11. Juni 2005


"vergifte Dich nicht selbst" - so der Slogan des Aufrufs gegen die illegalen Alkoholh�ndler in Lettland
Ungew�hnliche Methoden gegen Trunksucht in Lettland

In Schweden geht der Kunde ins "Systembolaget", in Deutschland zu sp�ter Stunde vielleicht noch zum Kiosk an der Ecke. Und in Lettland?
In der Sowjetzeit hatte man sich an die Mangelwirtschaft gew�hnt. Die drei bis vier Sorten Hochprozentiges, die in jeder Eckkneipe zu haben waren ("Napoleon Brandy", oder nat�rlich der bekannte "schwarze Balsam"), das bremste nat�rlich nicht den Drang, auch andere Sorten probieren zu wollen. Wo gab es diese? Aus Sowjetzeiten noch bekannt, und heute offensichtlich immer noch in Gebrauch, ist da das beliebte Codewort "to?ka". Es stammt aus dem Russischen, und heisst eigentlich nichts anderes als "Punkt", aber in diesem Fall ist eben ein ganz besonderer Ort gemeint. Solche "to?kas", meist in Privatwohnungen unterhalten, stellen nichts anderes als illegale Alkoholverkaufststellen dar - ohne Kaufbeleg und Mehrwertsteuer, selbstverst�ndlich. Und wenn sie vor einigen Jahren noch dazu da waren, auf unkomplizierte Weise, und zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit �berhaupt die wirklich nachgefragten Sorten Wodka, Cognac oder auch Wein zu bekommen, so umgehen sie heute nat�rlich einerseits die stark angestiegenen offiziellen Verkaufspreise, und andererseits Verbote wie in der Stadt Riga, wo nach 22.00 Uhr kein Laden mehr Alkohol verkaufen darf.

Nun gibt es eine Gegenbewegung. Eine Kampagne "Vergifte Dich nicht selbst" wurde von der Tageszeitung "Latvijas Avize" gestartet. "Melden Sie uns die Adressen der illegalen To?kas," so rief die Zeitung ihre Leserinnen und Leser auf. Und, siehe da: diese besondere Art der "Nachbarschaftshilfe scheint zu funktionieren. Bis zum 10.Juni 2005 gingen bereits 670 Briefe aus dem ganzen Land ein, so res�mierte die Zeitung in ihrer Ausgabe am 11.Juni. Allerdings werden nun den Lesern auch ein paar andere Vermutungen vermittelt. Die meisten illegalen Alkoholh�ndler werden nat�rlich in Riga vermutet, so der Journalist Ervins Cirulis, der Autor des Aufrufs. Diese Zahl habe man von der Rigaer Polizei erhalten. Demgegen�ber habe man aber erst 42 konkrete Meldungen zu "to?kas" von dort zugeschickt bekommen. Halten also Rigas Alkohol-Verkoster eng zusammen? Oder sind es russische H�ndler, die andere Tageszeitungen lesen?

Die gro�e Mehrzahl der "Meldungen" gehen aus den Kleinst�dten und aus kleinen Ortschaften Lettlands bei der Zeitung ein. Ob dies daran liege, dass hier eben jeder jeden kenne, und welche Region in dieser Statistik die F�hrung �bernimmt, das will Cirulis seinen Lesern bisher nicht verraten. Die "Ankl�ger" selbst beschweren sich teilweise heftig: die illegalen Verkaufsstellen seien sowohl der �rtlichen Polizei, als auch der Verwaltung gut bekannt. Ja, einige beschreiben sogar, dass die Amtspersonen selbst dort "einkaufen" w�rden. Gleichzeitig ist gerade auf dem Lande bekannt, dass �berm��iger Alkoholgenu� gerade hier ein gro�es Problem in vielen Familien darstellt - besonders, was die M�nner angeht. Ob alte Leute ihre karge Rente f�r ein "Fl�schchen" verwenden, oder Arbeitslose ihre "St�tze" - die folgen der Sucht betreffen viele.

Aber damit nicht genug. Ausser den illegalen H�ndlern gibt es auch diejenigen, die entweder selbst gebrannte Marken unklarer Qualit�t verkaufen, oder auch schon mal eine Flasche "echten" mit reinem Wasser vermischen, und so die g�nstigen Verkaufspreise erreichen. Es hat auch gelegentlich schon F�lle gegeben, wo Stra�enh�ndler gesundheitsgef�hrdende Ware verkauft haben - teilweise mit Todesfolge f�r die Konsumenten.

Es bedarf also einiges an "Vertrauen" in die "to?kas". Ob die "Latvijas Avize" mit ihrer Aktion etwas erreichen kann - das bleibt vorerst unklar. Am 11.Juni jedenfalls wurde den Lesern mitgeteilt, man werde eine komplette Liste mit den erhaltenen Hinweisen dem lettischen Innenministerium �berreichen - aber erst nach den Feiern zu Mittsommer (23.Juni), der lettischen "f�nften Jahreszeit", die ebenfalls im ganzen Land nicht gerade durch besonderes Abstinenzverhalten der Letten bekannt ist.

6. Juni 2005

Geh doch zu den Briten!

Anwerbung lettischer Arbeiter für Großbritannien: Betrug an EU-Neubürgern?


Anwerbung für Bau-Hilfskräfte in Riga: "Rufen Sie an, wir haben Arbeit für Sie" - so versprechen es die Großplakate mit englischem Absender.

