31. Oktober 2005

Lettisch-polnische Einigkeit gegen deutsch-russische Alleingänge

Die deutsche Aussen- und Wirtschaftspolitik muss sich wohl daran gewöhnen, dass frühere Sprechblasen von "Deutschland, dem Anwalt der Balten" (Aussenminister Kinkel in den 90er Jahren) sich in ihrer Schlicht- und Bedeutungslosigkeit nicht mehr so leicht wiederholen lassen.

Heute setzt Lettland aussenpolitische Akzente selbst. Aussenminister Pabriks ist mit einer deutschen Frau verheiratet - aber das hindert nicht an selbstbewußter Positionsbestimmung.

Mit dem schnell eingefädelten und überraschend ohne Abstimmung mit den nordosteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten bekannt gegebenem Deal einer deutsch-russischen Gaspipeline durch die Ostsee schockierte Noch-Kanzler Gerhard Schröder nicht nur Lettland. Vor allem in Polen war man "not amused" über dieses Projekt, das von Ökonomen keineswegs als "preisgünstige Lösung" eingeschätzt wird. Vor allem die Verfahrensweise Deutschlands, die den Anschein hat, als wolle man wider einmal Sondervereinbarungen mit Russland an allen anderen Gepflogenheiten vorbei anstreben, erregte neues Misstrauen. Jetzt wartet man unverhohhlen darauf, dass eine neue deutsche Kanzlerin die Lage klären kann.

Derweil üben sich Lettland und Polen im Schulterschluß. Nach einem Treffen mit Maciej Klimczak, neuer polnischer Botshafter in Lettland, äusserte Aussenminister Pabriks im Rahmen einer Presseerklärung Verständnis für Russlands Interessenlage an dem Pipeline-Projekt mitten durch die Ostsee. Dagegen sei die Haltung des deutschen Kanzlers Schröder "unerklärlich", so Pabriks. "Im Unterschied zu Russland ist Deutschland unser Partner in der Europäischen Union", so die Aussage der gemeinsamen lettischen-polnischen Presserklärung, "und wir erwarten von unseren Partnern, dass sie sich beraten mit uns und anderen Interessenvertretern." Daher könne Lettland die eigenmächtige Entscheidung Deutschlands nicht unterstützen.

Pabriks polnischer Diplomatenkollege Klimczak ergänzte, dass eine klare gemeinsame Haltung in dieser Frage für die baltischen Staaten und Polen wichtig sei. Es seien ganz einfach "politische Standards der Europäischen Union zu beachten", so Klimczak. In Zukunft dürfe sich so etwas nicht wiederholen.
Nun ja, - mal sehen, mit welcher Strategie die zukünftige Bundesregierung dies wieder kitten will....



26. Oktober 2005

Lernen Sie Livisch!

Nicht verwechseln: Livisch ist für Letten eine Fremdsprache
Einst war es Imants Freibergs, der IT-Experte und Ehemann der heutigen lettischen Präsidentin Vike-Freiberga, der schon in den 60er Jahren daran ging, die lettischen Dainas elektronisch aufzubereiten und zu systematisieren. Spätestens mit der Wahl seiner Frau, die bekannt war und ist für ihre wissenschaftliche Beschäftigung mit der lettischen Kultur und besonders den Dainas, haben es diese durch die Jahrhunderte mühsam erhaltenen Zeugnisse lettischer Kultur auch heute wieder zu Anerkennung und Ehre gebracht.

Bei der Kultur der Liven ist das noch nicht ganz so. Selten weht die livische Flagge irgendwo (siehe oben), und als finno-ugrischer Sprachstamm weicht das Livische sehr stark auch vom Lettischen ab. Auch die alte Bezeichnung "Livland", geprägt von den Deutschbalten, der an die damals von Liven geprägte Gebiete des nördlichen Lettland und südlichen Estand erinnert, weist auf livische Kultur hin. Nur noch eine Handvoll Menschen bezeichnen sich heute noch als direkte Nachkommen der Liven, eine kleine Gruppe lebt heute noch im Bezirk um Ventspils. Zwar erkennen auch die Esten und Finnen ihre Beziehung zu den Liven auch heute an - Staatsbesuche aus Estland oder Finnland beziehen auch gern schon mal ein livisches Kulturfest ein - aber ansonsten führt diese Kultur und Sprache doch eher ein Schattendasein, international beachtet meist nur von Linguisten und Ethnologen.

