27. Juni 2007

Lettland fehlen die Pädogogen

Jedes Jahr steigt in Lettland die Anzahl freier Arbeitsstellen für Pädagoginnen und Pädagogen. Kürzlich gab die lettische Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft eine neue Statistik dazu bekannt - wie bei TVNET bzw. NRA oder DELFI nachzulesen ist. Allein im Bereich von Riga fehlen in den verschiedenen Bildungsinstitutionen inzwischen 234 Fachkräfte.

"Der Lehrermangel ist inzwischen deutlich zu spüren," äußert sich Māris Sika, Direktor eines Gymnasiums in Riga. Am meisten mangele es an Lehrkräften für die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften, insbesondere Physik. "Unsere Pädagogen haben eine viel zu aufwendiges Arbeitspensum, und darunter leidet die Qualität. Wir brauchen für das kommende Schuljahr dringend fünf neue Fachkräfte, werden aber wohl nur drei bekommen."

Im Interview mit der lettischen Presse werden auch andere Beispiele genannt:

- Mittelschule
Viesīte (Bezirk Jekabpils): es fehlen Lehrer/innen für Physik, Englisch und Geschichte. Schuldirektor Andris Baldunčiks erklärt, auf dem Lande seien die Probleme noch größer als in Riga. "Das Durchschnittsalter der Lehrkräfte ist bei uns 45 jahre", erzählt er. "Wenn die jungen Nachwuchslehrer merken, dass hier im Ort hauptsächlich alte Leute leben, kommen sie erst gar nicht. In den 15 Jahren, in denen ich jetzt Schuldirektor bin, ist das Durchschnittsalter um 15 Jahre angestiegen."

- Juris Šmits, Direktor des 8.Rigaer Rainis-Abendschule, äussert sich skeptisch gegenüber den Chancen kurzfristiger Änderungen im Schulsystem. "Natürlich müsste es endlich Lohnerhöhungen geben. Aber auch eine bessere Versicherung, soziale Absicherung, Zugänge zu Krediten, und vor allem beruflichem Erfahrungsaustausch - das wäre alles sehr wichtig. Aber wer einmal Physik studiert hat, der sieht ja, dass dieses Fach sehr vielseitige Möglichkeiten bietet, und geht lieber dorthin, wo bessere Chancen geboten werden."

Der momentane Zustand des lettischen Bildungswesens ist aber sicher auch eine Folge jahrelanger Vernachlässigung. Schon Anfang der 90er Jahre war die Tendenz spürbar, dass diejenigen, die endlich einmal "etwas verdienen" wollten, aus den Lehrerberufen abwanderten. Gleichzeitig wurden aus der Not heraus viele ohne spezielle Ausbildung in die pädagogischen Tätigkeiten aufgenommen - viele Schulen froh sind, überhaupt genügend Lehrkräfte zu haben, und weil eben nur niedrige Löhne gezahlt werden konnten, verbunden mit der großen Verantwortung, die ein Lehrer / eine Lehrerin gegenüber den Schülerinnen und Schülern übernehmen muss.
Inzwischen wandern viele junge Arbeitskräfte nach Irland ab, oder suchen sich anderswo außerhalb ihrer Heimatorte eine (kurzfristige, aber unbefristete) Beschäftigung. In anderen Bereichen, etwa in der Bauwirtschaft, heuern lettische Arbeitgeber inzwischen (Billig-)Arbeiter aus Weißrussland, der Ukraine oder Rumänien an. Und in den wirklich florierenden Branchen, wie etwa der Mode- und Textilbranche, ist es nicht nur von Stardesigner Davids bekannt, dass er bereits jetzt seine Fertigungen in Ländern wie China in Auftrag gibt.
Kinder sind die Zukunft - aber wo diese in Lettland liegt, scheint noch unsicher. Blumen für die Klassenlehrin / den Klassenlehrer - in lettischen Schulen als Dank für die viele Arbeit im Laufe des Schuljahrs üblich - bekommen so eine ganz andere Bedeutung. Für viele werden es auch Abschiedsblumen sein.

