr 2023 / 24 insgesamt fast 11.000 Auslandsstudierende (10.801). Aber nur selten bleibt von diesen Tausenden mal einer oder eine nach dem Studium in Lettland. 

Die aktuelle Liste der Herkunftsländer (Stand 10/23):

Indien – 2676
Uzbekistan – 1266
Schweden – 896
Ukraine – 842
Deutschland – 759
Šri Lanka – 696
Russland – 498
Finnland – 496
Türkei – 325
Azerbaidschan – 240
Norwegen – 222

Durchschnittlich 14% also. (LVPortal) Aber einige lettische Hochschulen sind erfolgreicher beim Einwerben von Studierenden aus dem Ausland: bei der Wirtschaftshochschule "Turība" sind es sogar 40%. "Studieninteressierte entscheiden sich nicht nur für Studiengänge und alles drumherum, sondern auch für die Länder, in die sie gehen.“ So sieht es Imants Bergs, Vorstandsvorsitzender bei „Turība“.

"Für Kanada hat es nicht gereicht, da habe ich Lettland gewählt", so Jogešs aus Indien, der an der Rigaer Technischen Universität (RTU) studiert. Den Angaben des zuständigen lettischen Ministeriums zufolge entschieden sich die meisten ausländischen Studierenden für den Bereich Sozialwissenschaften, Handelswissenschaften und Recht (4190), gefolgt von Gesundheitswesen und Sozialfürsorge (3075) und dann Naturwissenschaften, Mathematik und Informationstechnologien (1461).
"Bei uns wählen die Studierenden in erster Linie Ingenieurwissenschaften, Computersysteme und dann Wirtschaftsprogramme", so sagt Zane Purlaura-Poriņa, an der RTU zuständig für die internationale Zusammenarbeit. 

Selten bleibt jemand da

Studierende aus Deutschland, aber auch aus Schweden, Finnland, Italien und Norwegen sind meist an einem Medizinstudium in Riga interessiert. Bei den Studierenden aus Deutschland zeigt sich zudem noch eine andere Tendenz: sie kehren nach Deutschland zurück, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet (z.B. auch: Fortsetzung des Studiums). (lsm)

Nach Angaben des lettischen Amtes für Staatsbürgerschaft und Migration (Pilsonības un migrācijas lietu PMLP) bleiben nur etwa 500-600 ausländische Studierende nach ihrem Studium in Lettland. Meist aus privaten Gründen. Und auch deshalb, weil vielen die Wahl einer beruflichen Karriere in einem neuen Land leichter fällt, wenn die Landessprache dort Englisch ist. Angeblich liegt die Zahl derjenigen ausländischen Studierenden, die ihr Studium mit Diplom abschließen, bei 50-80%. Dennoch brechen auch einige wegen fehlender Finanzmittel ihr Studium wieder ab. (lsm)

Studierende als Streitobjekt

Doch offenbar gibt es beim Thema der Studierenden aus dem Ausland nicht nur positive Reaktionen. Es gibt Befürchtungen von Parlamentsabgeordneten wie des ehemaligen Verfassungrichters Gunārs Kūtris, dass sich hinter Personen die Studiengebühren bezahlen einfach Arbeitsmigranten verstecken könnten.

Studierende dürfen in Lettland 20 Stunden pro Woche, in den Semesterferien bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten. (lsm) Ein relativ hoher Anteil ausländischer Studierender kommt aus Ländern außerhalb der EU, also zum Beispiel Indien, Uzbekistan, Sri Lanka. Es gibt sogar noch fast 500 Studierende aus Russland, die schon vor Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine ihr Studium begonnen hatten. "Gaststudierende oder Gastarbeiter"? So fragte ein Beitrag im Portal LSM. Anlässlich eines Treffens mit Parlamentariern verteidigen sich Hochschulverteter: nein, diese Studierenden seien tatsächlich zum Studieren gekommen. "Etwa 80% des Unterrichts finden bei Anwesenheit der Studierenden statt, da gibt es gar keine Zeit um noch zu arbeiten", sagt Toms Baumanis, Vizerektor der "Rīgas Stradiņa universitāte" (RSU). Außerdem würden ja auch Studiengebühren erhoben. Und wenn jemand exmatrikuliert werde, dann bekomme das Migrationsamt PMLP innerhalb von zwei Wochen darüber eine Nachricht. 

