29. November 2006

Geburtstag mit Militärmusik

"Alles normal verlaufen" - könnte man sagen, nachdem der aufwendig abgesperrte NATO-Summit in Riga schon wieder vorüber ist. Keine Unruhen, keine Eier- oder Tomatenwerfer, keine gewalttätigen Tumulte auf Rigas Straßen, keine plakativen Aktionisten. Wenn da nicht die Gerüchte um Russlands Präsident Putin gewesen wären. Ein neues Wort für die versammelte Auslandspresse, die in Riga versuchte Näheres zu erfahren: "Tikai baumas" - alles nur Gerüchte. Dennoch ein Lehrstück.

 Wer hatte ein Interesse, überhaupt die russischen Interessen in Riga zur Sprache zu bringen? Ein offizielles NATO-Russland-Treffen war auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Da veröffentlichten am 28.11. spät abends russische Zeitungen erste Thesen über einen "spontanen Besuch" Putins auf dem Gipfel. In der Basler Zeitung war zu lesen, Chirac habe schon während des Besuchs in Estland, am Tag vor dem NATO-Treffen, mit Putin telefoniert. Nun gut. Russland-Aktuell machte daraus eine Schlagzeile "Putin überrascht Riga mit einem Besuch" - vielleicht zu fortgeschrittener Stunde geschrieben. Die Geschichte setzte sich aber noch bis nach Mitternacht fort, die meisten Journalisten gehen da vielleicht ins Bett - wenn sie nicht im unbekannten Ausland von wichtigen Gipfeltreffen alpträumen müssen. Die selbsternannten Yellow-Nato-Press-Experten von Russland aktuell garnierten die Schlagzeile noch etwas weiter: "Putin will uns nur den Gipfel stehlen“, so etwas schob man US-Amerikanern als angebliche Zitate in den Mund. Haben wir im Westen die Schlagzeilen verpasst? Nein, keineswegs - wozu gibt es Online-Medien. Da lässt sich am laufenden Band schreiben und wieder streichen, was am nächsten Tag wahrhaft "Schnee" von gestern ist. 

 DIE WELT schreibt plötzlich: "Putin will sich einschleichen!" Hier wird plötzlich fabuliert, Staatspräsidentin Vike-Freiberga (wirklich eine viel beschäftigte Frau dieser Tage!) habe ANGST mit diesen beiden Männern allein essen gehen zu müssen (Chirac und Putin). Na, wenn die WELT es schreibt - da zieht doch BERLIN ONLINE noch mit einer Glosse nach. Seine angeblichen spontanen Besuchpläne werden hier gar als "teuflische Idee" hochstilisiert, und nun wird auch über Jacques Chiracs Befinden spekuliert: angeblich hasse der es, überhaupt auf sein Alter angesprochen zu werden. Auch die lettische Presse - sicher ein dankbarer Partner, wenn es um wilde Spekulationen um das russische Innenleben geht - griff das Thema inzwischen ebenfalls auf. "Putin könnte in Riga auftauchen" - pointiert DIENA den schönen Spruch aus dem "Kalten Krieg", dass die Russen eben doch bereits vor der Tür stehen. "Putin und Chirac könnten den Gipfel kaputt machen", dramatisiert TVNET. Bei LETA dagegen klingt es doch wieder recht vage: "Putin hofft Chirac zum Geburtstag gratulieren zu können." Ich kann es mir so richtig vorstellen: Gemeinsam fragt die versammelte Journalistenmeute bei allen verfügbaren Pressesprechern an: wird er, soll er, darf er - oder kommt er gar heimlich? Chiracs Büro wehrt sich nicht gegen den Ansturm. Das Putin gern gratulieren möchte, wird bestätigt. Das Büro Vike-Freibergas sieht sich schließlich genötigt zu erklären, natürlich könne man eine entsprechende Feier organisieren - wenn dies gewünscht werde, und natürlich wenn überhaupt Zeit im dicht gedrängten Kalender bliebe. 

