2. September 2009

Verloren auf Arbeitssuche

Wer hat sie noch nicht erhalten? Besorgniserregende Nachrichten und Mails von Freunden und Bekannten in Lettland, die sich im Zeichen der Krise und steigender Arbeitslosigkeit im eigenen Land aufmachen, um wenigstens für eine Zeitlang irgendwo im Ausland einen Job zu suchen. Vieles deutet darauf hin, dass manche Auswirkungen der Finanzkrise ihre Auswirkungen in Wirtschaft und Gesellschaft erst mit Beginn des Winters zeigen werden. Daher gilt es vorzubeugen - im Sommer einen Job suchen.

Verlockende Angebote per Telefon
Nun stehen aber auch vermehrt Nachrichten über geprellte Jobsucher in der lettischen Presse. Halb in die Illegalität gezwungen (Deutschland z.B. hat seinen Arbeitsmarkt immer noch abgeschottet gegenüber Arbeitssuchenden aus den neuen EU-Ländern), ist so mancher auf dubiose Zeitungsannouncen angewiesen, die in der lettischen Presse oder im Internet zu finden sind.

Von einer Odysee durch Frankreich, Deutschland und die Schweiz berichten zum Beispiel Jurijs und Ludmilla aus Liepāja in der "Latvijas Avize". "Wir helfen Ihnen in der Schweiz Arbeit zu finden" - auf eine Anzeige diesen Inhalts antworteten die beiden. "Am Telefon wurden uns eine Arbeit in einem Hotel zugesagt, für 15 Euro die Stunde", erzählt Jurijs. Aber zunächst fuhren die beiden nach Frankreich, fanden dort Arbeit bei einem "reichen Russen". Sehr schlecht bezahlt, und den Launen der "Arbeitgeber" ausgesetzt, suchten sie weiter und kamen auf das Angebot zurück, dass angeblich aus der Schweiz stammte. Drei Tage Fahrt in einem siebensitzigen Kleinbus, von Liepāja durch Deutschland nach Basel. "Dort trafen wir aber dann nicht diesen Mann mit dem angeblichen Namen 'Max', mit dem wir die ganze Zeit telefoniert hatten, sondern eine Frau stand vor uns, die uns erzählte, 'Max' sei auf Dienstreise. "Nun, gehen wir in ihr Büro!" schlug Jurijs der Frau vor, die sich als 'Svetlana' ausgab. Nein, das sei zu weit, war die Aussage, alles solle bei einem Spaziergang auf der Straße - vor dem Hauptbahnhof Basel - besprochen werden. Schnell stellte sich der Hauptzweck dieser Masche heraus: erst wird eine größere Summe Geld verlangt, bevor das tatsächliche Vorhandensein einer Arbeitsstelle nachgewiesen wird.

"Hilfe, Polizei!" hallte es über den Bahnhofsvorplatz
Doch Liepāja's Jurijs, nicht faul und auch einiger Deutschkenntnisse mächtig, lässt sich nicht hereinlegen, und will die Sache unter Hinzuziehung der Baseler Polizei klären. Die Sache geht von der Bahnhofsverwaltung, Stadtverwaltung (unter Hinzuiehung eines Übersetzers) zur Polizei. Von der Polizei erfährt Jurijs, die Namen der beiden "Arbeitsvermittler" seien Svetlana und Aleksander Balaban - sie aus Tallinn, er aus der Ukraine (im Besitz eines Schengen-Visums). Gefunden wurde bei Ihnen eine lange Liste von Personen, von denen sie Zahlungen erwarteten oder schon bekommen hätten. Von der Schweizer Polizei erfährt Jurijs dann auch, dass Arbeitssuchende in der Regel drei Monate warten müssen auf Genehmigung eines Arbeitsantrags - auch wenn ein konkretes Angebot schon vorliegt.

"Eine Unverschämtheit", das meint sicherlich nicht nur Jurijs, "ausgerechnet diejenigen zu berauben, die für ihr letztes Geld nach Arbeit suchen!" Wievielen mag Ähnliches passiert sein, ohne dass sie sich an die Polizei wenden? "Und wem das öfters passiert, kann auch als 'Wiederholungstäter' gleich im Ausland im Knast landen!" warnt Jurijs.

