19. Februar 2006

Kirchliche Sozialarbeit schließt Lücken

Es geht voran in Lettland! Wo Ökonomen neidisch werden (2005 betrug das Wirtschaftswachstum in Lettland 10%), da werden soziale Einrichtungen nicht automatisch sorgenfrei. Pfarrer Martins Urdze, der sich für die Diakonie in der lettischen Hafenstadt Liepaja engagiert, beschreibt die Situation eindrucksvoll: "Leider wirkt sich das Wachstum nicht wesentlich auf die Löhne der Menschen aus. Der Nettodurchschnittslohn ist bei 249 EUR. Ein Drittel der Beschäftigten bekommt nur den minimalen gesetzlich festgelegten Lohn, ab 1.1.2006 sind das 129 Euro." Da kann man 'keine großen Sprünge machen', wie man in Deutschland so gerne sagt. Das Existenzminium wird bei etwa 157 Euro angesehen, und auch wenn manche noch schwarz nebenher arbeiten, so ist leicht einzusehen, dass das Überleben schwerfällt. "Für Rentner machen allein die Heizkosten für den Winter schon die Hälfte der Rente aus," berichtet Urdze.

Es war ja schon 2005 von der Abwanderung von Arbeitskräften aus Lettland zu hören (siehe Bericht in diesem Weblog), und auch Urdze weiß Ähnliches zu erzählen: "Im letzten Jahr wurde die Emigration von Arbeitskräften nach Irland, England und Schweden zum Thema in den Medien. In bestimmten Branchen gibt es jetzt einen regelrechten Arbeitskräftemangel, der mit der Beschäftigung von Arbeitern aus der Ukraine und Weissrussland kompensiert wird, was wiederum die Erhöhung der Löhne hier behindert. Meiner Ansicht nach wären hier EU weite Sozialstandards von Nöten, die wenigstens ein minimales Lebensniveau absichern wuerden.
Ansonsten werden die Länder eins gegen das andere ausgespielt, mit verheerenden Folgen für den ärmeren Bevölkerungsteil. Positiv war, dass die Gewerkschaften zu verstärkten Protesten gegen die Armut im Lande aufgerufen haben."

Wie arbeitet die Diakonie in Liepaja in dieser Ausgangs- lage? "Mit Hilfe von Ansätzen aus der Gemein- wesenarbeit wird versucht, die Selbsthilfe und Eigen- initiative von Menschen, die sich in Not befinden, zu stärken," erzählt Pfarrer Urdze. "Die diakonische Gemeinde ist ein Modellprojekt für andere Kirchengemeinden, die in dieser Richtung tätig werden wollen. Die Kreuzkirchengemeinde hat zur Zeit 80 Mitglieder. Es arbeiten etwa 30 Ehrenamtliche in den verschiedenen Bereichen."

Pfarrer Urdze arbeitet noch an einer Reihe anderer ambitionierter Projekte. "Im März 2006 hoffen wir Antwort von der EU zu bekommen, ob wir ein Projekt 'christlicher Tourismus um Kreis Liepaja' starten können. Dann unterhalten wir einen Tagestreff für obdachlose und arbeitslose Menschen in Liepaja, wir arbeiten mit Behinderten, wir bieten medizinische Beratung an, und wir haben eine Kleiderkammer."
Martins Urdze unterhält eine Vielzahl von Kontakten zu deutschen Spendern, Kirchengemeinden und privaten Förderern. "Hilfe ist natürlich immer noch sehr willkommen," betont er. (der vollständigen Jahresbericht der Diakonie Liepaja für 2005 - plus Spendenkonto - ist HIER nachzulesen).

Auch andere deutsche Sozialeinrichtungen unterhalten Kontakte nach Liepaja. Auf den Webseiten der Gemeinden der Selbständigen Evangelisch Lutherischen Kirche in Hamburg ist von Hilfssendungen nach Liepaja zu lesen, die dort ein Heim für junge mittellose Mütter unterstützen.
Die Katholische Gemeinde St.Sophien in Hamburg-Barkbeck hat eine ausführliche und schön bebilderte Projektdarstellung ihres Partnerprojekts (Martin Porres Haus) in Liepaja ins Netz gestellt.