Bis DIENA (in der kürzlich erst geschaffenen Online-Ausgabe des Blattes) von einer russischen Agentur erfährt: Putin kommt nicht! Manche wollen das Ende dieser Schaumschlägerei erst am anderen Morgen bemerkt haben. Da war Staatspräsidentin Vike-Freiberga schon auf dem Weg, Chirac vor Beginn der morgentlichen NATO-Treffen offiziell eine üppig ausgestattete Torte zu überreichen (ob Chirac überhaupt gerne Kuchen ist - darüber wurde leider gar nichts geschrieben...). Nun ist die Zeit zum Erbsenzählen. "Chirac muss ohne Putin feiern", verkündet nun RUSSLAND.RU, nicht ohne genüßlich die Konkurrenz zu zitieren, die anderes geschrieben hatte. REUTERS verkündet am 29.11. um 7.32 Uhr offiziell: "Putin wird nicht kommen." Nun zitieren TVNET und LETA wiederum Chirac mit den Worten, er sei niemals Initiator oder Organisator solcher Pläne gewesen. Das wirkt dann schon fast wieder presse- technisch interessant: 

Kann man ihm das glauben? Der russische Botschafter in Lettland, Viktors Kaļužnijs, verweigert in der lettischen Morgensendung "900 Sekunden" im TV leider wieder jeden Kommentar - schade eigentlich. Statt dessen treibt die lettische Presse aber Dmitrijs Peskovs auf, ein stellvertretender Pressesprecher, angeblich der des russischen Präsidenten, der gegenüber der russischen Agentur ITAR-TASS angeblich bestätigt habe, das es mal Pläne zu einem Geburtstagsbesuch Putins gegeben habe ... Ach, wie schön, wieviel doch auf der Welt so geschrieben wird, und wie langweilig es doch manchmal sein mag, wenn so viele Journalisten an ein und denselben Ort geschickt werden. 

  Das schönste war vielleicht das Ende dieser Geschichte. Auf der offiziellen Infoseite des NATO-Summits ist ein Video der Pressekonferenz von Präsidentin Vike-Freiberga nach Ende des Gipfels herunterzuladen. Gefragt, warum das Geburtstagstreffen mit Putin nicht stattgefunden habe, ob sie selbst etwa etwas dagegen gehabt habe, antwortet VVF souverän: "Ach wissen Sie, nächstes Frühjahr wird es einen ganzen Monat mit französischer Kultur hier in Riga geben, und Jacques ist einer der größten Unterstützer. Was Gäste angeht: außer den 25 Regierungschefs jetzt im Moment hatten wir in diesem Jahr schon drei Königinnen zu Gast, Besuche der Präsidenten von Aserbeidjan, Kasachstan, nächstes Jahr steht Besuch aus Japan an, - ich selbst bin eine sehr gastfreundliche Person, seien Sie dessen versichert, und wir werden niemanden einen Besuch verweigern. " Na denn - nur Mut, Vladimir - vielleicht nimmst Du Gerhard S. mal mit nach Riga, und hast noch einen Aufsichtsratsposten für Jacques C. bereit - es stehen in Frankreich bald Präsidentschaftswahlen an! 

28. November 2006

Riga menschenleer

Der NATO-Gipfel fegt Rigas Altstadt leer. Rund um die Tagungsorte der Polit-Promis ist eine strenge Sicherheitszone angelegt, die meisten Betriebe erklären den heutigen Tag sogar zum Feiertag (und verlegte den Arbeitstag auf den vergangenen Samstag vor, oder arbeiten nächsten Samstag nach). Viele Menschen stellen sich darauf ein, Ergebnis: die Altstadt Rigas wirkt heute dermaßen leergefegt, saubergeleckt und menschenleer wie lange nicht mehr.

Nicht abgeschaltet wurden aber einige Webcams: "Big Brothers and Sisters - still watching - ?"

Riga Webcams:


Kalku iela

Schwarzhäupterhaus

Erholung vom NATO-Rummel: Eislaufen am LIDO

Keine Erholung: Wegen NATO-Rummel geschlossenes Geschäftsbüro


Ein simpler Merksatz

Im Umfeld des NATO-Gipfeltreffens in Riga wird gegenwärtig eine Menge Infomaterial zu Riga und Lettland neu aufbereitet. Über 1700 Medienverteter/innen aus aller Welt wollen "gefüttert" werden ...

Eine fantastisch kurz gefasst Definition findet sich unter den Materialien zu lettischer Geschichte. Eigentlich sind es - neben einer historischen Karte - nur drei ganz kurze Sätze, und zwar folgende:
"Die Republik Lettland wurde gegründet 1918. Sie wurde beständig seit 1920 von anderen Ländern als Staat anerkannt, trotz Okkupationen durch die Sowjetunion (1940-41, 1945-1991) und durch Nazi-Deutschland (1941-45). Am 21.August 1991 erklärte Lettland die Wiederherstellung seiner de facto Unabhängigkeit."