Livisch im Netz
Mit einer Pressemeldung gab nun das lettische Aussenministerium nicht ohne Stolz bekannt, dass auch für die Öffentlichkeit nun eine neue Möglichkeit geschaffen wurde, sich mit der livischen Sprache auseinanderzusetzen. Auf einer neuen Webseite ist mit Unterstützung der lettischen Kulturkapital-Stiftng ein Livisch-Lettisch-Englisches Wörtberbuch entstanden, auf das kostenfrei zugegriffen werden kann. Die beiden Wissenschaftlerinnen Ieva Ernstreite und Valda Suvcane haben in mehrjähriger Arbeit ein 68-seitiges Heft geschaffen, was sehr ausführlich in die livische Sprache einführt und ausser einer allgemeinen Einführung in die livische Kultur auch eine große Zahl Satzbeispiele enthält. Anhand von Themenbereichen wie "zu Besuch", "Wetter, Jahreszeiten", oder "die Familie" kann Einblick gewonnen werden in die inzwischen selten gewordene Welt des Livischen - für Deutschsprachíge wenigstens mit Hilfe des Englischen. Das gesamte Heft ist online downloadbar.

Noch nicht ganz vergessen
Immerhin war auch bisher bereits das Livische im Internet nicht ganz vergessen. Die unter Web-Insidern berühmte Wikepeda-Enziklopädie pflegt eine eigene Seite, Die Seite "Vitual Livonia" (livisch/englisch) wird von Uldis Balodis gepflegt und enthält eine ganze Reihe weiterer Verknüpfungen mit interessanten Seiten. Ähnlich ist die Seite von Roberts Freimuts ausgelegt, ebenfalls Livisch / Englisch. Einige interessante Infos, und schöne Fotos, hat auch Heinz Wilhelm Pfeiffer auf seiner Webseite aufbereitet. Auch er bietet eine (sogar bebilderte!) Literaturliste an. Die Beschäftigung mit dem Livischen zumindest wird noch nicht so bald aussterben - Geschichte und kulturelle Eigenarten mehr zu erforschen: wer hier Gleichgesinnte sucht, wird im Internet einiges finden. Doch Vorsicht vor Generalisten - gerade im virtuellen Netz steht so einiges geschrieben, dessen Quellen und Wahrheitsgehalt unklar sind. Beispiel: Auf einer mit "finnourgische Sprachen" überschriebenen, und sachlich aussehenden Seite ist zum Beispiel zu lesen: "Livisch ist inzwischen ausgestorben,"..... "Der Begriff 'Livisch' wird bisweilen auf einen der Dialekte der lettischen Sprache angewandt." Um solche Missverständnisse zu vermeiden, ist vielleicht doch die neue bei ERAKSTI zu findende Infoseite sehr nützlich.



19. Oktober 2005

Männer leben gefährlich

Männer leben in Lettland wesentlich risikoreicher als Frauen - das bringen neue Zahlen des lettischen Statistikamtes in Riga zu Tage. Zwar sind sowohl bei den Verkehrsunfällen (Abb. unten, blaue Linie), bei Kriminaldelikten (grüne Linie) wie auch bei der Selbstmordrate (rote Linie) die absoluten Zahlen der Todesfälle rückläufig, aber immerhin sterben Männer in Lettland 5mal so häufig als Frauen an Selbstmord, 2,1mal mehr im Zusammenhang mit Verbrechen, 3,9mal mehr durch die Folgen übermäßigen Alkoholkonsums, und 3mal mehr durch Verkehrsunfälle. Ilze Naumova, Verfasserin des Untersuchungsberichts der Abteilung für soziale Statistik, schreibt auch, dass etwa mit dem Alter von 33 Jahren sich das bis dahin bestehende Gleichgewicht der Geschlechter zu ungunsten der lettischen Männer zu verschieben beginnt. Die Gesamtzahl der männlichen Einwohner Lettlands hat sich seit 1990, als 1240,5 Tausend Männer registriert waren, bis 2005 auf 1062,9 Tausend Männer verringert - also um 14,3%. Interessant ist auch ein Vergleich der einzelnen Landesteile. Bis zu einem Alter von 19 Jahren gilt zum Beispiel noch, dass in einer eher ärmeren Region wie Latgale im Osten Lettlands prozentual die meisten Söhne/Männer leben (19,1% aller Männer sind in Latgale jünger als 15 Jahre, demgegenüber in der Region Riga nur 14,5%). Bei der Altersgruppe der über 60 Jährigen liegt dann Latgale wieder hinter allen anderen Regionen zurück.