Manchmal lesen sich diese Berichte auch ein wenig seltsam: Mitarbeiter der "Evangelischen Kirche im Rheinland" berichten 2004 von einem Durchreiseaufenthalt in Liepaja, und scheinen die gesamte Situation im Ort nur danach zu beurteilen, ob die "Leute auf der Straße grüßen". (alle Moralvorstellungen in Ehren, aber in welcher Sprache haben sich denn diese Deutschen verständlich zu machen versucht?).
Das anschließende Projekt, mit Jugendlichen Straßentheater in Liepaja zu spielen, scheint aber spaßig und erfolgreich gelaufen zu sein (Bericht vom 7.9.2004).
Auch die Ev.Luth. Landeskirche in Sachsen unterhält offensichtlich Kontakte nach Lettland und berichtet auf ihren Webseiten regelmäßig über aktuelle Themen (im Januar 2005 über notwendige Reparaturarbeiten an lettischen Kirchen).

Die Evangelische Kirche in Deutschland gab 2004 ein Merkblatt heraus mit Hinweisen zu den Partnerprojekten in Estland, Lettland und Litauen. Lettlands Lutherische Kirche hat demnach 39.000 Mitglieder in 299 Kirchengemeinden und 138 Pfarrer. In dieser Übersicht wird die Dreifaltigkeitskirche Hannover als Partnergemeinde für Liepaja angegeben.


17. Februar 2006

Traumberuf Dirigent - die Ehrungen des Mariss Jansons

Ottfried Fischer, Franz Beckenbauer, Stirling Moss, Siegmund Freud - das sind alles Namen, zu deren Ehren in diesem Jahr die Österreichische Post Sondermarken herausgibt. Ein lettischer Name reiht sich da nahtlos ein: Mariss Jansons.
Als Dirigent des Neujahrskonzerts 2006 feierte Jansons zwar nicht seinen künstlerischen Durchbruch (in der internationalen Musikwelt ist Jansons längst gut bekannt), aber sein Name ist nun wohl auch im deutschsprachigen Raum in der Ehrengalerie angekommen. "Der lettische Darling", so schrieb es die Berliner Morgenpost. Das Neujahrskonzert flimmert traditionell nicht nur über die meisten Fernseher in Deutschland, sondern die Sonderbriefmarke zeigt auch, dass allein die Einladung als Dirigent schon eine große Ehre darstellt.

Botschafter Lettlands
Fast könnte man Jansons auch schon diplomatische Aufgaben zuschreiben: als Dirigent des Neujahrskonzerts beispielweise befleißigten sich auch eine Reihe bekannte Persönlichkeiten, dem Orchesterchef "Backstage" die Hand zu drücken - so etwa die deutsche Bundeskanzlerin
Angela Merkel.
Wer den hohen Stellenwert kennt, den kulturelle Leistungen in Lettland selbst haben, der wird vielleicht die Arbeit eines Dirigenten auch als eine Art "Traumberuf" einzuschätzen wissen. Am eindrucksvollsten wird dies immer dann deutlich, wenn Zehntausende den Dirigenten des großen Sängerfestes auf der Freilichtbühne in Riga zujubeln. Man möchte beinahe sagen: "wie Popstars", aber der Vergleich hinkt kräftig angesichts der gekünstelten und gestylten Welt der kommerziellen Massenware, in der Persönlichkeiten doch eher nur vom Image leben.
Lettlands Dirigenten werden verehrt wie geehrt, und die sangesfreudigen oder ein Musikinstrument spielenden lettischen Mitbürgerinnen und Mitbürger werden immer stolz erzählen,
unter welchem Dirigent sie das getan haben.