Steigende Anfragen

Unabhängig davon, wie studierende Gäste aus vielen Ländern aus lettischer Sicht bewertet werden, das Interesse am Studium in Lettland steigt. So vermeldet zum Beispiel die Rigaer Technische Universität (RTU) im Jahr 2023 mit 3700 Studieninteressierten so viele Anfragen wie nie zuvor in ihrer Geschichte (tv3). Es gibt Schätzungen, denen zufolge Studierende aus dem Ausland auch schon in vor-pandemischen Zeiten etwa 300 Millionen Euro nach Lettland einbrachten. Nun müssen sich die Entscheidungsträger/innen nur noch entscheiden, ob sie diese Entwicklung willkommen heißen - oder eher nicht.

15. Januar 2024

Geschmack und Gefallen - und die Suche danach

Lettische Tourismusverantwortliche sind irritiert: gilt es doch durchaus als angesagt, Gästen regionale kulinarische Spezialitäten zu präsentieren. Erst vor wenigen Wochen hatte der "Guide Michelin" zum ersten Mal einem Restaurant in Lettland einen Stern verliehen - was ganz Lettland voller Stolz vermeldete (Max Cekot). 150.000 Euro hat das gekostet, könnte man vielleicht sagen - denn mit dieser Summe hatte die Investitions- und Entwicklungsagentur Lettlands das Michelin-Projekt "Analyse des gastronomischen Potentials in Lettland" unterstützt (lsm). Vom stolzen lettischen Sternekoch Maksims Cekots, dessen Resultate bei Michelin mit "überraschend raffiniert" bezeichnet werden und der auch schon in New York, London und Paris gelebt hat (IR), ist folgendes Lebensmotto überliefert: Wenn Du etwas tun willst, mach es besser als andere, und wenn Du nicht weißt wie, dann lerne von den besten." (delfi)

Sterne und Rankings

Aber wo die einen schon Lettland als neues Gourmet-Paradies sehen, schocken andere die lettischen Traditionalisten mit Hitlisten der "am schlechtesten schmeckenden Speisen". Das Bewertungsportal "TasteAtlas" gewinnt seine Anziehungskraft offenbar vor allem dadurch, dass dort hemmungslos regionale Spezialitäten abgewertet werden können. Und bei den "13 schlechtesten lettischen Speisen" steht was ganz vorn? Ausgerechnet "Sklandrausis", sozusagen der "Stolz Kurlands", wie in Deutschland vergleichsweise Nürnberger Lebkuchen, Thüringer Bratwurst oder Schwäbische Spätzle. "Sklandrausis" ist neben Johanniskäse und Roggenbrot als garantiert traditionelle lettische Spezialität von der EU geschützt (EAmbrosia). 

Wer kennt schon lettische Spezialitäten? So versuchen verschiedene lettische Portale das "Möhren-Kartoffel-Sauerrahm-Törtchen" der Sklandrausis zu bewerben. "Latvianeats" stellt es in eine Reihe mit Champagner, Gorgonzola und Camembert. "Latvianfood" stellt "unverwechselbarer Geschmack durch die einzigartige Kombination der Zutaten" heraus. Und bei "Latviansonline" lernen wir den Unterschied zwischen "skland" und "rausis". 

Tradition und Massengeschmack

Und nun das! "TasteAtlas" identfiziert den "Roggen-Karotten-Pie" (rbb) als schlechtestes Gericht Lettlands und auf Platz 5 der "schlechtesten Gerichte der Welt". - "Die Lebensmittelrankings von TasteAtlas basieren auf den Bewertungen des TasteAtlas-Publikums", so die Eigenwerbung. "Ist Sklandrausis wirklich ein Magnet für Touristen?" fragt daraufhin die Sendung "Kultūršoks" im lettischen Fernsehen und empfiehlt allen Lettinnen und Letten mal darüber nachzudenken, was der Beitrag Lettlands in der globalisierten Welt sein könnte. 

