16. Januar 2007

Warten aufs Singen

Es gibt sängerfestlose Jahre. Lettland ist dabei, in Europa einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen, und da sind landestypische Kulturereignisse hilfreich. Doch die Chronik der Ereignisse ändert sich. Waren die Sängerfeste in den 90er Jahren sehnsüchtig erwartetes Ereignis, so geraten sie gegenwärtig schon unter den Druck der touristischen Nachfrage: schließlich kann das kleine baltische Land seine Gäste nicht vertrösten, lieber im nächsten Jahr wiederzukommen, und selbst ein so ausgelassen zelebriertes Fest wie Mitsommer ist kein Ersatz: es wird eigentlich vorwiegend im privaten Kreis gefeiert.

Der Trost ist rein virtuell. Nahezu täglich versorgt eine laufend aktualisierte Internetseite zumindest die lettischkundigen Sangesfreunde: englischsprachigen Fans werden neben einem ersten Entwurf des Programms für 2008 wenigstens online-Mitschnitte früherer Ereignisse angeboten.

Lettischkundige genießen mehr Fürsorge: da werden Ergebnisse einer Umfrage zitiert, nach denen für 29,3% aller Letten das Sängerfest bei Kultur und Traditionspflege an erster Stelle steht. Wer das liest, mag sich fragen: waren das nicht auch schon mal mehr? Da sind die "auf den Plätzen" folgenden anderen genannten Kulturereignisse interessant: 20% nennen das Theater an erster Stelle, 13% Musik und Konzerte, 8,9% Folklore und die Dainas, und genauso viele nennen das Mittsommerfest. Noch 8% nennen Opern- und Balletaufführungen, 6,5% visuelle Kunst & Literatur, 5,6% Museen, 3,6% das Neubauprojekt "Gaismas pils" der Lettischen Nationalbibliothek, und für 3,2% der Befragten ist Kino in Lettland am wichtigsten. Immerhin 3,4% benennen schlicht den Namen von Lettlands "Maestro" Raimonds Pauls als Wichtigstes, und 4,7% kreuzten an, dass ihnen der bedauerswerte Zustand vieler Kultureinrichtungen das wichtigste Anliegen sei. Bei den Befragten in Latgale stand dieses eher um Hilfe schreiende Argument sogar an dritter Stelle aller Antworten.

Die Webseite enthält aber (wie gesagt, leider nur für Lettischkundige) auch noch mehr Details.
- den Wortlaut des lettischen Gesetzes (!) zum Schutz der Sängerfesttradition
- eine ausführliche Darstellung zur Geschichte der lettischen Sängerfeste
- einen Hinweis auf die ausführliche Liste alter historischer lettischer Kulturplakate im Internet (das ist für alle interessant!)
- Einzelheiten zur geplanten künstlerischen Konzeption des Sängerfestes 2008

Und, um auch die Wartenden im eigenen Lande wirklich auf dem Laufenden zu halten, wird aktuell jeden Monat ein Geburtstagskalender aller bekannten Chorleiter, Dirigenten und sonstigen Aktiven geboten. Auf diese Weise erfahren wir, dass beispielsweise am 17.Januar Alda Račika im Volkskulturhaus in Krape ihren 55.Geburtstag feiert, am gleichen Tage der langjährige Dirigent der Sängerfeste Edgars Tons seinen 90.Geburtstag begeht, und am 26.Januar 2007 Karlis Vents, Leiter des Ensambles "Ratiņš" in Gulbene, 80 Jahre alt wird.

Ein Trost für die Wartenden ist es vielleicht nicht. Aber zu hoffen bleibt, dass auch 2008 das große lettische Sängerfest von den gröbsten profanen Kommerzialisierungsversuchen verschont bleibt. Und einen zweiten gefährlichen Trend gilt es aufzufangen: aus vielen ländlichen Gebieten Lettlands, bisher ein Rückrad der Kulturtraditionen auch im Hinblick auf die Nachwuchsarbeit, sind bereits die enorm starken Abwanderungstendenzen bekannt. Im kurländischen Alsunga zum Beispiel, bei Sängerfesten bekannt durch die "Suitu sievas", seien inzwischen bereits so viele junge Leute als Aushilfskräfte nach Irland abgewandert (als einzige Möglichkeit Geld zu verdienen), dass beinahe nur noch diese besagten Frauen ("Suitu sievas") übrig geblieben seien. Ohne eine Förderpolitik für ländliche Regionen, ohne den Erhalt regionaler Firmen, Modernisierung der Produktionsweisen für neue Märkte, wird auch der Rückhalt für kulturhistorische Traditionen und Aktivitäten wohl längerfristig in Gefahr geraten wegzubrechen.

Beispiele neuer politischer Grafik in Lettland, dem Volk in die Seele geschaut (aus einer Ausstellung in "Arsenals", Dezember 2006): "Wo sind sie, die Männer in Lettland?" und "Unser Sib-irien" - eindeutige Symbolik.

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