Bekannt in der internationalen Musikszene

Natürlich freut sich auch ein so kleines Volk der Letten, wenn ein Landmann im Ausland Ansehen und Bekanntheit genießt. Lange Jahre war der 1943 in Riga als Sohn des Dirigenten Arvids Jansons geborene heutige Stardirigent in St.Petersburg tätig, wo er seine musikalische Ausbildung am Leningrader Konservatorium in den Fächern Violine, Klavier und Dirigieren mit Auszeichnung absolvierte. Jansons selbst schilderte es einmal in einem Interview als Schwierkeit, in der Sowjetunion als "Sohn eines Dirigenten" voran zu kommen. "Das war in der Sowjetunion schwierig. Wenn man aus einer Arbeiterfamilie kam, dann war alles sehr einfach. War man intelektuell sind, dann wurde es schwierig. Intelligenz war den Kommunisten suspekt."

"1969 setzte der damals 26-jährige seine Ausbildung in Wien bei Hans Swarowsky und in Salzburg bei Herbert von Karajan fort", so informiert die Wiener Zeitung ihre Leser über die frühzeitige Verbindung des Letten zur Hauptstadt Österreichs.
"Zwei Jahre später siegte er im internationalen Herbert von Karajan- Wettbewerb in Berlin, stets ein untrügliches Kennzeichen auf dem Weg zu einer großen Karriere." Endgültig zum "Who is who" der Musikwelt Österreichs gehört er schon seit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Musikfreunde in Wien am 6.Juni 2001.

Aber die Arbeit Mariss Jansons beschränkt sich natürlich keinesfalls auf Europa. Er dirigierte unter anderem die Wiener Philharmoniker, das Berliner Philharmonische Orchester, die führenden Londoner Orchester und das Israel Philharmonic Orchestra sowie die amerikanischen Spitzenorchester von Boston, Cleveland, Philadelphia und New York.
Seit der Konzertsaison 2003/2004 ist Jansons Chefdirigent von Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks, und genau in dieser Funktion erreichte er nun ein weiteres Highlight seiner Karriere: am 9.Februar 2006 wurden Orchester und Dirigent der GRAMMY für Chor und Symphonieorchester zugesprochen. Ein Anlaß, den auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber zu Lobeshymnen anregte: "Ein großer Tag für das Kulturland Bayern." (DDP/Freie Presse)
"Jansons kann nun die Früchte seiner Arbeit ernten", schrieb auch die lettische Presse (NRA) stolz.

Sorgen, und noch viel Arbeit
Verliehen wurde der GRAMMY für die Aufnahme von Schostakowitschs 13. Symphonie «Babi Yar». „Mariss, denke daran: Lieber ein gutes Konzert weniger als ein schlechtes mehr“. Diesen Ratschlag seines eigenen Dirigenten-Vaters überlieferte Jansons selbst in einem Interview von ARTE-TV. Der Vater starb 1984, direkt im Anschluß an ein Konzert. Wie anstrengend das für Laien manchmal so beliebig aussehende Dirigieren sein kann, zeigt sich vielleicht darin, dass auch Mariss Jansons bereits einen Herzinfarkt erleiden musste. Mitten auf der Bühne, sieben Minuten vor Ende einer Aufführung von "La Boheme" in Olso passierte das. "Ich nahm mir vor, anders zu leben, habe große Pläne gemacht, aber ab einem gewissen Zeitpunkt geht fast alles wieder in die gleiche Richtung von vorher," sagte Jansons halb lakonisch halb resignierend dazu. Zu vermuten ist aber, dass Jansons noch einige weitere musikalische Highlights in Planung hat.

Weiteres im Internet zu Mariss Jansons:
- Kurzbiographie EMIClassics
- Infos des Bayrischen Rundfunks
- Festspielhaus Baden-Baden
- Wikipeda
- Interview des Münchener Kulturmagazins "Applaus" (1995)
- Beitrag in DIE ZEIT (2003)
- CD-Kritiken beim Musikmagazin RONDO
- Shop der Wiener Philharmoniker zum Neujahrskonzert 2006
- über Jansons Beziehung zu Schostakowitsch
- Mariss Jansons im lettischen Portal "Kultura.lv"
- Beitrag in PAAVO PROJEKT zu Mariss Jansons und Paavo Järvi

14. Februar 2006

Lettischer Birkhahn rodelt erfolgreich

Besser als die Prognosen
Wenig Chancen auf Medaillien - das attestierten die meisten lettischen Medien vor Beginn der olympischen Winterspiele ihren eigenen Athleten. Gunars Jekabsons, Sportjournalist beim lettischen Radio, wird nun stellvertretend für seine Medienkollegen für solche leichtfertig pessimistischen Aussagen büßen:
er verlor nach der von Rodler Martins Rubenis errungenen Bronzemedaille eine Wette und wird sich die Haare rot färben müssen....