"Zwei Tage musste ich auf der Straße schlafen" - so schildert es der lettische Student Atis C., der lettischen Tageszeitung "Latvijas Avize" in der Ausgabe vom 4.Juni 2005. Atis ist 20 Jahre alt und Student des 2.Semesters in Riga. Wie so viele, muss er sich sein Auskommen mit Jobs bestreiten. Doch warum arbeiten Letten in Gro�britannien? Viele Deutsche malen sich aus, in Osteuropa würde der Hunger grassieren und es gäbe überhaupt keine Arbeit. - Für den "Mann auf der Straße" in Lettland sieht die Perspektive völlig anders aus: Die meisten sind es gewohnt, sich mit mehreren Jobs über Wasser halten zu müssen. Nur wenige verdienen so viel, dass eine einzige Tätigkeit einen bequemen und langfristigen Lebensunterhalt garantiert.
Arbeit gibt es genug in Lettland. Die Bauwirtschaft boomt - gerade in Riga schiessen beinahe alltäglich neue Bauten in die Höhe. Doch "good old Britain" lässt sich nicht lumpen: mit Großplakaten an Bushaltestellen und an Häuserwänden wirbt man um lettische Gastarbeiter - eine Vorgehensweise, die in Deutschland undenkbar scheint.

Doch in vielen Fällen scheint es ein schnelles Geschäft mit den Träumen junger EU-Neubürger zu sein. "Der angebotene Arbeitvertrag erschien vielversprechend", erzählt Atis in der 'Latvijas Avize". "Ich habe mich bei der in Riga gegistrierten Firma EIROPAS EXPERTI gemeldet. Es wurde 1200 Lat als Monatslohn angeboten. Und plötzlich ein Anruf: Es muss ganz schnell gehen, es ist ein Platz frei geworden in einer Eiscreme-Fabrik in England. Und im Arbeitsvertrag stand sogar, dass man das Recht auf einen anderen Arbeitsplatz habe, falls sich das Angebot als nicht zufriedenstellend erweisen sollte."

Die angebotenen 800 Euro (umgerechnet) stellen immerhin etwa das doppelte des Lohnes dar, was ein voll ausgebildeter Arbeiter in Lettland durchschnittlich monatlich verdienen kann. Atis lieh sich Geld von seinen Eltern für die Reise und auf ging's ins Tony-Blair-Land.

"Als ich in England ankam, war es von Anfang an ziemlich verdächtig, was dort vorging," erzählt Atis heute von seinen Erfahrungen. Erst nach langem Warten nahm ihn ein Mann in Empfang, der ihn dann zu einer 36-qm-Wohnung führte, in der fünf Menschen untergebracht werden sollten. Als Atis der Arbeitsvertrag vorgelegt wurde, gab es plötzlich keine Zeit mehr, sich diesen überhaupt sorgfältig durchzulesen. "Ab diesem Moment begann ich zu verstehen, dass hier nichts Gutes zu erwarten war," so Atis heute, "es war nur irgendeine Vermittlerfirma, mit der ich es zu tun hatte. Ich rief die Firma in Lettland an, die mir die Zusagen gemacht hatte. Schon am nächsten Tag wurde ich in England von der Firma einfach auf die Straße gesetzt!"

Atis musste sich zwei Tage auf englischen Strassen herumtreiben, bis ein barmherziger Brite ihn für ein paar Tage privat aufnahm. Ein neuer Job wurde ihm durch EIROPAS EXPERTI nicht angeboten. "Meine einzige Rettung war, dass ich etwas Englisch spreche, und ich mir nach einigen Tagen selbst eine andere Arbeit suchen konnte," so Atis heute.

Die lettische Zeitung "Latvijas Avize" interessierte sich für die Sache, und rief bei EIROPAS EXPERTI in Riga an. Telefonische Auskunft gab der Chef der Firma, Maris Sergejenko, so "Latvijas Avize" in der Ausgabe vom 4.Juni 2005. "Maris erklärte uns: Atis ist selbst schuld. Er hat sich mit seinem englischen Firmenchef angelegt - und als er in England auf andere Letten traf, da merkte er wohl, dass es anderswo mehr zu verdienen gab." Danach gefragt, warum Atis aber ein anderes Arbeitsangebot verweigert worden sei - da legte der Chef der "Europa-Experten" einfach den Hörer auf.

Als Konsequenz aus solchen Zuständen, und als Warnung an zukünftige interessierte Jobsucher, veröffentlichte Atis seine dringendsten Ratschläge ebenfalls in der gleichen Ausgabe der lettischen Zeitung.
1) wenn Du die Landessprache nicht beherrscht, wirst du niemals Dich bei Problemen selbst behelfen können
2) nimm Dein Mobiltelefon mit, und suche Dir Möglichkeiten über öffentlich zugängliche Internetstellen Dich mit Angehörigen zu Hause in Verbindung zu setzen
3) nimm Verpflegung für mindestens die ersten zwei Wochen mit
4) nimm Deine Kreditkarte mit (wenn Du eine besitzt), denn so kannst Du ohne Wechselgebühr an Geld kommen
5) rede mit den Menschen am Arbeitsort, erfrage die Dinge, die Du nicht verstehst
6) Nimm den Arbeitsvertrag, den Du in Lettland bekommen und unterschrieben hast, auf jeden Fall in Kopie zum Arbeitsort mit

(Informationen aus LATVIJAS AVIZE vom 4.Juni 2005 - eigene Übersetzung)