17. Januar 2007

Werben um alte Leute - Heimweh und Zahlungsfähigkeit vorausgesetzt

Vom kommen und Gehen - Landflucht und Jobsuche
Es gibt viele Geschichten inzwischen über junge Leute, meist Männer, auch ganze Ehepaare, die aus ihren lettischen ländlichen Regionen einfach weggehen, um anderswo ihr Glück (und Einkommen) zu suchen. Zunächst war es die Sogwirkung Rigas: früh morgens in den Zug setzen, um 9.00 Uhr in der Hauptstadt zur Arbeit gehen, die Woche über irgendwo bei Freunden übernachten, Freitags abends mit dem Zug zurück. Eine mehrstündige Fahrt jedes Mal - eine ganz besondere Art von Pendlern.

Seit Großbritannien, Irland, Schweden prinzipiell ihre Arbeitsmärkte auch für "Gastarbeiter" aus den EU-Beitrittsländern von 2004 geöffnet hat, hat sich das ganz schnell potentiell erhöht: bereits Zehntausende sollen inzwischen allein in Irland leben, und die lettische Regierung sorgt sich, ob diese Menschen je zu einer Rückkehr bewegt werden können. In vielen Dörfern bleiben fast nur die alten Menschen zurück.

Traumland für Alte: Lettland
Da erzeugt ein Projekt Aufsehen, das sich ausgerechnet um weitere Zielgruppen im Rentenalter müht: AUSBALT nennt sich ein Projekt, dass nach Australien vor Jahrzehnten ausgewanderte Letten - durchweg inzwischen natürlich Senioren - zurück nach Lettland holen will. Raitis Strautiņš, umtriebiger Firmenchef von AUSBALT, erzählte in der lettischen Presse (NRA 12.1.07) von den angeblichen Bedürfnissen der Möchtegern-Einwanderer. "Wir wollen nach Lettland," haben ihm viele der gegenwärtig 6681 Personen im fernen Kängeruhland erzählt. 5288 davon sollen zu Hause noch Lettisch als Muttersprache gebrauchen. Hiervon wiederum sind 53,85 über 65 Jahre alt, also im Rentenalter. "Aber auch dort hat man schon gehört, wie kümmerlich die Zustände in der Altenpflege in Lettland gegenwärtig sind. Sie sagen mir: wir würde gerne kommen, aber wo sollen wir denn da hin?"

Wird es also bald auch Altenheime zweiter und dritter Klasse in Lettland geben? Wer solche Projekte konsequent zu Ende denkt, der kann es sich gut vorstellen. Wenn erstmal die Spezial-Altenwohnungen "nach dem Modell Australiens" gebaut worden sind (so steht es in einer Firmenpräsentation), dann wird es dort, wo jetzt noch Beifuß, Wegerich und ein paar schlanke Birken wachsen, bald Transporthilfen, medizinisches Personal, Schönheitssalons, eigene Bibliothek, Kinosaal - und natürlich Wächter rund um das Gelände geben. Bei dem gegenwärtigen Immobilienwucher, der rund um die lettische Hauptstadt Riga abgeht (woran zwar die Investoren, sicher aber nicht die Mieter ihren Nutzen haben) ist es auch logisch, dass sich LATTAU, eine lettische Immobilienfirma (Wahlspruch: "die lettische Variante"), an den Austro-Seniorenheimen beteilgt.
Beide Firmen halten sich in der Öffentlichkeit momentan noch bedeckt. Die Webseite von Ausbalt gibt es zwar schon, aber außer der zitierten Präsentation werden noch keine Inhalte angeboten. Im eigenen Lande schmackhaft gemacht werden soll es durch vielfältige Nutzung von EU-Hilfsprogrammen, so dass argumentiert werden könnte, Lettland selbst koste das Projekt wenig. Die Liste der geplanten Maßnahmen reicht von Unterstützungsmöglichkeiten für bisher Arbeitslose bis hin zu Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogrammen.

Interessant sind die statistischen Zahlen, welche von den Planern dieses neuen Projekts zur gegenwärtigen Situationsanalyse in Lettland vorgelegt werden. Allerdings wird mit Zahlen aus dem Jahr 2004 gearbeitet. Der vorgelegten Statistik zufolge gab es 2004 in Lettland
- 72 kommunale Sozialeinrichtungen mit insgesamt 5.022 Bewohner/innen,
- 31 staatliche betriebene Instutionen mit insgesamt 4381 Personen,
- wurden 1453 Lat pro Person in sozialen Einrichtungen ausgegeben

Zur Situation bei den Rentnern heißt es:
- 25,9% der Einwohner Lettlands waren im Jahr 2004 im Rentenalter
- per Gesetz festgelegtes Rentenalter war bei Männern 62, bei Frauen 60 Jahre
- auf 83,16 (ca. 120 Euro) Lat belief sich im statistischen Mittel eine gewährte Rente (bei Männern durchschnittlich 91,53 Lat, bei Frauen 67,24 Lat)

Begrüßt und betreut - vom Kängeruhsteak zur Hanfbutter
Ausersehen für ein Modellprojekt für die lettischen Aussie-Oldies ist das kleine Dorf Seja (zwischen Sigulda und Saulkrasti, im Norden von Riga). Und Investoren-Werber
Strautiņš wird nicht müde, vom "australischen Beispiel" zu schwärmen: "dort wirbt man mit der Devise: sie verdienen nur das allerbeste!" - Im Westen denke man eben "realistischer", so der Altenwerber, man wolle eben im Alter seinen Kindern nicht zur Last fallen. Umsonst will er allerdings nicht für die lettischen "Heimkehrwilligen" arbeiten: ein Haus, was im Projektrahmen gebaut wird, soll einen Investitionsbedarf von etwa 50.000 Lat (75.000 Euro) haben. Die beteiligten Firmen haben sich der unterstützung der Gemeinde bereits gesichert und rechnen in der 2.Jahreshälfte 2007 mit einem Baugebinn.
Also, wer demnächst planen sollte, sich einen Alterssitz in Lettland aufzubauen, der könnte auch bald den Satz hören: "Ziehen Sie doch nach Seja!"

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