Noch Fragen?







Andere Materialien:
- Neuer Film des Lettischen Instituts (downloadbar): Sounds like Latvia
- Ein nettes, älteres Foto von "unsere Angela" in der Liste der zum NATO-Summit erwarteten Regierungschefs
- Angela Merkel lädt zum Video-Podcast aus Riga ein
- Erinnerungsposter (auch als "Wallpaper" für den Desktop gedacht)
- Webcast vom Riga-Gipfel
- Alles über die lettischen wollenen Handschuhe, die den 4500 Gästen als Geschenke überreicht werden
- Extra-Post: die Sonderbriefmarke des Riga-Gipfels

24. November 2006

NATO-Gipfel: mit den "Dialogen von Jurmala" fing es an

In den Tagen kurz vor Beginn des NATO-Gipfels in Riga wird häufig betont, dass dies das erste Treffen des nordatlantischen Militärbündnisses in einer früheren Sowjetrepublik sei. Schon am 11.Oktober hatte aber die lettische Tageszeitung DIENA zurecht auch an den Beginn ernsthafter Dialoge zwischen Vertretern der USA und der damaligen Sowjetunion erinnert.Vom 15.-19.September 1986 - also vor ziemlich genau 20 Jahren - hatten die "Dialoge von Jurmala" für internationales Aufsehen gesorgt. Erstmals trafen damals sogenannte "Vertreter der Gesellschaft" aus den USA und der Sowjetunion aufeinander. Auf beiden Seiten waren die Repräsentanten sicherlich "handverlesen" - aber heute wird das damalige Ereignis im großen "Dzintars"-Konzertsaal des lettischen Badeortes offensichtlich auch als Beginn eines Prozesses gesehen, der Offenheit, Demokratie und Redefreiheit auch in Lettland wieder zur Geltung verhalf. (Fotos: Archiv INFOBALT, Bremen)

Es war die Regierungszeit von Ronald Reagan und Michael Gorbatschow. Die Abrüstungsfrage zwischen den Großmächten (Stichwort "Rüstungswettlauf") wurde dabei 1986 "als die unschuldigste Frage aller Fragen" behandelt - so sieht es Jurist Aloizs Stepēns in seinem Rückblick heute (DIENA 11.10.06). Das Verständnis zu Menschenrechtsfragen sei damals zwischen den beiden an den Gesprächen beteiligten Großmächten diametral e
ntgegengesetzt gewesen, so sieht es Stepēns heute. Trotz gut vorbereiteter Inszenierungen der Sowjetführung seien damals dennoch einige Themen in die lettische Öffentlichkeit gelangt, die in der Art der Diskussionsweise vorher unbekannt gewesen seien. So habe der damalige Reagan-Mitarbeiter und späterer US-Botschafter in Moskau, Jack Matlock, bereits 1986 in Jurmala offen angesprochen, dass die USA den erzwungenen Verlust der Unabhänggikeit Lettlands nach dem 2.Weltkrieg niemals offiziell anerkannt hätten.

Die Veröffentlichung einer öffentlichen Dokumentation der "Jurmalas Dialogi" fiel dann 1987 bereits in eine Zeit, als die lettische Volksfront, die Unabhängigkeitsbewegung,
die Umweltbewegung, sich bereits ebenfalls stark genug für ein öffentliches Auftreten fühlten. („Jūrmalas dialogi – PSRS un ASV sabiedrības pārstāvju tikšanas“. Verlag Avots, Riga, 1987, 327 Seiten).
Diese Konferenz 1986 in Jurmala war das erste öffentlich dokumentierte Aufeinandertreffen von hochrangigen Vertetern der USA und der damaligen Sowjetmacht. Ein Versuch des Austausches, der natürlich seine Grenzen in den damaligen Möglichkeiten hatte. Etwas Ähnliches hatte es damals bis dahin auf dem Gebiet der Sowjetunion nie gegeben - der Anfang zu selbstständigem Nachdenken von lettischer Seite, das Schicksal in die eignene Hände zu nehmen. Politisch interessierte Menschen in Lettland blicken heute Richtung Ukraine, Weißrussland oder Georgien, wenn sie sich dieser Zeiten erinnern.