Nur wenige, die bei der Arbeitssuche im europäischen Ausland "übers Ohr gehauen" werden, wenden sich an die Behörden oder die Botschaft - so auch ein ähnlicher Beitrag zum selben Thema bei TVNET. Das lettische Außenministerium bestätigt aber, dass sie Zahl derjenigen die über ähnliche Fälle berichten, steigt. Leider seien die Möglichkeiten, strafrechtliche Maßnahmen einzuleiten, aber gering, wenn die Arbeitsangebote lediglich per Telefon abgegeben worden seien. Bei TVNET werden Aussagen der lettischen Botschaft in Deutschland zitiert, denen zufolge erst 4 schriftliche Beschwerden gegen falsche Arbeitsangebote eingegangen seien, aber nachweislich mehr als 50 Personen bekannt geworden sind, zu deren Nachteil ähnliche Vorgänge zu verzeichnen gewesen sind. Ähnlich sehe es auch in Großbritannien, Irland, Spanien und Norwegen aus. 'Typisch' seien jene Fälle, in denen Arbeitssuchende losfahren um eine versprochene Arbeit anzutreten, dann aber vor Ort ohne Geld für die Rückfahrt und ohne weitere Möglichkeiten dastünden.

Guter Rat ist ... teuer?
Auch bei "Neatkarīga" wird über ähnliche Fälle berichtet, in diesem Fall speziell über lettische Arbeitsuchende in Deutschland. Dort wird auch ein Fall beschrieben, in dem das bei Letten äußerst beliebte Internetportal "draugiem.lv" für kriminelle Angebote genutzt wurde. 200 Euro vorab "für die Bearbeitung von Dokumenten" wurde verlangt, Arbeit gab es keine. Auch hier waren die Geschädigten bereits vor Ort in Deutschland. Aus Dresden wurde noch ein krasserer Fall bekannt, in dem lettische Arbeiter erst nach drei Wochen Arbeit merkten, dass sie keine Bezahlung erhalten würden. Klingt unglaublich? Passiert nur dummen und naiven Menschen? Wer das sagt, dem würde ich gern mal die Bezüge um 35% "spontan" kürzen, wie es jetzt im Frühjahr Lehrerinnen und Lehrern in Lettland passiert ist.

Auch in Deutschland braucht man vorab erstmal einen Arbeitsvertrag. Das sollte klar sein - aber wer weiß, dass er / sie sich eh "halb in der Illegalität" bewegt, der hält vielleicht ungewöhnliche Vorgehensweisen für normal? Das deutsche Arbeitsamt informiert sehr wohl über Arbeitsmöglichkeiten für Deutsche in Lettland - wer das Geld, wie die deutschen Firmen, nach Lettland mitbringt, der kann es sich wohl leisten. In Lettland tätige Personen, die sich als "Arbeitsvermittler" ausgeben, rechnen aber offenbar damit, dass "offiziell" es einen Arbeitsmarkt für Lett/innen in Deutschland ja gar nicht gibt, und in finanzielle Not geratene Menschen so maches in Kauf nehmen - "auf die eigene Kappe", wie man Deutsch so schön sagt. 

Zusatz: 
Zahlen des lettischen Statistikamtes sagen aus, dass im 2.Quartal 2009 die Einkommensverteilung in Lettland wie folgt aussieht: 
bis 200 Lat monatliches Einkommen: 35% - im Vorjahr 25,8% (18% erhalten lediglich den vorgeschriebenen Mindestlohn oder weniger - 2009 sind dies 180 Lat)
200 - 300 Lat: 26,8% (Vergleichszeitraum im Vorjahr: 23,3%)
300 - 500 Lat: 24,1% (Vorjahr: 22,5%)
500 - 1000 Lat: 8.9% (Vorjahr: 8,9%)
über 1000 Lat: 1% (Vorjahr 1,1%)

Als Arbeitssuchende waren im 2.Halbjahr 2009 199.700 Menschen registriert (16,7% aller ökonomisch aktiven Einwohner). Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur 76.500 Personen, die als Arbeitssuchende registriert waren.


1 Kommentar:

Sireddy hat gesagt…

Sehr interessant deine Seite...ich war vor 4 wochen in Riga...hat mir sehr gut gefallen.
Ich werde deinen blog in meine tägliche Leseliste einfügen.

Viel Spass weiterhin