Dženeta Marinska leitet einen von 10 Backbetrieben im lettischen Bäckerberufsverband (Latvijas Maiznieku biedrība), die sich auf Sklandrauši spezialisiert haben. Ihr mangelt es offenbar nicht an Selbstbewußtsein, wenn sie sagt: "Ich habe schon oft erlebt, dass die Leute ihre Meinung über Sklandrauši geändert haben, wenn sie es erst einmal bei mir probiert haben." (lsm) Auch die lettische Tourismuswerbung empfiehlt gerne gerade ihren Betrieb in Kolka, direkt am "Treffpunkt zweier Meere" gelegen (Latvia.travel). Und Nils Ģēvele, Chefkoch beim ebenfalls im "Michelin-Guide" lobend erwähnten Restaurant "Ferma", auch "Lettlands Koch des Jahres 2023", sagt: "Ich war schon an vielen Orten der Welt und habe schlechtere Küche probiert; ich glaube nicht, dass es in 'Lettland einen Grund zur Sorge gibt." 

Dabei ist es nicht nur Sklandrausis, der auf "TasteAtlas" mit einer schlechten Bewertung herausgestellt wird. Unter den "13 schlechtesten Gerichten" findet sich auch Griķi (Buchweizen), Maizes zupa (ein Roggenbrot-Sahne-Früchte-Nachtisch), Skābeņu zupa (Sauerampfersuppe), das Rupjmaize (dunkles Roggenbrot), Debesmanna (ein fruchtiger Nachtisch) und mit dem "Salinātā rudzu rupjmaize" (gesalzenes Roggenbrot) gleich noch ein weiteres durch EU-Recht geschütztes lettisches Traditionsprodukt. Also mit Sicherheit einiges, was regelmäßige Lettland-Besucher weit oben auf der Liste ihrer Lieblingsspeisen haben. Sollten wir also vielleicht schlußfolgern: lettische Küche - nichts für den globalisierten Massengeschmack der Stadtbewohner, die sonst nur Pizza-Bringdienst, Kebab und Hot Dog kennen? 

Schlafende Juwelen, möglichst wie bei Oma

Die lettische Tourismuswerbung hebt gern das Zitat aus dem Blog des britischen Starkochs Jamie Oliver hervor, dem zufolge Lettland ein "unentdecktes kulinarisches Juwel in Europa" sei. Wissenschaftlerin Astra Spalvēna, die den Begriff des "essbaren Kulturerbes" mitprägte, bezweifelt generell, dass allein wegen der lettischen Küche sehr viele Touristen nach Lettland kommen würden. "Und selbst wenn - hat es nicht auch Vorteile, wenn Sklandrausis als angeblich so schlecht dargestellt wird? Einige werden es gerade deshalb selbst mal probieren wollen." Die meisten mögen eben das, an was sie gewohnt sind, sagt sie. (lsm) Und auch die Auffassung davon, welche Speisen als "traditionell lettisch" angesehen werden, habe sich im Laufe der vergangenen 100 Jahre verändert. "Meist wollen wir es so kochen," sagt sie, "wie es der Familientradition entspricht. So wie Mama es gekocht hat, aber wie Oma gekocht hat wissen wir oft schon nicht mehr. Es dauert bestimmt nicht mehr lange, dann werden wir auch Schaschlik, Pelmeni oder Pizza als 'traditionell' bezeichnen werden."

Bei "Max Cekot" steht übrigens "graue Erbsen mit Austern" auf der Speisekarte - vielleicht deshalb, damit die grauen Erbsen nicht auch noch auf der Negativliste landen (NRA). - "Tasteatlas", im Besitz des kroatischen Unternehmers Matija Babić befindlich, soll übrigens, Meldungen aus anderen Ländern folgend, auch "KI", also "künstliche Intelligenz" zur Ermittlung der eigenen Rankinglisten eingesetzt haben (TheVibes). Ein Gegensatz, der wohl auch mit modernsten Mitteln kaum aufzulösen sein wird: Geschmack und Logik.

8. Januar 2024

Ski-Prinzessin

Gerade in diesem Winter gilt: Lettland ist sowohl schneesicher wie auch frostsicher. Aber nicht in allen Sportarten, die mit Schnee zu tun haben, erwartet die internationale Öffentlichkeit lettische Erfolge. 