21. November 2006

Besuchen Sie Riga ..... bitte etwas später

Riga ist eine schöne Stadt. "Nächste Woche ist in Riga der NATO-Rummel los", warnte heute eine Reisesendung des WDR-Fernsehens, und vertröstete ungeduldige Lettland-Urlauber lieber auf die Zeit danach. In Riga selbst weiß es inzwischen jeder, denn täglich kommen neue Meldungen über die Vorbereitungen, Verhaltensregeln, Ansagen und Informationsveranstaltungen zum militärischen Groß-Event - der sich gerne so volkstümlich wie möglich geben würde.

 Am 7.Dezember 2005 gab Präsidentin Vīķe-Freiberga bekannt, dass Riga als Ort des nächsten NATO-Gipfeltreffens auserkoren sei. Schon in der ersten Pressemeldung ist von den Kosten die Rede - man könnte sich erinnert fühlen an die gegenwärtig in Deutschland laufende Diskussion um den G8-Gipfel in Heiligendamm (Meck-Pomm) nächtes Jahr. Aber Riga sieht es nach einer Vergangenheit als Austragungsort für Grand Prix d'Eurovision, 800.Städtegeburtstag, Eishockeyweltmeisterschaft, US-Präsidentenbesuch, und etlichen großen internationalen Konferenzen wohl lediglich als beinahe sportliche Herausforderung: auch damit werden wir noch fertig werden! 15 Millionen Lat (22 Millionen Euro) - das war schon vor einem Jahr die Summe der ersten Kostenschätzung. Damals war in lettischen Medien auch davon die Rede, dass auch Portugal diesen Gipfel gern veranstaltet hätte, und dass einige der 26-NATO-Mitglieder besorgt gewesen seien, ein NATO-Treffen in einem ehemaligen Sowjetstaat würde Moskau verärgern. Das lettische Aussenministerium hatte sich beeilt zu erkären, man würde sich selbstverständlich auch über die Teilnahme des russischen Präsidenten Putin freuen - der 2004 dem NATO-Treffen in Istambul fern geblieben war. 

Die lettische Öffentlichkeit reagierte zunächst wie erwartet. "Wichtig, aber teuer", titelte die Tageszeitung Neatkarīga Rīta Avize (NRA). Daher war es wohl wichtig, auch investive Maßnahmen zu betonen, die der Stadt Riga zu Gute kommen sollten: der Ausbau des Flughafens Riga (heute mit sagenhaften Rabatten für Billig-Flieger vorangetrieben), und die völlige Renovierung des DAILE-Theaters noch vor dem Gipfel. Für Rigenser eher abschreckendes Beispiel war der erste Besuch von US-Präsident Bush im Frühsommer 2005 - fast ganz Riga war abgesperrt, nichts ging mehr. "Beim NATO-Gipfel erwarten wir 26 Delegationen plus Generalsekretär - aber es soll nicht wie ein Bush-Besuch mal 26 werden," beeilte sich denn auch der Staatssekretär im lettischen Verteidigungsministerium, Edgars Rinkēvičs, schon vor einem Jahr zu versprechen. Er fügte hinzu: "Das Ereignis wird aber ein Test sein, ob unsere Sicherheitsmaßnahmen auf dem notwendigen Stand sind." Der 28. und 29.November 2006 werden in Lettland Feiertage sein - aus rein praktischen Erwägungen. 

So kann der Strom der in die Stadt hinein und wieder hinaus strömenden Menschen (und Autos) besser unter Kontrolle gehalten werden. Der Arbeitstag des Montags (27.11.) soll möglichst auf den Samstag (25.11.) vorgezogen werden. Seit September berichten nun die Medien von den laufenden Vorbereitungen. 4500 Paare wollener Handschuhe sollen den NATO-Gästen als Willkommensgeschenk überreicht werden (REUTERS). Daneben werden es auch noch eine Folklore-CD und natürlich eine Flasche "Melnais Balsams" sein. Auch Sweatshirts soll es noch geben, und 5550 Kugelschreiber liegen bereit - "kleine Souvenirs" im Wert von insgesamt 50.000 Lat, berichtete die lettische Presse. Am 26.Oktober gab es vorab schon mal "lettische Küche" im NATO-Hauptquartier in Brüssel: graue Erbsen, geräuchertes Huhn, "Jägerwürstchen", Nachtisch aus Roggenbrot, und Užava- und Lačplēsis-Bier dazu. Den ganzen Sommer lang hatte die lettische Pro-NATO-Organisation ("LATO") Infozelte abwechselnd in vielen Städten aufgestellt, um positive Stimmung zu schaffen. "Es gab Malwettbewerbe und andere Preisausschreiben," erklärte LATO-Generalsekretär Mārtiņš Mūrnieks. Während der Gipfel-Zeit wird die LATO dann in hoher Auflage englischsprachig die RIGA PAPERS herausgeben. Hier sollen Wissenschaftler/innen und Journalist/innen Analysen zur Sicherheitspolitik veröffentlichen können - darunter die lettische Politologin Žaneta Ozoliņa, der US-Diplomat Richard Holbruck, und Christoph Bertram, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Umweltorganisation "Greenpeace" hat während des NATO-Gipfels eine Demonstration in Riga angemeldet. Zu diesem Zweck wurden die lettischen Sicherheitsbehörden um Gewährung eines Liegeplatzes für ein Schiff gebeten. Gewaltsame Aktionen würden aber in keinem Fall toleriert, so Staatssekretär Rinkēvičs. Aufgezählt wurden in den lettischen Medien (DIENA) noch einmal die Vorkommnisse beim NATO-Gifpel in Istambul 2004 (mehrere Tausend gewaltsam vorgehende Demonstranten) und in Prag (relativ friedlicher Gipfel - lediglich der damalige NATO-Generalsekretär Robertson wurde mit Tomaten beworfen). 

