6. Juni 2005

Geh doch zu den Briten!

Anwerbung lettischer Arbeiter für Großbritannien: Betrug an EU-Neubürgern?


Anwerbung für Bau-Hilfskräfte in Riga: "Rufen Sie an, wir haben Arbeit für Sie" - so versprechen es die Großplakate mit englischem Absender.

"Zwei Tage musste ich auf der Straße schlafen" - so schildert es der lettische Student Atis C., der lettischen Tageszeitung "Latvijas Avize" in der Ausgabe vom 4.Juni 2005. Atis ist 20 Jahre alt und Student des 2.Semesters in Riga. Wie so viele, muss er sich sein Auskommen mit Jobs bestreiten. Doch warum arbeiten Letten in Gro�britannien? Viele Deutsche malen sich aus, in Osteuropa würde der Hunger grassieren und es gäbe überhaupt keine Arbeit. - Für den "Mann auf der Straße" in Lettland sieht die Perspektive völlig anders aus: Die meisten sind es gewohnt, sich mit mehreren Jobs über Wasser halten zu müssen. Nur wenige verdienen so viel, dass eine einzige Tätigkeit einen bequemen und langfristigen Lebensunterhalt garantiert.
Arbeit gibt es genug in Lettland. Die Bauwirtschaft boomt - gerade in Riga schiessen beinahe alltäglich neue Bauten in die Höhe. Doch "good old Britain" lässt sich nicht lumpen: mit Großplakaten an Bushaltestellen und an Häuserwänden wirbt man um lettische Gastarbeiter - eine Vorgehensweise, die in Deutschland undenkbar scheint.

Doch in vielen Fällen scheint es ein schnelles Geschäft mit den Träumen junger EU-Neubürger zu sein. "Der angebotene Arbeitvertrag erschien vielversprechend", erzählt Atis in der 'Latvijas Avize". "Ich habe mich bei der in Riga gegistrierten Firma EIROPAS EXPERTI gemeldet. Es wurde 1200 Lat als Monatslohn angeboten. Und plötzlich ein Anruf: Es muss ganz schnell gehen, es ist ein Platz frei geworden in einer Eiscreme-Fabrik in England. Und im Arbeitsvertrag stand sogar, dass man das Recht auf einen anderen Arbeitsplatz habe, falls sich das Angebot als nicht zufriedenstellend erweisen sollte."

Die angebotenen 800 Euro (umgerechnet) stellen immerhin etwa das doppelte des Lohnes dar, was ein voll ausgebildeter Arbeiter in Lettland durchschnittlich monatlich verdienen kann. Atis lieh sich Geld von seinen Eltern für die Reise und auf ging's ins Tony-Blair-Land.

"Als ich in England ankam, war es von Anfang an ziemlich verdächtig, was dort vorging," erzählt Atis heute von seinen Erfahrungen. Erst nach langem Warten nahm ihn ein Mann in Empfang, der ihn dann zu einer 36-qm-Wohnung führte, in der fünf Menschen untergebracht werden sollten. Als Atis der Arbeitsvertrag vorgelegt wurde, gab es plötzlich keine Zeit mehr, sich diesen überhaupt sorgfältig durchzulesen. "Ab diesem Moment begann ich zu verstehen, dass hier nichts Gutes zu erwarten war," so Atis heute, "es war nur irgendeine Vermittlerfirma, mit der ich es zu tun hatte. Ich rief die Firma in Lettland an, die mir die Zusagen gemacht hatte. Schon am nächsten Tag wurde ich in England von der Firma einfach auf die Straße gesetzt!"

Atis musste sich zwei Tage auf englischen Strassen herumtreiben, bis ein barmherziger Brite ihn für ein paar Tage privat aufnahm. Ein neuer Job wurde ihm durch EIROPAS EXPERTI nicht angeboten. "Meine einzige Rettung war, dass ich etwas Englisch spreche, und ich mir nach einigen Tagen selbst eine andere Arbeit suchen konnte," so Atis heute.

Die lettische Zeitung "Latvijas Avize" interessierte sich für die Sache, und rief bei EIROPAS EXPERTI in Riga an. Telefonische Auskunft gab der Chef der Firma, Maris Sergejenko, so "Latvijas Avize" in der Ausgabe vom 4.Juni 2005. "Maris erklärte uns: Atis ist selbst schuld. Er hat sich mit seinem englischen Firmenchef angelegt - und als er in England auf andere Letten traf, da merkte er wohl, dass es anderswo mehr zu verdienen gab." Danach gefragt, warum Atis aber ein anderes Arbeitsangebot verweigert worden sei - da legte der Chef der "Europa-Experten" einfach den Hörer auf.

Als Konsequenz aus solchen Zuständen, und als Warnung an zukünftige interessierte Jobsucher, veröffentlichte Atis seine dringendsten Ratschläge ebenfalls in der gleichen Ausgabe der lettischen Zeitung.
1) wenn Du die Landessprache nicht beherrscht, wirst du niemals Dich bei Problemen selbst behelfen können
2) nimm Dein Mobiltelefon mit, und suche Dir Möglichkeiten über öffentlich zugängliche Internetstellen Dich mit Angehörigen zu Hause in Verbindung zu setzen
3) nimm Verpflegung für mindestens die ersten zwei Wochen mit
4) nimm Deine Kreditkarte mit (wenn Du eine besitzt), denn so kannst Du ohne Wechselgebühr an Geld kommen
5) rede mit den Menschen am Arbeitsort, erfrage die Dinge, die Du nicht verstehst
6) Nimm den Arbeitsvertrag, den Du in Lettland bekommen und unterschrieben hast, auf jeden Fall in Kopie zum Arbeitsort mit

(Informationen aus LATVIJAS AVIZE vom 4.Juni 2005 - eigene Übersetzung)

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