Winterträume

Dazu zählen auch die Disziplinen des sogenannten "alpinen Skisports". "Was für eine Art Skifahren gibt es in einem Land, in dem wir einen 311 Meter hohen Hügel als höchsten Gipfel ehren?!" So fragte auch schon  Sportjournalist Jānis Freimanis für die lettische "Sporta Avīze" (infoski). Aber in Zeiten, wo andernorts in immer wärmeren Wintern der Schnee wegschmilzt, verstellt allein schon die Masse der pro Disziplin antretenden Sportlerinnen und Sportler aus erfolgsverwöhnten Skinationen wie Österreich, Schweiz, USA, Frankreich oder Italien den Blick auf überraschende Erfolge kleiner Nationen. - Seit vergangenem Wochenende titelt die lettische Sportpresse stolz: "Dženifera Gērmane erreicht das beste Weltcup-Resultat in der Skisport-Geschichte des unabhängigen Lettland!" (lsm)

Am 7. Januar 2024 war es Platz 12 beim Weltcup-Slalom in Kranjska Gora - im zweiten Lauf war es sogar die fünftschnellste Zeit (SportaCentrs / Youtube). Mit Startnummer 48. 

"Achtung Establishment!", warnte "Olympics.com" schon vor ein paar Jahren, "die Jugendolympionikin Dzenifera Germane ist eine der vielversprechendsten Nachwuchsskifahrerinnen..."

Der lettische Skiverband jubelte auch schon über ihre Erfolge bei den U14- und U16-Wettbewerben (infoski) und berichtete schon 2017, dass Dženifera die ganze Wintersaison in Österreich verbringt, zusammen mit Mamma Ulla Ģērmane, selbst eine lettische Skisportlerin, die ihre Erfolge in den 1980iger Jahren erreichte. Wir lernen: es gibt auch schon "Kinder-Weltmeisterschaften", und auch die hatte Dženifera schon dreimal gewonnen (Jauns). 

Lettische Ski-Historie

Journalist Freimanis versucht, die neue lettische Leidenschaft für alpine Skisportarten mit einem Zitat des lettischen Schriftstellers Rūdolfs Blaumanis zu begründen: "Der Zaun, den der Verstand errichtet, kann durch Leidenschaft und Enthusiasmus überwunden werden!"(infoski). Und Freimanis kennt die lettische Skisportgeschichte. Bei Olympia 1936 in Garmisch-Partenkirchen starteten drei Lett/innen: Mirdza Martinsone (dreifache lettische Slalommeisterin 1937, 1938, 1940, sowjetlettische Meisterin 1941), Herberts Bērtulsons und Askolds Hermanovskis. Alle drei starteten in der "alpinen Kombination", alle drei wurden diskvalifiziert, bzw. konnten im Slalom wegen schlechter Ergebnisse in der Abfahrt nicht mehr starten und erreichten kein Ergebnis, auf das Lettland stolz sein könnte. Weniger bekannt ist, dass Martinsone sich gleichzeitig journalistisch betätigte und ihr sogar ein Interview mit Adolf Hitler gelang (RTU). 

Folgen wir weiter der historischen Auflistung von Freimanis. 1974 in St.Moritz wurde dann Jānis Ciaguns zum ersten lettischen Skisportler, der an einer Ski-WM teilnahm (Resultat 42.Platz in der Abfahrt, kam beim Slalom nicht ins Ziel / infoski). Ulla Lodziņa, später verheiratete Ģermane, also die Mutter der heutigen Ski-Heldin Dženifera Ģērmane, gelang 1988 der größte lettische Erfolg: bei der Junioren-Weltmeisterschaft im italienischen Madonna di Campiglio gewann sie (als Mitglied des sowjetischen Teams) die Bronzemedaille, kam aber in den Weltcuprennen nie über Platz 38 hinaus. Damals war der genannte Jānis Ciaguns Trainer von Lodziņa-Ģermane - was wohl zeigt, dass vieles in dieser kleinen lettischen Ski-Szene eng zusammenhängt. "Mein Trainer ist immer herumgefahren, um Orte zu finden, wo wir das ganze Jahr Skifahren konnten", erzählt Mama Ulla (infoski). 