  In Riga haben inzwischen im Theater DAILE NATO-Informationstage ("Tage der offenen Tür") begonnen. Pläne, das Theater als Tagungsort vorzusehen, waren wegen Sicherheitsproblemen inzwischen aufgegeben worden. Nun wird nur in der Rigaer Oper und im Olympischen Sportzentrum ARENA getagt. Ministerpräsident Kalvitis besichtigte derweil schon mal die beiden NATO-Schiffe "USS Monterey" und "HMS York", die zur allgemeinen Sicherheit (unter anderem per Radarüberwachung) in Riga beitragen sollen. Er freute sich, dass auch Schulklassen die Gelegenheit zur Besichtigung bekommen können, und erinnerte vor versammelter Presse an eigene Erfahrungen in Seefahrt ("das Schiff, auf dem ich Dienst tat, war noch acht Jahre jünger als dieses ..."). Insgesamt sollen 9.000 Sicherheitskräfte in Riga während der Veranstaltungswoche Dienst tun - auch aus anderen NATO-Staaten.  

Bei soviel positiver Stimmung - wer mag da noch Kriegsgegner sein? Die meisten Lettinnen und Letten werden wohl erstmal hoffen, dass alles normal über die Bühne geht - zum Krisengebiet möchte man selbst lieber nicht mehr werden. Kritik am militärischen Werbe-Trommeln kommt denn auch zunächst einmal nur von solchen Gruppen, die im vergangenen Parlamentswahlkampf schlecht abgeschnitten haben und nun die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für eigene Zwecke nutzen wollen. "Rufen Sie die Telefonnummer 8008282 an, wenn Sie noch Fragen zur NATO haben," dieser Aufruf wird inzwischen in lettischen Zeitungen veröffentlicht. Danke - vorläufig keine Fragen mehr, liebe Ordensträger. Wir hoffen, dass Sicherheitspoltik nicht nur aus militärischen Muskelspielchen besteht!  

Militärpolitische Themen, die im Vorfeld des NATO-Gipfels diskutiert wurden: - Lettland überlegt, eigene Kampfflugzeuge anzuschaffen (nachdem bisher die Luftüberwachung durch verschiedene andere NATO-Einheiten abwechselnd gesichert wurde). Das Flugfeld in Lielvarde soll dafür ausgebaut werden, Kosten vorerst: 1,3 Mill. Euro. - "NATO will mehrere Kriege gleichzeitig führen können" - das schrieb im Juni 2006 der SPIEGEL. Sichergestellt werden soll das durch eine "NATO-Eingreiftruppe", so das Hamburger Nachrichtenblatt unter Berufung auf REUTERS. 185 Millionen Euro sollen in die Entwicklung neuer luftgestützter NATO-Überwachungssysteme gesteckt werden. Auf 3,3 Milliarden Euro werden dann die entsprechenden Beschaffungskosten geschätzt (SPIEGEL, DIE WELT). - Georgien strebt die NATO-Mitgliedschaft an. Das erklärte Premier Surab Nogaideli schon Ende August in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Noch bevor die Konflikte mit Russland (Spionage-Verdächtigungen, Diplomaten-Ausweisungen, Zufahrts-Blockaden) so richtig losgingen. In Kürze schon soll eine neue Pipeline Gas über Georgien in die Türkei und nach Europa bringen - auch dies wird den Energie-Oligarchen in Russland wohl weniger gefallen. - Dazu passt auch die Meldung, dass sich Lettland einer Gruppe "Freunde Georgiens" zugehörig fühlt, zu der Bulgarien, Tschechien, Estland, Litauen, Rumänien und Polen gezählt werden. - Gemeinsame Minensuche in der Ostsee. Die entsprechenden Einheiten präsentierten sich u.a. während der Kieler Woche. - Lettland möchte Fragen der Energiesicherheit auch im NATO-Rahmen diskutieren. Dies gaben der lettische Botschafter bei der NATO, Janis Eichmanis, und EU-Energiekommissar Piebalgs kürzlich gemeinsam bekannt. - NATO-Einsatz in Afghanistan soll neu überdacht werden. 