Manche lettische Schulen haben Selbstdarstellungen in deutscher Sprache verfasst. So zum Beispiel die Mittelschule VARAVIKSNE (Regenbogen) im latgalischen Krāslava. Hier läßt sich zum Beispiel erfahren, dass 87 dort angestellten Lehrkräften (für ca. 1000 Schülerinnen und SChüler) 52 Menschen des Bedienungspersonals zugeordnet sind. Ein Aufwand, der an deutschen Schulen kaum vorstellbar wäre.

22. Juni 2007

Lettischer Mindestlohn - Politiker profitieren

Im kommenden Jahr soll der in Lettland festgesetzte Mindestlohn von 120 Lat auf 160 Lat angehoben werden (ca. 240 Euro). Dem Bürgermeister von Riga würde das eine Erhöhung seiner Bezüge um die schöne Summe von 720 Lat bedeuten (ca.1080 Euro). Dies veröffentlichte jetzt das Nachrichtenportal TVNET unter Bezug auf LETA. Wie kommt das zustande?

In Deutschland scheint es gegenwärtig schwer vorstellbar, minimale Löhne festzusetzen - selbst für diejenigen Tätigkeiten und Gewerbe, wo sich offensichtlich verschiedene Anbieter durch immer geringere Lohnzahlungen gegenseitig zu unterbieten versuchen. Deutsche Politiker verweisen dabei gern auf Osteuropa - dort seien Minimallöhne nur deshalb sinnvoll, weil es ja keine umfassenden sozialen Sicherungssysteme gäbe. Das EU-Mitgliedsland Lettland wies bis zum Beitritt Bulgariens und Rumäniens tatsächlich das niedrigste Wohlstandsniveau in der gesamten EU auf. Die "rote Linie" der Mindestlöhne durchziehen aber inzwischen bereits weite Bereiche der Gesellschaft.

Der Bürgermeister von Riga - momentan Janis Birks - bezieht das 18-fache Gehalt des gesetzlich festgelegten Mindestlohns. Sozial abgesichert ist er natürlich trotzdem: viele haben längst private Versicherungen abgeschlossen, Birks selbst ist Mediziner und Mitinhaber eines Klinikkomplexes. Auch der stellvertretende Bürgermeister bekommt noch das 15-fache des Mindestlohns, ein Ausschußvorsitzender im Stadtrat bekommt noch das 11-fache. Gegenwärtig bekommt Birks also 2160 Lat (vor Steuern, d.h. ca. 3240 Euro). Nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf 160 Euro würde sein Einkommen auf 2880 Lat steigen.
Auch die Rigaer Ratsmitglieder würden profitieren: ihr Mindesteinkommen ist auf das 4-fache des Mindestlohnes festgelegt, also ab 2008 dann 640 Lat.

Vermutlich würden in Deutschland die Politiker/innen auch entschiedener für einen Mindestlohn eintreten - wenn ihr eigenes Einkommen davon abhängen würde!

Anders als in Deutschland sind allerdings alle lettischen Amtsträger verpflichtet, nicht nur ihr Gehalt, sondern auch ihren Besitz öffentlich zu machen. Auf einer speziell dafür eingerichteten Seite der staatlichen Steuerverwaltung kann jeder (des Lettischen Mächtige) sich Informationen dazu erschließen. Auch zu Janis Birks etwa, der erst kürzlich zum Bürgermeister gewählt wurde und seine Steuererklärung noch als stellvertretender Bürgermeister abgab, sind alle Angaben öffentlich. Etwa diejenigen, dass er Vorstandsmitglied bei seiner Partei "Tevzemei un Brivibai" ist, aber auch beim Sportklub ASK Riga und bei der Verwaltung des Rigaer Freihafens. Er besitzt Land im Bereich des Dorfes Roja, Aktien im Wert von über 300.000 Lat, verfügt über mehr als 20.000 Lat auf vier verschiedene Bankkonten verteilt, und deklarierte 2006 ein Einkommen von über 90.000 Lat, das auch seine Frau Anna, seine Tochter Ilze, seinen Sohn Martins und auch seine Schwester Rudite mit einschließt.

Führen solche Angaben zur Neidgesellschaft? Jedenfalls muss sich Lettland nicht wegen mangelnder Offenheit und Transparenz schämen. Die Tendenz, bei Politikern zusätzliche "schwarze" Einnahmen zu vermuten, wird so schnell sowieso nicht wegzubekommen sein. Dazu sind auch zu viele Leute zu schnell vermögend geworden in diesem Land - während die meisten staunend am Rande stehen bleiben und es nun für alleinig erstrebenswert halten, möglichst schnell ebenfalls zu Geld zu kommen. Schade um die vielen anderen Werte, deren Stärkung für die Gesellschaft und auch für die internationale Zusammenarbeit wichtig wären ...