Erst 1997 gab es dann mit Jānis Korde den nächsten Ski-Weltcup-Teilnehmer aus Lettland - dessen ausbleibende Erfolge auch damit erklärt wurden, dass er ausschließlich im lettischen Sigulda trainierte. Sein einziger Trainer war sein Vater, Reisekosten musste er selbst bezahlen, und seine Rennski kosteten ihn damals 600 Dollar. Im Interview erzählte Korde damals, er habe im Weltcup-Slalom 69 Tore zu absolvieren gehabt - auf den "Hügeln" von Sigulda könne man aber höchstens 25 aufstellen. (periodika). Zu den Olympischen Spielen Nagano 1998 schickte Lettland dann den Ciaguns-Sohn Ivars, zusammen mit Ilze Ābola (er wurde 34., sie 31. im Riesenslalom). Beide nahmen in den Jahren danach auch an Weltcuprennen teil, mit Platz 27 als Bestresultat für beide. 

Erst 2010 bei der Olympiade in Vancouver  gab es wieder ähnliche Platzierungen. Lettland entsandte Roberts Rode, Kristaps Zvejnieks un Liene Fimbauere (letztere trainiert von Jānis Korde). Zvejnieks erreichte immerhin einen 37. Platz und nahm auch 2014 in Sotschi (43.) und 2018 in Pyeongchang (35.) teil. An der Ski-WM 2013 und 2015 gab es dann sogar jeweils 11 bzw. 14 Athlet/innen aus Lettland - damals zahlte der Weltverband noch eine kleine Unterstützung an den nationalen Verband dafür. Von diesen jüngeren konnte Lelde Gasūna, in Sigulda geboren, 2014 in Sotschi immerhin einen Platz 30 im Slalom erringen. Ihre Kollegin Agnese Āboltiņa, die in Norwegen trainiert hatte, kam im Super-G auf Platz 31.

Skisport-Familien

"Der alpine Skisport in Lettland ist von Familientraditionen geprägt", schrieb Journalist Freimanis schon 2017. "Einen guten Trainer kann man nicht im Internet finden" - ein Zitat von Lelde Gasūna. (infoski) Von derselben Sportlerin stammt die Aussage, die Kostendeckung pro Saison belaufe sich auf etwa 60.000 Euro - und da seien Reisekosten noch nicht eingerechnet. "Alpiner Skisport ist in Lettland ein Indianer-Sport", so wird "Mama Ulla" zitiert (Google möchte es mit "Sport der amerikanischen Ureinwohner" übersetzen). Familie Ģērmane verbringt schon seit mehreren Jahren die Winter in Österreich. Aber Mama Ulla weiß auch dass es ihrer Tochter jeden Herbst wieder schwer fällt, die Freundinnen und Freunde in Lettland zu verlassen. 

Und jedes Mal nach der Rückkehr nach Lettland müssen dort einige Test und Prüfungen in der Schule bestanden werden. Und die Mutter verheimlicht auch nicht, dass die Beziehungen zum Lettischen Skiverband nicht immer die besten waren und schließt nicht einmal aus, dass ihre Tochter vielleicht auch mal gezwungen sein könnte, unter der Flagge eines anderen Landes zu starten. Ob nun, nach der "historischen Platzierung" für Lettland, alles anders wird? Vorerst war es nur der Erfolg in einem einzigen Rennen.

Nachtrag: am 16. Januar 24 folgte mit Platz 8 beim Nachtslalom in Flachau / Östereich gleich der nächste Rekord

31. Dezember 2023

Euro(pa)-vision

2014 wird es 10 Jahre her sein, dass Lettland den Euro einführte und den eigentlich so geliebten Lat abschaffte (nur die "Aarzemnieki" sagten damals "Danke, lieber Lat"). Anlass genug für die Agentur "Norstat" für eine kleine Umfrage: Sind Lettinnen und Letten mit dem Euro zufrieden?

