27. Juli 2006

Neue Einsichten, alte Ansichten

Eigentlich war ich auf der Suche nach Informationen über den unter Denkmalschutz stehenden Holzpavillon im Park Arkadija in Riga - der ist nämlich vor eingen Tagen ausgebrannt (TVNET, DIENA, Delfi.lv, NRA, Apollo.lv). Brandstiftung, mal wieder ein schönes Gebäude weniger in Riga. :-(
Abseits aller Prunkbauten auf der "guten Seite der Daugava", in der Rigaer Altstadt (die inzwischen von Banken und Edelrestaurants geradezu okkupiert ist). "Arkadija" liegt in "Pardaugava", also auf der anderen Seite des Flusses. "Arkadija" heißt der Park (gemäß den bekannten griechischen Mythen) seit 1910, und der bis vor kurzem noch bestehende Holzpavillon war zunächst Restaurant, dann beherberte er in der Sowjetzeit ein Kino. Jetzt gibt es Spekulationen, dass die zuständigen Behörden des Stadtrats und die mit ihnen oft "verquickten" neureichen Unternehmer schon lange darauf warteten, dass dieser Platz endlich "frei" wird für "lohnenswertere" Geschäfte ....

Weniger bekannt ist heute, dass es genau dieser Park war, wo sich zu den Glanzzeiten der lettischen Unabhängigkeitsbewegung die Demonstranten versammelten, wenn ihnen wieder mal von den Stadtoberen das Demonstrieren in der Altstadt verboten worden war. Slogans wie "Kein Ubahn-Bau in Riga!" oder Ähnliches hat der Park also vielfach gesehen. Und auch in der ersten "Nachwende"zeit hielt eine Initiativgruppe des lettischen Umweltverbands "Vides Aizsardzibas Klubs" (VAK) Haus und Park in Ordnung: zunächst waren es Austellungen von in Sojwetzeiten "unerwünschter" Malerei, dann Seminare zur Umwelterziehung, und schließlich auch Kulturfestivals wie Maskenball, Kinderfeste und Theater zum Selbermachen.
Aber der Stadtrat - das Gelände ist in staatlichem Besitz - weigerte sich jahrelang standhaft, das Gelände zu "privatisieren", also entweder zur privaten Nutzung per vertraglicher
Regelung langfristig freizugeben, oder zu verkaufen. Ende der 90er Jahre gaben die Bürgerinitiativen schließlich auf ... - das private Leben war inzwischen für sie auch zu teuer geworden, um sich mit dieser Arbeit, ohne Aussicht auf realistische Angebote des Stadtrats - rein ehrenamtlich herumzuschlagen. Als auch die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung, die zwischenzeitlich Seminare und einige Umbauarbeiten gefördert hatte, die Zusammenarbeit einstellte, war es mit dem bürgerschaftlichen Elan vorbei. Das Gebäude verfiel immer mehr.

Nun ist es also abgebrannt. Schon vor Jahren war eine kleine in der Nähe liegende Bühne niedergebrannt (als "Brandstifter" werden in den lokalen Medien meist "herumlungernde" Obdachlose vermutet). Anfang des Jahres brannte es in einem Anbau des Pavillons. Und nun also das Gebäude selbst. Was bleibt zu sagen?

Wie gesagt, "eigentlich" war ich auf der Suche nach Informationen dazu. Dann geriet ich auf eine Seite der lettischen Nationalbibliothek, die zunächst einen Ausblick von den ehemaligen Dünen des Arkadija-Parks auf die Rigaer Stadtsilhouette zeigt. Was aber hier sonst noch alles versammelt ist! Ein Klick nach Links oder Rechts, und schon wandern wir durchs alte Riga vor beinahe 100 Jahren!
Wollten Sie schon immer mal wissen, wie der Rigaer Pulverturm vor dem Umbau (der in den 30er Jahren vorgenommen wurde) aussah?
Oder wussten Sie schon, dass die großen Sängerfeste früher direkt im Stadtzentrum, auf einem großen Pletz (etwa dort, wo heute das Janis-Rainis-Denkmal in einem Park steht) veranstaltet wurden? Oder Sie möchten sich mal eine dramatische Darstellung des ehemaligen "Deutschen Theaters" (heute Rigaer Oper) ansehen?
Dank der Lettischen Nationalbibli
othek - die ja momentan sich auf einen Bilbliotheks-Neubau an der Daugava vorbereitet - müssen Sie für solche Einblicke kein Sammler alter Postkarten sein!
Dank diesem schönen Projekt können wir uns ganz leicht einmal das Wohnhaus von Richard Wagner (so wie es vor 100 Jahren aussah) ansehen, oder auch das ehemals an der Stelle des heutigen Unabhängigkeitsdenkmals befindliche
Reiterstandbild Peters des Großen (vor dem 1.Weltkrieg).

Auch Sozialgeschichtliches können wir durch bloße Ansicht dieser alten Postkarten dazulernen. Etwa vom "Tag der weißen Blumen", wenn hübsch geschmückte Wagen durch die Straßen fahren, um an diesem Tag für Spenden zugunsten Tuberkulosekranker zu werben.

Aber neue Einsichten aus alten Ansichten - können wir darauf hoffen? Werden die Rigaer Stadtväter jetzt - nach jahrelang gezeigtem Desinteresse - jetzt doch Sponsoren finden für einen Wiederaufbau des schönen Holzpavillons im Arkadija-Park? Oder werden wir in dieser bisher so erholsamen und unaufgeregten Ecke Rigas in Kürze eher ein teures Luxusrestaurant, oder gar einen kommerzorientierten Vergnügungspark wiederfinden?

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