Lettische Rodellegenden
Ausgerechnet die Rodler! Das werden sich vielleicht die deutschen Fans gedacht haben, die auf Rodel-Oldie Georg Hackl oder seine beiden anderen deutschen Mitrodler gehofft hatten. Martins Rubenis heißt der erste lettische Medailliengewinner bei olympischen Winterspielen seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1990 (Rubenis = lett. "Birkhahn").
"Eine Jahrhundertmedaille!" jubelte die Tageszeitung
DIENA. Der Erfolg sei aber folgerichtig, denn in dieser Disziplin habe Lettland nun mal in Sigulda eine internationalen Standards entsprechende Trainingsmöglichkeit, und eine wettbewerbsfähige Bahn. DIENA erinnerte auch an Veras Zozuļa und Ingrida Amontova, die 198o in Lake Placid Medaillen im Rodelwettbewerb gewannen, und damit den Robel-Boom und den Bau der Bob- und Rodelbahn in Sigulda erst möglich gemacht hätten (für Nicht-Letten: das waren die Zeiten von Ingemar Stenmark, oder Ulrich Wehling).
Eine andere Erinnerung galt Alfons Berzins: er führte den Weltcup im Jahr 1940 überlegen an, und sei, wenn nicht der Krieg ausgebrochen wäre, bei Olympia ein Sieganwärter gewesen. "So kam Lettlands Rodelmedaille erst 66 Jahre später," schreibt DIENA.

Rubenis, der coole Typ
Welchen Siegeswillen lettische Sportfans ihrem Rodelhelden zutrauen, macht eine Umfrage des Internetportals TVNET deutlich. Gefragt, welchem Faktor der Medailliengewinn am ehesten zuzuschreiben sei, so sprachen nur 10% der Antworten den Erfolg Rubenis' guter Form zu. 60% dagegen meinten, seinem hervorragenden Selbstvertrauen sei der Erfolg zu verdanken. 20% sahen auch den von Rubenis selbst mit konstruierten Schlitten als Erfolgsgarant. "Ich hätte noch schneller fahren können," sagte der Athlet selbst in einem Interview mit der Tageszeitung Neatkariga Rita Avize (NRA), "aber keiner ist perfekt, auch ich nicht."

Geschichten rund um Geld und Prämien
Nun wird über die Höhe der staatlicherseits zu vergebenden Geldprämie spekuliert. Der Agentur LETA zufolge müssten 30.000 Lat (ca. 43.400 Euro) aus dem Staatssäckel an einen Bronzemedailliengewinner ausgeschüttet werden. Solche Summen, vergeben an Einzelne, lösen im Niedriglohnland Lettland immer noch unweigerlich Diskussionen aus. Während die einen es eher als Schande ansehen, angesichts dieses "historischen Erfolgs" überhaupt über die dem Athleten zustehende Prämie zu diskutieren, verfallen andere in zynische Scherze, aus denen sich ahnen läßt, mit wie wenig Geld in Lettland ein normales Leben bestritten werden muss: "Na, und wenn dann doch unsere Eishockeymannschaft überraschend auch Bronze gewinnt, dann müssen doch jedem Spieler gleichfalls 30.000 Lat ausgezahlt werden, wenn ihr so drauf besteht," mahnt ein Diskutant im DELFI-Diskussionsforum, "und dann ist der Staat bankrott."