Dazu passen auch Überlegungen des NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffel, die er am in einem Interview mit der Berliner Umschau äusserte. - Die Ukraine als Kandidat für den NATO-Beitritt. Ob diese Perspektive der Ukraine schon in Riga eröffnet werden wird, ist laut Tomas Valasek, slowakischer Sicherheitsexperte des CDI (Center for Defence Information) in Brüssel, noch offen. Wichtig sei die Devise der "offenen Tür für alle". - Lettland möchte sich auch an einer militärischen Einsatzkräften der EU beteiligen. Eine entsprechende Willenserklärung unterzeichnete die lettische Regierung am 6.November, so LETA am gleichen Tage. Webseite mit Infos zum NATO-Gipfel Riga: www.rigasummit.lv Offizielle NATO-Seite zum Riga Summit: www.nato.int

16. November 2006

Nur Gesundes für die Schulen

Eigentlich haben Schulen in Lettland eine Vielzahl von Problemen: Finanzierungsschwierigkeiten sowieso, kleine Landschulen müssen oft um ihre Weiterexistenz bangen. Lehrer/innen sind meist unterbezahlt oder fehlen ganz. Aber lettische Schulen machen momentan mit etwas ganz anderes Schlagzeilen: dem sogenannten "Cola-Verbot". Seit dem 1.November 2006 gelten neue Gesetzesbestimmungen in Lettland, welche Waren in Schulen an Schülerinnen und Schüler verkauft werden dürfen. Und nicht nur das: Lettische Bildungspolitiker/innen hoffen, dass nach der Ausweitung von Nichtraucherzonen, dem Verbot der Tabakwerbung, und weitgehenden EU-Kampagnen gegen Drogenkonsum auch gesunde Waren an vorbildlichen Schulen ein EU-weites Beispiel sein könnten.

Bereits seit Anfang 2006 war das Thema des "Cola-Verbots" in den lettischen Medien präsent. Keine Geringere als Madleine Albright meldet sich - gleich mal bei der lettischen Präsidentin - um angebliche Benachteiligungen von US-Firmen in Lettland zu beanstanden (NRA 21.7.2006). 

Solche Diskussionen erscheinen schwierig - gerade weil ja ein Land wie Lettland als besonders US-freundlich gilt. 75 Millionen US-Dollar habe Coca Cola in Lettland investiert. Die damalige und auch gegenwärtige Gesundheitsministerin Baiba Rivža wird mit erstaunlichen Thesen zitiert: "An unseren Schulen sollten mehr Salate zu finden sein, natürliche Säfte, frische Produkte - die geben einfach mehr Energie!" Nur eine Woche später, Ende Juli 2006, erscheinen in den lettischen Medien wiederum zusammenfassende Darstellungen der laufenden Diskussion (NRA /TVNet 27.7.06). 