Ganz exakt lautete die Frage etwa so: "Vor zehn Jahren hat Lettland den Lats aufgegeben und den Euro eingeführt. Inwieweit stimmen Sie zu, dass der Übergang zum Euro eine gute Entscheidung war?“

Insgesamt halten 22% der Befragten die Entscheidung pro-Euro für gut, weitere 29% noch für "überwiegend gut". Also sind 51% der Lettinnen und Letten eher zufrieden. 17% finden die Entscheidung eher schlecht, 19% völlig schlecht, und die restlichen 13% enthielten sich eines Votums.

Bei der jüngeren Bevölkerungsgruppe bis 29 Jahre steigt der Anteil der Befürwortung auf 68%, in der Altersgruppe 50 - 59 Jahre geht es auf 42% herunter. Landesweit gerechnet wohnen die Euro-Skeptiker eher in Kurzeme, die meisten Befürworter gibt es in Riga. Unter ethnischen Letten liegt die Pro-Euro-Fraktion bei 60%, unter Russischstämmigen überwiegen mit 51% die Gegner.(lsm)

28. November 2023

Platz für neue Siege

Was bisher in Riga vollmundig "Siegespark" ("Uzvaras parks") hieß, hat nun ein neues Gesicht: inzwischen wurde der mit einem Kostenaufwand von 8,5 Millionen Euro umgestaltete Park für die Öffentlichkeit neu eröffnet. (IR / riga.lv) Werden in Zukunft an diesem Ort andere Siege gefeiert?

Schon vor dem 1.Weltkrieg wurde an dieser Stelle ein Park gestaltet - ursprünglich, wie es heißt, um die Einverleibung des damaligen "Livland" in das Russische Reich hier zelebrieren zu können, ein Ereignis, dass 1909 gerade 200. Jubiläum hatte. "Petrovsky Park", so wurde es damals genannt, und eigentlich sollte hier etwas Ähnliches entstehen wie im Villenviertel "Mežaparks". Aber als 1915 die Kriegsereignisse auch in Riga angekommen waren, markierte das auch das Ende dieser Idee (capitalriga). 

Schon 1923 gab es dann den ersten Versuch, diesen Bereich "Siegespark" zu nennen - als Erinnerung an den Sieg der vereinigten lettisch-estnischen Truppen, inklusive der Verteidigung Rigas, gegen die unter Bermondt-Avalov vereinigten Verbände der Deutschbalten, deutscher Freikorps und der Avalov'schen "Westrussischen Befreiungsarmee". Dann kam Kārlis Ulmanis, der sich ab 1934 selbst als autoritärer Herrscher Lettlands inthronisierte und große Pläne hatte: eine große Arena für Sport und nationale Aufmärsche sollte entstehen. Ulmanis träumte von etwas Ähnlichem wie das Berliner Olymiastadion und mindestens 25.000 Sitzplätzen für ein Stadion, wo auch die großen Liederfeste Lettlands hätten gefeiert werden sollen. Auch ein 6o Meter hoher "Siegesturm" war geplant, ebenso ein "Velodrom" mit nochmals 10.000 Zuschauerplätzen. 3 Millionen Lat zur Finanzierung waren schon als Spenden eingesammelt - als erneut ein Krieg alle Planungen zerschlug. 

Als nächstes war das Gelände dann Ort eines öffentliches Schauspiel der Sowjets: sieben Nazi- und SS-Offiziere wurden 1946 hier öffentlich exekutiert, darunter SS-Führer Friedrich Jeckeln. (citariga)

Es folgte eine Zeit, in der eigentlich auch die Sowjetunion eine Erinnerung an den 9.Mai nicht förderte - nach 1953 galt das als unwillkommene Erinnerung an Stalin. Erst Ende der 1970iger Jahre kam erneut die Idee eines "Siegesparks" auf, dessen Bauphase dauerte dann von 1979 bis 1985. Das große Denkmal mit dem anfangs sehr komplizierten Namen („Für die Befreier des sowjetischen Lettlands und Rigas von den deutschen faschistischen Invasoren“) wurde dann immerhin von mehreren lettischen Künstlern geschaffen: die Bildhauer Aivars Gulbis und Ļevs Bukovskis, sowie neben einigen weiteren auch die Architekten Edvīns Vecumnieks, Ermēns Bāliņš, und Viktors Zilgalvis. Eröffnet wurde die Anlage von Boris Pugo - der später eher traurige Berühmtheit mit seiner Beteiligung am Putsch gegen Gorbatschow erlangte. (pietiek.lv)