Mit jedem Jahr vermindert sich auch die Anzahl der frühen Heiraten, so die neue Statistik. Von allen im Jahre 2004 geschlossenen Ehen waren nur 1,2% der Männer jünger als 19 Jahre alt. Im Jahre 2000 waren dies noch 2,4%, und im Jahr 1990 sogar 7,5%. Insgesamt gaben 2005 53% der Männer an, verheiratet zu sein. 32% waren nicht verheiratet und 11,8% geschieden.

17. Oktober 2005

Ventspils wird Lettlands neuer Fährschiff-Knotenpunkt

Der ostseeweite Fährschiff-Linienverkehr kommt wieder einmal in Bewegung: nach dem Verkauf der FINNJET, bisher beliebte Verbindung zwischen den Häfen Rostock und dem estnischen Tallinn (früher auch Travemünde-Tallinn) ordnet sich der Linenverkehr neu. Viele der ehemaligen FINNJET-Kunden werden 2006 nach Alternativen suchen.

Wie das Aussenministerium Lettlands kürzlich in einer Pressemeldung bekanntgab, nehmen gleich zwei neue Fährlinien ab Oktober 2005 ihre Dienste auf: Neben einer Verbindung nach Karlshamn in Schweden wird auch eine Schiffsverbindung mit Rostock aufgenommen (Verlegung der Linie Rostock-Liepaja). Viermal die Woche sollen sich die "URD" und die "ASK" auf der Fahrt zwischen Ventspils und Rostock abwechseln. Dienstags, mittwochs, freitags und samstags je 19 Uhr ab Rostock, ab Ventspils ist jeweils morgens um 4.00 Uhr in der Früh (dienstags, donnerstags, freitags & sonntags) Abfahrt. Fahrzeit ist jeweils 27 Stunden.
Für Menschen ohne eigenes Fahrzeug wird die Überfahrt vor allem für die Fahrt nach Deutschland interessant sein - die Ankunft in Rostock liegt morgens um 7.00 Uhr. In Ventspils dagegen muss wohl schon gut vorgeplant haben, wer dort abends um 22.00 Uhr (wenn die Schiffe pünktlich sind!) ankommt. Dieser Fahrplan soll zunächst bis Ende des Jahres 2005 gelten.

Ebenfalls von Ventspils aus gibt es bereits eine Verbindung nach Lübeck (1x wöchentlich), sowie jetzt nach Karlshamn, Schweden (3x wöchentl.) und Nynäshamn, Schweden (5x wöchentl.).
Bereits Anfang der Saison 2005 hatte Ventspils für Aufsehen unter Reiselustigen und -veranstaltern gesorgt, als erfolgreich eine sommerliche Fährverbindung zwischen Ventspils und der estnischen Insel Saaremaa eingeführt worden war. Der Schiffsverkehr soll hier im Mai 2006 wieder aufgenommen werden.

13. Oktober 2005

Deutscher Demokratieexport nach Osten?

Ein "Programmfenster für Belarus" wolle man eröffnen, so kündigte die DEUTSCHE WELLE ihre neuen Sendungen an, die mit Finanzierung der Europäischen Union ab sofort Richtung Weissrussland ausgestrahlt werden. Der deutsche Sender hatte sich dabei, Meldungen von Fachmedien zufolge, mit seiner Bewerbung gegen den BBC World Service und den Fernsehsender Euronews durchgesetzt. Die EU fördert das neue Programmfenster mit 138.000 Euro.