12. Juni 2007

Who is this Mister Zzattlerß?

"Das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen in Lettland ist gering. Politikern wird generell Eigennützigkeit und Korruption unterstellt. Vertrauen wurde den Medien entgegengebracht, und der scheidenden Präsidentin Vīķe-Freiberga. Die Frage ist nun: wer ist Valdis Zatlers?"
So sagte es Dr. Andris Sprūds, Politologe der Stradina-Universität in Riga und Wissenschaftler des lettischen außenpolitischen Instituts im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf der 7.Konferenz Baltische Studien in Lüneburg am vergangenen Wochenende. Fortdauernde Unsicherheit
Die deutschsprachige
Presse übt indessen, abgesehen von den aktuellen Nachrichten rund um den 31.Mai, erst einmal Zurückhaltung. Eine Äußerung wie die von Sprūds in Lüneburg scheint momentan das Maximale zu sein, was von kompetenter Seite in Lettland zu erwarten ist. Die Vermutung, Zatlers sei nur eine Marionette lettischer Oligarcheninteressen (deutlich gemacht auch durch entsprechende bildliche Darstellungen vor dem Parlament, am Morgen seiner Wahl), möchte denn doch erstmal keiner wiederholen.
"Der unbekannte Zalters", so schreiben auch TVNET und Rigas Balss (Stimme Rigas). "Er sieht lettisch aus - ich vermute, das ist schon die halbe Miete," so eine Stimme aus der estnischen Bloggerszene.


Von der Noch-Präsidentin Vīķe-Freiberga ist unterdessen zu vernehmen, dass Sie zusammen mit ihrer Familie einen Abschiedsball im Schloß Rundale geben wird. Ungefähr 1000 Gäste werden erwartet. "Das wird den lettischen Staat 5.000 Lat kosten für die Miete der Räumlichkeiten," notiert säuberlich die lettische Presse (TVNET). Aber Achtung: aus gleicher Quelle ist zu vernehmen, dass die Präsidentin die Gäste bitten werde, gemeinsam Volkslieder zu singen.
Eine Gerichtsklage droht indessen die Partei "Saskaņas Centrs" der Noch-Präsidentin an, da diese im Zuge kritischer Bemerkungen zu beiden Präsidentschaftskandidaten öffentlich über eine aus indirekten Quellen gespeiste Finanzierung dieser Partei aus Moskau spekulierte. Rein propagandatechnisch sucht die Partei diesem schiefen Image offenbar durch ein neues Logo zu begegnen, das drei Männer nebeneinander zeigt: Albert Einstein, den sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin und Krisjanis Barons, den lettischen Daina-Sammler.

Das Thema der "Danksagungsumschläge" an lettische Ärzte indessen wird wohl noch einen Teil der ersten Amtszeit des bisherigen Chefarztes Zatlers der Öffentlichkeit erhalten bleiben. "Die Patienten müssen schon bald mehr bezahlen, aber diesmal ganz offiziell," schreibt die Zeitung Neatkarīga Rīta Avīze (NRA).
Am 8.Juli soll die offizielle Amtseinführung Zatlers stattfinden - ebenfalls im Schloß Rundale.

Währenddessen scheint es bei WIKIPEDA eine merkwürdige Art von Selbstzensur zu geben. Bemerkenswert deshalb, weil das, was dort steht, zunächst aus diesem Blog (siehe Beitrag) fast abgeschrieben war, auch mit Linkverweis (natürlich nicht alles, aber ein paar Fakten daraus). Eine Woche später aber wurde der Verweis durch einen Link zur FAZ ersetzt.
Die Frage also: entweder ist das wohl eine Methode, Seriösität vorgaukeln zu wollen, oder der bei manchen Leuten immer noch vorhandene Skrupel, sich vor allem auf Internetrecherche zu stützen, wird hier sogar von Wikipeda konterkariert. (In die interne Wikipeda-Diskussion werde ich mich aber nicht einmischen ...) :-)