3. August 2008

Demokratie olympisch: war dabei sein schon alles?

Wenn das Volk unzufrieden ist, kann es das vorher gewählte Parlament auch wieder entlassen - diese bahnbrechende Idee sollte am Samstag, den 3.August 2008 per Volksabstimmung in Lettland realisiert werden. Ausgelöst von der Turbulenzen der sogenannten "Regenschirmrevolution" des vergangenen Jahres, in deren Verlauf lediglich der Rücktritt des damaligen Regierungschefs Kalvitis erzwungen wurde, sollte nun ein höchst symbolischer Schritt und ein positiver Schub für verstärkte Bürgerbeteiligung am politischen Geschehen erreicht werden. Das Hauptziel gelang jedoch nicht: über 50% aller wahlberechtigten Bürger hätten der Verfassungsänderung zustimmen müssen, gemäß vorläufigem Ergebnis waren es dann 40,15%.

Ergebnisse nach Wahlbezirken

englische Übersetzung der vorgesehenen Verfassungsänderung

Dennoch ein Sieg? 

Die Zustimmung zur beabsichtigten Verfassungsänderung lag bei denen, die abgestimmt haben, bei über 96% - beinahe zwangssozialistische Verhältnisse. Aber das heißt wohl, dass diese 628.000 Menschen, die sich hier beteiligt haben, eine sehr hohe Motivation haben etwas im politischen Leben Lettlands ändern zu wollen. Das untypische daran: es wurde vorerst mal nicht der in den vergangenen Jahren typisch lettische Weg begangen, zusammen mit ein paar einflußreichen und bisher nicht weiter politisch hervorgetretenen Leuten eine neue Partei zu gründen, bei Wahlen einen relativ guten Erfolg einzuheimsen, und danach eine ähnliche Klientel-Politik wie alle anderen zu betreiben.
Also: Löst das Gefühl nach dieser Volksabstimmung, dass eigentlich noch nichts erreicht wurde, mehr Motivation aus sich weiter an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des demokratischen Lettland beteiligen zu wollen? Vielleicht wäre es dann ja doch ein Sieg der Demokratie.

Die Reaktionen der deutschsprachigen Medien fallen nur sehr allgemein aus - und berichten ja auch nur punktuell, selten genug, und dann noch oft selektiert. Die Junge Welt wie immer abfällig und mit veralteten Infos: so wie früher die Wessis gegenüber den Ossis (wie sich die Zeiten doch ändern!). Letten würden nur 53% der Bevölkerung ausmachen, steht doch da glatt zu lesen - Infos fast noch aus der Sowjetzeit, soviel ist sicher. Etwas weniger ideologische Scheuklappen wären zu wünschen.
Der Standard aus Österreich sieht den Hauptgrund des hier als "Mißerfolg" gewerteten Referendums darin, dass nicht mindestens die Hälfte der Wähler zu den Urnen gegangen seien. Reuters sah Parlamentsneuwahlen bei einer Zustimmung zur Volksabstimmung voraus - das ist ja schon mal eine politische Wertung. "Die Presse" wiederum, ebenfalls Austria, sieht hinter den Betreibern pro Referendum eine "linksgerichtete Opposition" - na gut, das lettische Parteigefüge ist kompliziert, und nicht jeder kann "Junge Welt" querlesen um von den fabelhaften Unterschieden in der individuellen Sichtweise zu lernen. Die Schweizer Tagesschau berichtet sogar: "nur 3 Prozent folgten den Rechten." Und eins fallen lassen" - alles klar im Unklaren.

Wie sehen es die Letten selbst?
Die Meinungen in Lettland sind geteilt - wie sollte es auch anders sein.
Eine Bemerkung nebenbei: es gab statistisch keine Unterschiede im Abstimmungsverhalten von lettischen oder russischstämmigen Staatsbürgern (ja die gibt es!) in Lettland.
Während aus den Reihen der gegenwärtigen Regierungsparteien nun Stimmen zu vernehmen sind, es gäbe keinen Grund für irgendwelche Konsequenzen, appellieren Oppositionspolitiker an den Einzigen, der auch ohne Verfassungsänderung das Parlament auflösen und Neuwahlen veranlassen kann: Präsident Zatlers. Dieser berief inzwischen immerhin für die kommende Woche (6.August) schon mal eine Sondersitzung des Parlaments ein.
Edgars Vaikulis, Pressesekretär des Ministerpräsidenten Godmanis, verkündet schon am Tag nach der Abstimmung Erstaunliches: die Zahl der Befürworter einer Verfassungsänderung sei dermaßen hoch gewesen, dass auch Godmanis der Meinung sei, es müsse Änderungen in der Verfassung geben. Der Regierungschef selbst will sich dazu am Montag äussern.

Wer behauptet, es hätte sich nichts geändert?

Auch bei regulären Wahlen nehmen ja in der Regel nur so um die 50% der Wahlberechtigten teil - und die Politiker/innen beanspruchen trotzdem 100% der Sitze!

2 Kommentare:

rolandbusche hat gesagt…

Liebe Leute

Ich kann das Abfällige im JW Bericht nicht finden. Selbst bürgerliche Kreise wie die EU haben die Politik Lettlands in der Einbürgerungsfrage zu einem Kernpunkt der Beitrittsverhandlungen gemacht. Also im Vergleich zu anderen Medien bin ich froh, dass überhaupt was in der Zeitung steht. Eine Frage habe ich aber noch : Als ich letzte Woche in Riga war, da habe ich von Wahlkampf gar nichts mitbekommen. Gibt es in Lettland nicht die Form des Wahlkampfs mit Plakaten. Danke übrigens für eure Mühe diesen Blog so zu pflegen.

Gruß

Roland Busche

Albert Caspari hat gesagt…

Hallo Roland,

doch, normalerweise gibt es jede Menge Plakate, wenn es ein Wahlkampf ist. Es gibt sogar Bemühungen, die Summen zu begrenzen, die jede Partei für den Wahlkampf ausgeben darf. Aber in diesem Fall war es ja ein "vom Volk selbst" initiiertes Referendum, zu dessen Erreichen auch erstmal genügend Unterschriften gesammelt werden mussten. Also alles "von den Bürgern selbst gemacht".

Die Regierungsparteien dagegen riefen offen zur Nicht-Teilnahme auf.
Einerseits hast Recht:mit Hilfe von mehr Plakaten wären wohl noch mehr hingegangen. Andererseits: das hätte noch mal eine Menge Geld gekostet.