Auch bei den baltischen Nachbarn der Belorussen erregt diese neue EU-Medienpolitik Aufsehen. Allerdings weniger deshalb, weil den Deutschen diese Aufgabe überlassen wurde, sondern vor allem daher, dass sämtliche Sendungen nur in Russisch ausgestrahlt werden. "Das ist letztendlich doch Diskriminierung!" erregt sich Askolds Rodins, Kommentator der lettischen Tageszeitung DIENA. Wenn die europäischen Staaten helfen wollten, Weißrussland von dem "letzten Diktator Europas" (Alexander Lukashenko) zu befreien, dann sei das ehrenwert, so Rodins. Das Land leide aber schon viel länger unter der Russifizierung als zum Beispiel Lettland. Die gesamte Intelligenz Belorusslands sei schon in den 20er Jahren ausgerottet und vernichtet worden, und ein freies Wort in Weißrussisch zu erheben, sei seither nicht mehr möglich.

Ganz andere Reaktionen ernten die neuen Sendungen, die 15 Minuten jeden Tag ausgestrahlt werden, in jenen Ländern, wo Russisch ausdrücklich verstanden wird. Der Kreml in Moskau meldete sich laut FAZ noch vor Programmstart zu Wort: "Was die Deutsche Welle sende, gehöre, sagte Sergej Jastrschembski, Berater des russischen Präsidenten Putin der Zeitung 'Nesawissimaja Gazeta', zu den Mitteln aus dem Arsenal des Kalten Krieges. Der Entschluß, das Programm zu starten, erhöhe Nervosität, Mißtrauen und Unzufriedenheit, die zwischen Minsk und der Europäischen Union herrschten, sagte der für die Beziehungen zur EU zuständige Kreml-Berater."
Foto: Blick auf Minsk. Quelle: Belarusnews

















Die Verantwortlichen der EU argumentieren anders: "Wir führen den Menschen vor Augen, was in anderen Ländern passiert, wie es eigentlich sein sollte, welche Möglichkeiten sie haben sollten zur freien Meinungsäußerung", so zitiert DEUTSCHE WELLE RADIO die EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner.
Die gleiche Quelle zitiert auch Wladimir Dorochow, den neuen verantwortlichen Redakteur des Weißrussland-Programmfensters: "Nur sieben Prozent benutzen Weißrussisch", meint er, und im Internet würden ja die Programminformationen auch in weißrussischer Sprache verbreitet, rechtfertigt er sich.
Die FAZ dagegen zitiert Cornelia Rabitz, Leiterin des Russland-Programms der DEUTSCHEN WELLE. "Offenkundig befürchte der Putin-Berater Jastrschembski, dass die für Weißrussland produzierten Sendungen der Deutschen Welle auch in Rußland gehört werden, wo die Medien vom Kreml gegängelt werden". so Rabitz.

Aber auch die kritische Perspektive aus Sicht der baltischen Staaten wird teilweise von deutschen Medien geteilt. "Ausgerechnet in der Besatzersprache Russisch" sende die DEUTSCHE WELLE, so Barbara Oertel in der TAZ. Oertel zitiert unter anderem Litauens Ex-Staatspräsident Vytautas Landsbergis mit der Aussage, dass man sich mit einer derart konzipierten Sendung "zu Russlands Komplizen bei der Russifizierung seiner Nachbarn" mache.

Der lettische Polit-Kommentator Rodins dagegen hofft, dass die Förderung der Demokratie in Belorussland Erfolg haben werden. "Dennoch hätte man auch die gegenwärtig funktionierenden Radiostationen in der Nähe einbbinden können - Litauen, Polen oder Lettland. Das wäre sicher noch effektiver gewesen." - Da hätte man ihm die Lektüre der TAZ empfehlen können, die aufführt, warum das wohl nicht möglich war. So hätten die Sendeanstalten "einen jährlichen Mindestumsatz von drei Millionen Euro" nachweisen müssen - das schließe die Bewerber aus Lettland, Litauen oder Polen von vornherein aus. Wer zahlt, bestellt eben auch die Musik.