30. April 2009

2.Wahl für Lettland

Feiertage & Wahltage
Nur noch wenige Feiertage sind zu überstehen, bis es politisch wieder interessanter wird in Lettland. Nach dem 1.Mai (Tag der Arbeitslosen), dem 4.Mai (Tag der Unabhängigkeitserklärung), dem 9.Mai (den einige als Tag des Sieges über den Faschismus feiern, andere ziehen den Tag als Europatag vor), dem 16.Mai (Nacht der Museen), dem 17.Mai (Riga-Marathon), dem 5.Juni (internationaler Umwelttag) ...

Dann der 6.Juni. Zweifache Wahl. Wählen gehen, das funktioniert am 6.Juni 2009 in 2 Farben: erstmals finden im demokratischen Lettland zwei Wahlen an einem Tag statt. Ein blauer Wahlzettel für Europa, ein roter für die Kommunalwahl. Fast wirkt es wie eine Bestrafung fürs Wahlvolk, dessen Leit-Slogan ja längere Zeit war: "Atlaist Saeimu!" ("löst das Parlament auf!"). Gerade Parlament und Regierung bleiben durch die kürzliche Neuformierung der Regierung (durch einen nach Riga zurückgekehrten Europa-Parlamentarier!) nun im Amt, aber die beiden anderen Ebenen sollen neu bestimmt werden. Bei den Kommunalwahlen wird erstmals nach der Gebietsreform in neuen, größeren Wahlkreisen abgestimmt. Eigentlich sollten die Motivationen ja unterschiedlich sein, aber vielleicht beschreibt auch ein Beitrag in DIENA vom 27.April die Stimmung richtig; es gäbe auf kommunaler Ebene momentan gar keine eigene Themen, da alle nur über den drohenden Staatsbankrott reden.

Gerade diejenigen, die sich eher für Persönlichkeiten als für Parteiprogramme entscheiden möchten, werden es diesmal schwer haben. Nicht nur Regierungschef Dombrovskis kehrte vom Europajob nach Riga zurück - viele haben "die Stühle gewechselt" und tauchen nun mit veränderten Zielen und Ambitionen an anderer Stelle wieder auf (Kandidatenlisten zur Europawahl sind HIER einzusehen, Kommunalwahllisten HIER).
Bei den zurückliegenden Wahlen war die Wahlbegeisterung auch schon nicht überwältigend: 53% beteiligten sich zuletzt 2005 bei den Kommunalwahlen, und nur 41% bei den Europawahlen.

Ein Trost blieb an diesem 1.Mai - wenigstens sportlich hat er Schlagzeilen gemacht. Bei der Eishockey-WM bezwang das lettische Team nach Schweden nun auch die Schweiz. Gerade rechtzeitig um zum Jahrestag die Stimmung ein wenig zu heben.

Bilanzen
5 Jahre nach dem EU-Beitritt gibt es wenig Euphorie für die Politik. Feierlichkeiten, gemeinsames Liedersingen zu Tausenden am Daugava-Ufer wie am 30.4.2004, das fiel diesmal aus. In Altstadtnähe (Vērmanes dārzs) werden Informationen zu den EU-Mitgliedsstaaten angeboten.
Der Fernsehsender LNT zitiert unterschiedliche Meinungen zu "5 Jahre EU-MItgliedschaft". Während die einen vor allem an offene Grenzen denken ("die Kinder haben es jetzt besser"), weisen andere auf den Zusammenbruch ganzer Produktionsbereiche wie Zuckerfabriken und Fischerei hin und schieben das auf die EU.

Auch die neuesten Zahlen des lettischen Statistikamtes lohnen zu lesen. Einige der lettischen Pressestimmen meinen, nach dem Zusammenbruch der größten lettischen Bank, nach dem Beinahe-Staatsbankrott und den bereits erfolgten massiven Lohnkürzungen im eigenen Landes stünde nun ein weiteres Ausschweifen einer Welle von Arbeitsmigranten über ganz Europa bevor. In den offiziellen Migrationsstatistiken erfasst sind nur knapp 10.000 Menschen (3465 davon wanderten nach Lettland im Jahre 2008 ein, der Rest wanderte aus). Oft ist zu hören und zu lesen, diese Zahlen müsse man eigentlich verdoppeln, um sich der realen Zahl der Arbeitsemigranten anzunähern. 269 Menschen wanderten im Jahr 2008 übrigens aus Deutschland nach Lettland ein (Rückkehrer?) Die Statistik erfasst nur die Herkunftsländer, so auch 198 Menschen aus Irland (wohl kaum Iren).
1383 Lett/innen meldeten sich 2008 nach Irland ab (14,6% aller Auswanderer), 879 auch nach Deutschland (9,3%).
59,2% aller Auswanderer hatten die lettische Staatsbürgerschaft. Bei den Einwandern dominieren mit 60,2% die Männer, während bei den Auswanderer/innen mit 56,3% die Mehrzahl Frauen sind.
Die lettischen Statistiken verraten auch noch, dass 58,6% derjenigen, die 2008 zur Arbeitsaufnahme ins Ausland zogen, vorher in Lettland eine Beschäftigung hatten - nur 23,6% waren Arbeitssuchende, der Rest Schüler und Studierende.

Wer die Qual hat, hat keine Wahl?
Mit "Horror-Szenarien" für Deutschland titelt wieder mal nur die ZEITUNG MIT DEN GROSSEN BUCHSTABEN - illustriert von Uni-Professor Klaus Segbers. "Billig-Arbeiter werden auch 2010 nicht den deutschen Arbeitsmarkt überschwemmen", sind sich die Autoren hier sicher. Nun ja, wessen Lohn in Lettland drastisch sinkt - bei Preisen fast wie in Westeuropa - was möchten wir den lettischen Brüdern und Schwestern denn zurufen? Harret aus auf eurer landschaftlich wunderschönen Lauku sēta, seid freundlich zu den deutschen Touristen, und haltet die Steuern niedrig für deutsche Unternehmer, die in eurem Lande investieren möchten? Zumindest die europäische Stimmung möchte sich die deutsche Politik ja nicht vermiesen lassen - und kommunal wird zumindest der Stuhl des Bürgermeisters von Riga konzentrierte Aufmerksamkeit bringen. Also mal gespannt, in welche Richtung die lettischen Wahlergebnisse weisen.

2 Kommentare:

Anda hat gesagt…

1.Mai - Tag der Arbeitslosen?

MfG hat gesagt…

Wie schön, einen gut verfassten Artikel lesen zu können, der ein wenig Licht in die von außen schwer zu durchschauende politische Situation bringt.
Es wäre tatsächlich schön, wenn die jetzt anstehenden Wahlen - zusammen mit den scheinbar sich verstärkenden Kontrollen der EU - eine Verbesserung der Wirtschaftspolitik mit sich brächte, die mehr ist als nur ein Niedrighalten der Steuern, denn es gibt genug andere Länder, die sich mit Lettland in einem Niedrigsteuerwettkampf befinden.
Eher wäre es wohl angebracht, eine mittelfristige Stärkung industrieller Produktion anzustreben und im Bereich des Konsums auf eine breitere Angebotspalette zu setzen - Produkte, die auch für die Mittelschicht interessant sind (erstaunlich ist beispielsweise, dass es in Riga keinen IKEA gibt, während beinahe jede polnische Stadt von der Firma inzwischen versorgt wird).
Ich glaube aber, dass es schwierig werden dürfte, die Parteien von der Kommune bis zum Parlament von ihren Scheingefechten abzubringen (das Gespenst von den "russischen" Parteien) abzubringen und auf die wirklichen Probleme hinzuweisen.