Ebenfalls bei DELFI werden auch die Sponsorengeschenke dargestellt, die vom Großsponsor der lettischen Olympiamannschaft (SAMSUNG) an den glücklichen Medailliengewinner übergeben werden: einen Plasma-Fernseher, ein komplettes Heimkino, und ein exklusives Mobiltelefon (SGH-D800), das man flugs zum "Olympiahandy" erkoren hat. SAMSUNG übt sich da übrigens in ungewohnter "baltischer" Solidarität und stattet die estnische und die litauische Olympiamannschaft mit den gleichen Prämien aus. (auch in der Diskussion über diese Prämien kamen die DELFI-Internetdiskutanten übrigens auf die gleiche Idee: was ist, wenn die Eishockeymannschaft doch ....?)

In diese Geschichten von Gewinnern und Verlierern passen auch die Berichte in der lettischen Presse zu erbaulichen Dienstreisen lettischer Politiker nach Turin. "So etwas heisst 'Dienstreise', und bezahlt wird es aus Steuergeldern," spitzt es die Neatkariga Rita Avize (NRA) zu. Säuberlich wird dann aufgezählt: zur Eröffnung der Spiele reiste Staatspräsidentin Vike-Freiberga nebst Mann an, am 15.2. folgte Ministerpräsident Kalvitis, der sich zusammen mit seinem Medienberater in Turin aufhält und plant, alle Spiele der lettischen Eishockeymannschaft zu besuchen. Ina Druviete, Ministerin für Bildung und Wissenschaft, sei aber genau wie die höchsten Repräsentanten als Ehrengast in Turin eingeladen, beeilte sich ihr Büroleiter gegenüber der Presse zu erklären. Vor Ort würden keine weiteren Kosten anfallen.
Oskars Spurdziņš, seines Zeichens Finanzminister, gilt als Bob- und Rodelfan, und hat wohl gleich das Ereignis zu erleben ausgewählt, zu dem es Erfolgsprämien aus einer Kasse auszuschütten gilt.

3. Februar 2006

Wechselspiel zweier starker Frauen

Bekannt waren sie sowieso, die beiden interessantesten Persönlichkeiten der lettischen Politik. Sandra Kalniete war Aussenministerin der Republik Lettland, dann Kandidatin zur EU-Kommissarin, und schließlich ist die Tochter einer von den Sowjetbehörden in der Stalinzeit nach Sibirien verbannten Lettin auch Buchautorin.
Vaira Vike-Freiberga prägt als Präsidentin ihres Landes wesentlich das Image Lettlands in der Welt. Fast durchweg in positiver Art und Weise, muss man zugeben. Nun ist sie als eine von sechs ernsthaften Kandidaten für die Nachfolge Kofi Annans als UN-Generalsekretär genannt. Kalniete und Vike-Freiberga - werden sie also bald den Platz tauschen im obersten Amt der lettischen Republik?

Sandra Kalniete tat kürzlich etwas, dessen sie sich in ihrer bisherigen politischen Karriere immer enthalten hatte: sie trat ín eine Partei ein. Am 30.Januar konnte die rechtskonservative "Jaunais laiks" (Neue Zeit) den Beitritt des neuen Mitglieds verkünden. "Zur Zeit ist das Wohlergehen Lettlands das wichtigste Anliegen, und die kommenten vier Jahre werden entscheidend sein für die Zukunft unseres Landes", sagte Kalniete anläßlich einer Presseveranstaltung zum Anlaß ihres Rückkehrs in die aktive Politik.
Für die lettische Presse gilt Kalniete aber - neben ihrer Funktion als Wahlkampf-"Lokomotive" für die lettischen Parlamentswahlen im kommenden Herbst - auch als Präsidentschaftskandidatin. Beinahe ließe sich sogar sagen, Kalniete wolle sich nun selbst auf den Präsidentenstuhl setzen: die lettischen Parteien sind es im wesentlichen, welche sich bei der Präsidentinnen-Wahl auf eine Kandidatin einigen müssen, und je überzeugender ein Wahlsieg bei den Parlamentswahlen ausfallen würde, desto überzeugender die Unterstützung für die Präsidentschaftskandidatin.

Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt setzte also "Jaunais Laiks" nach dem Abgang des oft unkalkulierbaren Einars Repse (Rücktritt als Verteidigungsminister) auf ein neues, starkes Zugpferd im Wahlkampf, und Kalniete gilt als starke Kandidatin für die Nachfolge von Vaira Vike-Freiberga. Wie wird sich zum Beispiel der Koalitionspartner, die "Tautas Partija" (Volkspartei) von Regierungschef Kalvitis in dieser Frage verhalten? Medien wie "Neatkariga Rita Avize" (NRA) nennen auch den gegenwärtigen Aussenminister Pabriks als möglichen Präsidentschaftskandidaten. Aus gleicher Quelle ist zu vernehmen, dass es vielleicht auch zu einem "Revancekampf" kommen könnte, sollte die Partei der Grünen und Bauern erneute die Parlamentspräsidentin Ingrida Udre auch als Präsidentschaftskandidatin nominieren. Vor zwei Jahren noch hatte ein kurzzeitig im Amt befindlicher grüner lettischer Ministerpräsident die als EU-Kommissarin vorgesehene Kalniete zu Gunsten von Udre verdrängt - eine Entscheidung, die für einigen Wirbel sorgte. Aus dem Konflikt ging schließlich ein Mann, Andris Piebalgs, als lettischer EU-Kommissar hervor.

Als Präsidentschaftskandidaten werden inzwischen auch weitere Männer der lettischen Politikszene genannt, aber sie alle scheinen gegen eine starke Sandra Kalniete keine guten Chancen zu haben: die drei Europaparlamentarier Guntars Krasts, Ģirts Valdis Kristovskis und Georgs Andrejevs, ja sogar EU-Energiekommissar Piebalgs Name wurde auch für diesen Posten ins Spiel gebracht. Der gegenwärtige Direktor des lettischen Instituts und ehemalige lettische Botschafter in den USA, Ojars Kalnins, wird ebenso genannt wie die beiden Juristen Egils Levits un Anita Usacka. Kreisen ausserhalb der Parteienszene wird die Benennung der Schriftstellerin Mara Zalite zugetraut.

Der weitere Verlauf der Karriere der jetzigen Präsidentin, Vaira Vike-Freiberga, wird sich voraussichtlich im kommenden Juli entscheiden, so vermutet zum Beispiel der lettische Politologe Ojars Skudra. Dann werden sich die G-8-Staaten in St.Petersburg versammeln, und dort werde erkennbar sein, ob China und Russland sich zu einer Unterstützung der Kandidatur Vike-Freibergas als Nachfolgerin von UN-Generalsekretär Kofi Annan durchringen können.

Zu einem interessanten Zusammentreffen kam es beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos: drei potentielle Kandidaten für das Amt des UN-Generalsekrärs (offizielle "Bewerbungen" gelten als unfein) trafen anläßlich einer Podiumsdiskussion aufeinander (ausser Vike-Freiberga auch Ban Ki-Moon aus Südkorea und Jayanthan Dhanapala aus Sri Lanka). Um die Zukunft der Vereinten Nationen, deren Refermierung dringend ansteht, müsse sich auch sein Nachfolger keine Sorgen machen, so Annan selbst. "Ich verstehe, einige der auf diesem Podium vertretenen Personen hätten Interesse an dem Posten," so Annan vor versammelter Presse mit augenzwinkender Geste. (LETA)

Jedenfalls hat die internationale Presse längst begonnen darüber zu spekulieren, wer das Rennen machen könnte. Die Londoner TIMES sieht "die UN unter Druck, eine Frau zu wählen," wobei aber auch Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus Burma und Gro Harlem Brundlandt aus Norwegen genannt werden. Ähnliche Forderungen werden auch im deutschen Nord-Süd-Forum diskutiert.
"Die USA wollen einen zahmen Osteuropäer", befürchtet dagegen die
Berliner Zeitung, und spielen damit auf US-amerikanische Interessen an.
"So oder so," äusserte sich aus lettischer Sicht der politische Kommentator der Zeitung DIENA, Aivars Ozolins. "Ob nun Vike-Freiberga den Posten bei der UN bekommt oder nicht, sie hat aber bereits jetzt die Möglichkeiten lettischer Politik auf internationaler Bühne erheblich erweitert."