Auch nach Wiederherstellung des unabhängigen Staates Lettland behielt der Park zunächst die Bezeichnung "Siegespark". Da der Abzug der russischen Armee ein sensibles Thema war und lange Zeit unsicher blieb, wurde auch der Umgang mit Sowjetdenkmälern zum Bestandteil lettischer Politik. Sie sind abgezogen, im Gegenzug haben wir den Erhalt der Denkmäler zugesagt - das wurde zum regierungsamtlichen roten Leitfaden, auch wenn es keine russisch-lettische Vereinbarung über konkret zu schützende Objekte gab.

Am 7. Juni 1997 stand das Denkmal dann erneut im Fokus der Schlagzeilen: Anhänger des rechtsradikalen Verbands "Pērkonkrusts" ("Feuerkreuz") hatten es mit einer Sprengung versucht, nicht ohne vorher einige Hakenkreuze und Parolen aufzumalen. Es blieb beim Versuch - und zwei der Beteiligten kamen dabei ums Leben. Später standen 10 der (überlebenden) Täter vor Gericht und wurden zu Strafen in unterschiedlicher Höhe, bis zu 5 Jahren Gefängnis, verurteilt. Einer davon hatte sich fast zwei Jahre lang in lettischen Wäldern zu verstecken versucht. (delfi)

Der "Siegespark" blieb in der Folgezeit vor allem Austragungsort der jährlichen Feier zum 9.Mai, im russischen Verständnis also des Sieges (im "Großen Vaterländischen Krieg") über den Faschismus. Eine Petition zum Abbau des Denkmals bekam 2013 immerhin 12.000 Unterschriften, wurde aber später vom Parlament abgelehnt (likumi.lv). Eine ähnliche Petition des Jahres 2017 erreichte noch einmal 10.000 Unterschriften, als Reaktion darauf bekam eine Petition zum "Erhalt aller antifaschistischer Denkmäler" ebenfalls 25.000 Unterschriften. (capitalriga / manabalss

Einer Umfrage aus dem Jahr 2015 zufolge gaben etwa 2/3 aller russischsprachigen Einwohner Lettlands an, den 9.Mai zu feiern - im lettischsprachigen Umfeld waren es nur 7,5%. (lsm)

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine änderte auch die Stimmungslage in Lettland, die Sowjetdenkmäler betreffend. Am 13. Mai 2022 entschied der Stadtrat Riga das Denkmal abzureißen - denn unter Denkmalschutz stand es nie. Kurz darauf, am 16. Juni 2022, beschloss das lettische Parlament ein Gesetz „Zum Verbot der Ausstellung und Demontage von Objekten, die das Sowjet- und Nazi-Regime verherrlichen, auf dem Territorium der Republik Lettland“ (saeima.lv). Es sah vor, dass der Abbau derartiger Objekte bis zum 15.11.2022 erfolgen sollte. Die Demontage des Denkmals im "Siegespark" erfolgte in der Zeit vom 23. bis 25. August 2022. Berücksichtigt wurde auch das Ergebnis einer Umfrage, der zufolge sich 64% der Befragten dafür aussprachen, an dieser Stelle weiter einen Park zu erhalten. Eine vom Rigaer Bürgermeister eingesetzte Arbeitsgruppe stellte fest: es soll ein "frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne ideologische Belastung" werden. (IR)

In Zukunft also sollen im neu gestalteten, 9 ha großen Landschaftspark Trampoline und Schaukeln aufgestellt, im Sommer eine Skaterbahn und im Winter eine Trasse zum Skilaufen angeboten werden. Außerdem sollen insgesamt 1500 Bäume neu gepflanzt werden. Weiterhin soll noch mehr Beleuchtung installiert werden und sogar eine Wasserversorgung für Schneekanonen im Winter. Eine mögliche Variante, das Gelände nun "Zukunftspark" zu nennen, wurde aber wieder verworfen - bis jetzt ist es weiterhin der "Uzvaras parks" ("Siegespark").