Inzwischen befanden sich eine Vielzahl US-diplomatischer Stellen "im Dialog mit dem lettischen Gesundheitsministerium". Raimonds Made, oberster Coca-Cola-Repräsentant in Lettland, äusserte sich besorgt: "Das geplante Verbot schürt in der Bevölkerung unnötige Ängste vor völlig sicher zu konsumierenden Produkten." Gleichzeitig gab er aber zu, dass seine Firma ja nicht ausschließlich mit dem bekannten braunen Süßgetränk handele, sondern firmeneigene Automaten an den Schulen wohl auch mit Säften, Eistee und Mineralwasser bestücken könne. Inzwischen hatten Journalisten ausgerechnet, dass Lettland 1075 Schulen habe, davon 1033 auf denen Kinder zu finden sind, die jünger als 12 Jahre sind (auf die das geplante Gesetz also zuträfe). Einen Monat später haben auch internationale Medien das Thema entdeckt. "Lettland verbietet Junkfood", heisst es im österreichischen "Standard" am 23.August 2006, wahrscheinlich gestützt auf eine DPA-Meldung vom Vortag. Gleichzeitig werden Befürchtungen der Genußmittelindustrie erwähnt, die einen EU-weiten Präzidenzfall befürchten. Am 6.Sepetmber schreibt Hannes Gammillscheg bei "FR-Online": "Lettische Schüler sollen künftig weniger Cola schlürfen, Chips knabbern und Kaugummi kauen." Gamillscheg meinte damals aber auch (der Beitrag wurde inzwischen von der FR aus dem Onlline-Angebot herausgenommen): "Damit dreht die Regierung die Entwicklung um fünfzehn Jahre zurück." Schließlich sei ja zu Zeiten des Endes der Sowjetunion auch nicht viel in den Läden zu kaufen gewesen - aber Gamillscheg befand die Waren damals noch für schmackhaft und lecker. Inzwischen sieht er in Lettland multinationale Konzerne sich vor-drängen - die heimisch-lettisches ver-drängen. 

Was aber stand also der Umsetzung der neuen Gesetzgebung noch im Wege? Eigentlich nur die Parlamentswahlen Anfang Oktober, denn im unabhängigen Lettland hatte bisher noch nie eine amtierende Regierung einen Wahlgang "überlebt". Nicht so 2006 - die neue zuständige Ministerin ist auch die "alte". Am 27.Oktober schließlich veröffentlicht LETA die genauen Ausführungsbestimmungen des Gesetzes. Nicht mehr zugelassen sind demnach in den Kantinen und Kiosken der Kindergärten und Schulen auch Produkte mit künstlichen Zusatzstoffen, Konservierungstoffen oder Coffeinen. Geschrieben wird in Lettland selbst meinst über die verbotenen "čipsi" - aber auch Kvass ist vom Verbot betroffen. Gleichzeitig hat inzwischen eine Kampagne der lettischen Milchverarbeiter begonnen, die Automaten mit kostenlos erhätlicher Milch an lettischen Schulen aufstellen. "Schon 600 schulische Einrichtungen haben sich diesem Programm angeschlossen," schreibt die Firma "Valmieras piens" schon am 15.August. Seit dem 1.November ist die neue Bestimmung für lettischen Schulen in Kraft - auf Erfahrungsberichte dürfen wir vielleicht gespannt sein. 

Immerhin hält in Lettland die LIDO-Kette mit leckerem Essen nach typisch lettischer Art auch tapfer und durchaus erfolgreich die Stellung gegen Burger- und BigMac's gleich nebenan - übrigens, ganz ohne vorgeschriebene Verhaltensregeln für die Kunden. Was denken deutsche Schüler/innen über ein mögliches Colaverbot? Während auf lettischen Internetseiten Abstimmungen veranstaltet werden, um den Unterstützungsfaktor für die neuen Bestimmungen zu erfahren (Beispiel: Reitingi = 88% pro Colaverbot), scheint in Deutschland niemand ernsthaft an Ähnliches zu glauben. Wenn man die eher komplizierten Diskussionen im "Politikforum" einmal außer acht lässt, sind auch ganz "coole" Meinungsäußerungen in der Bloggerszene nachzulesen, "aus dem Schüleralltag" sozusagen. Zitat "Bademeisterblog": "Coffein ist doch gut - da bleiben wir wenigstens wach!" Bei den Schalke-Fans steht ein Cola-Verbot gleich nach dem Jubel-Verbot und dem Bratwurst-Verbot ganz oben auf der Gräßlichkeiten-Skala. Bei ZDF.DE steht ein Cola-Verbot in direktem Zusammenhang mit einem Kopftuch-Verbot, aber eindeutig scheint: in Deutschland wäre bisher eine ähnliche Gesetzgebung wie in Lettland wohl kaum vorstellbar.

6. November 2006

Und keiner konnte ihr folgen ...

Als sie den New York Marathon 2005 sensationell gewann, wurde sie in Lettland anschließend Sportlerin des Jahres. Vergangenen Sonntag gewann Jeļena Prokopčuka (geb.Cernova) erneut - und nun steht ihr der internationale Marathon-Olymp wohl endgültig offen. Mit ihrem Sieg in 2 Std. 25 min. 05 Sek. wurde sie zur fünften Läuferin in der gesamten Geschichte des New York Marathon, der eine Wiederholung des Sieges gelang - zuletzt war dies 1995 Tegla Lourupe aus Kenia gelungen. Mit dem Sieg 2006 war eine Prämie von 130.000 US-Dollar verbunden. Präsidentin Vīķe-Freiberga sprach gegenüber der Nachrichtenagentur LETA von einem "Moment des Stolzes für Lettland" angesichts des erneuten großen sportlichen Erfolges. Kein Wunder, dass die lettische Ausdauersportlerinu auch anderswo längst Fans und Unterstützer gewonnen hat. Jeļena Prokopčuka ist seit dem Marathon von Osaka 2005 auch lettische Rekordhalterin im Marathon, mit einer Zeit von 2 Std. 22 min 56 sec. Weitere Infos zum Thema: - Homepage New York Marathon - Infos des internationalen Athletenverband IAAF - WIKIPEDA - Infoseite von Marthonexperte Herbert Steffny - Englischsprachige Marathonseite - RUNNERS WORLD - Fotos vom Riga Marathon 2006, wo Jeļena Prokopčuka ebenfalls teilnahm

5. November 2006

Lettische Medien: Regierung steht

Wie am Wochenende lettische Medien berichten, sind sich die zukünftigen vier Koalitionspartner der nach den Wahlen vom 7.Oktober neu zu bildenden lettischen Regierung über die Besetzung der Ministerposten einig geworden (DIENA 5.11.06). Da drei der vier zukünftigen Koalitionspartner auch vor der Wahl schon an der Regierung beteiligt waren, bleiben auch die meisten Minister/innen im Amt.

Von der Tautas Partija (Volkspartei) sind dies: Finanzminister Oskars Spurdziņš, Aussenminister Artis Pabriks, Verteidigungsminister Atis Slakteris, Gesundheitsminister Gundars Bērziņš, Minister für Familien und Kinder Ainārs Baštiks, Kulturministerin Helena Demakova. Der Koalitionspartner "Grüne & Bauernpartei" stellt wie bisher die folgenden Ressortchef/innen: Baiba Rivža (Bildung & Wissenschaft), Dagnija Staķe (Soziales), Raimonds Vejonis (Umwelt), Martiņš Roze (Landwirtschaft), und auch die bisher parteilose, aber kürzlich in die Partei der "Grünen Bauern" eingetretene Ministerin für die Angelegenheiten der elektronischen Verwaltung, Ina Gudele.

Für die Listenvereinigung der Fundamental-Christen von der "Ersten Partei" und des "Lettischen Wegs" tritt deren "starker Mann" Ainārs Šlesers trotz skandalbelasteter Vergangenheit nun wieder selbst an (als Verkehrsminister - und zog auch gleich eine 400-Millonen-Investition norwegischer Investoren für den Flughafen Riga "an Land" - DIENA - Šlesers ist durch seine norwegischen Geschäftskontakte bekannt). Auch der "alte Kämpe" und ehemalige Ministerpräsident des "Lettischen Wegs", Ivars Godmanis, tritt wohl in das neue Kabinett als Innenminister ein. Weiterer Ministerkandidat dieser Liste ist der designierte Integrationsminister Oskars Kastēns.

Ein Wechsel kündigt sich an im Amt des Ministers für Regionalentwicklung und Gemeinden. Zukünftig wird der bisherige Wirtschaftsminister Aigārs Štokenbergs (Tautas Partija) die heiss diskutierte Regionalreform in Lettland umsetzen müssen. Bleibt noch der neue Koalitionspartner "Vaterlandspartei" (Tevzemei un brivibai - TB), die neu in die Regierung eintritt, und damit die Parlamentsmehrheit von 51 auf 59 Stimmen erhöht (von 100 Sitzen). Die großen Erfolge der TB bei den Europawahlen nutzt nun die Regierung, indem auch der Europaminister von dieser Partei gestellt werden wird: der aus Madona stammende Bildungsexperte Normunds Broks. Weiterhin wird die TB mit dem Rechtsanwalt Gaidis Bērziņš den zukünftigen Justizminister stellen. Und schließlich hat auch Wirtschaftsminister Jurijs Strods ein TB-Parteibuch, der bisher stellvertretender Bürgermeister von Jelgava war.. Die neue Regierung Kalvitis muss am 7.November im Parlament bestätigt werden und soll sich dann am späten Abend des gleichen Tages zum ersten Mal treffen.