19. Februar 2010

Kommunale Gebietsreform in Lettland im Kreuzfeuer

Reformen von Gemeindegrenzen, die Frage, welcher Ort Verwaltungssitz ist und welcher nur Ortsteil einer größeren Nachbargemeinde, sorgt überall für böses Blut. In den mit ca. 35 Einwohnern pro Quadratkilometer dünn besiedelten baltischen Staaten ist das Thema seit der Unabhängigkeit 1991 virulent gewesen. Viele Regierungen haben die Entscheidungen auf die lange Bank geschoben.

In Lettland gab es Ende der 90er Jahre ein Gesetz, nach dem die alten Gemeinden (pagasts) abgeschafft und durch größere Kreise (novads) ersetzt werden sollten. Geplant war anfangs eine Freiwliigkeit bis 2003, wovon eine Reihe von Gemeinden auch Gebrauch gemacht haben. So entstanden zügig die Kreise Kandava in Kurland und Salacgrīva in Livland, Schritte, die auch vor Ort durchaus als Erfolg gesehen wurden.

Eine endgültige neue Karte trat zu den Kommunalwahlen im Juni 2009 in Kraft. Und gegen die regt sich nun mancherorts Widerspruch.

Zunächst gab es Krach an der kurländischen Küste der Rigaer Bucht. Die Orte Mērsrags und das größere Roja vetragen sich nicht. Dieser Streit veranlaßte das Regionalministerium, einen Inspektor aufs Land zu schicken. Dabei wurde festgestellt, daß beide Orte ihre Schulen und Kindergärten haben, zu denen die Schüler aus der Umgebung mit dem Bus gebracht werden. Auch die medizinische Versorgung ist gewährleistet. Allerdings gab es in Mērsrags Gerüchte über eine bevorstehende Schließung der Mittelschule und des Kindergartens.

Interessant ist, daß einige Journalisten von Bürgern von Mērsrags zufriedene Stimmen hörten, auch das kulturelle Leben und die sozialen Versorgung habe sich seit der Vereinigung sogar verbessert. Dem lettischen Radio hingegen klagten andere, die Gehälter seien drastisch gekürzt worden.

Wesentlicher Stein des Anstoßes waren jedoch unprofessionelle Entscheidungen bezüglich der Fischfanglizenzen, bei denen Mērsrags eindeutig zu kurz gekommen war. Dieses Problem wurde inzwischen zur Zufriedenheit der Fischer in Mērsrags behoben. Trotzdem hatte im Februar das Parlament über den Wunsch des Ortes zu entscheiden, sich von Roja zu trennen. Obwohl die Entscheidung positiv ausfiel, ist ein neuerlich selbstständiges Mērsrags aber erst zu den turnusgemäßen Kommunalwahlen 2013 realisierbar.

Für diesen Entschluß stimmten die Neue Zeit und die Union aus Grünen und Bauern, deren Unterstützung gerade auf dem Land groß ist. Diese Partei äußerte die Ansicht, es mache keinen Sinn, Orte auf Gedeih und Verderb zum zusammenleben zu zwingen, wenn dies vor Orts niemand wolle. Die Volkspartei lehnte die Trennung ab. Ihr Regionalminister, Edgars Zalāns, befürchtet, das Beispiel könne Schule machen. Er hält den Streit für politisch motiviert. Massenweise Anträge auf eine revidierung der Reform halten andere Politiker wiederum für unwahrscheinlich und sind der Ansicht, daß die Reform zehn Korrekturen verkraften könne.

Seither haben sich bereits weitere Orte gemeldet. So will Staicele in Livland, nahe der estnischen Grenze, von Aloja trennen. Die Bürger von Staicele sind der Ansicht, man habe in eigener Initiative seit der Unabhängigkeit entschieden mehr bewerjstelligt als der Nachbarort. Die Zusammenlegung sei nie eine Liebe nie gewesen, die Mentalität unterscheide sich grundlegend.

Tatsächlich stellt Staicele in der Kommunalpolitik die Mehrheit und stört sich am Mißtrauen der zumeist aus Aloja stammenden Opposition. Bürgermeisterin Dace Vilne nennt ständige Kontrollen als Ursache des Unmuts. So habe man den Saal und das Dach der örtlichen Musikschule mit Sponsorengeldern renoviert, woraufhin Alojas Politiker unterstellten, es handele sich um unsaubere Finanzmittel. Die stellvertretende Direktorin der Schule wirft der Opposition vor, daß sie nur an die Macht kommen wolle. Das wäre an und für sich selbstverständlich die Aufgabe einer Opposition.

Doch es gibt begründete Probleme. Beide Orte verfügen über eine Mittelschule und eine Musikschule. Im gemeinsamen Kreis droht nun, daß die schlechter wirtschaftende Schule geschlossen werden könnte. Da die Mittelschule von Staicele den Fußballverband als Partner gewonnen hat, gibt es dort eine verstärkte Ausbildung in diesem Sport. Und so betrachten es die Bürger von Staicele nicht als Zufall, daß ausnahmsweise die Trennung von Aloja und Staicele im gegenteil zu Roja und Mērsrags in beider Interesse liegt und ebenso von beiden Seiten unterstützt wird.

Südwestlich von Riga im Städtchen Baloži wird ebenfalls eine Trennung von Ķekava diskutiert. Der bisherige Bürgermeister von Baloži verbreitete das Gerücht, sein Ort könnte den Status der Stadt verlieren. Die Bürger zeigten jedoch auf Nachfrage generell wenig Interesse an dem Thema, und einige waren sogar der Ansicht, daß die Vereinigung nur Vorteile bringe.

17. Februar 2010

Steuerdatenskandal jetzt auch in Lettland

Beim Finanzamt in Lettland ist ein Leck entdeckt worden, das 7,4 Millionen Dokumente betrifft. Etwa 1.000 Gemeinden und Unternehmen sind schockiert darüber, daß Informationen über abgeführte Umsatzsteuer und die Einkommen ihrer Angestellten in die falschen Hände greaten sind. Die Höhe der entrichteten Steuer wird als Betriebsgeheimnis betrachtet, weil sich daraus weitere Rückschlüsse ziehen lassen.

Während die Supermarkt-Kette RIMI sich auch wegen der persönlichen Daten der Mitarbeiter darüber sorgt, in welche Hände die Daten nun gekommen sind und noch kommen könnten, hält der der Rechtsanwalt und Steuerexperte Jānis Zelmenis den Fall für Spionage, mit deren Hilfe sich Unternehmen Informationen über die Konkurrenz besorgen wollten.

Einstweilen ist aber noch unklar, ob das Leck die Folge eine Hackerattacke ist oder aber zielgerichtet entstand.

Gewiß ist, daß dieser Fall erneut zur Politisierung beiträgt. Leitende Positionen sind in einer kleinen Gesellschaft wie der lettischen immer in der Gefahr, politisiert zu werden. So wurde jüngst auch hierzulande erneut der Vorwurf erhoben, bei der Besetzung sei die Parteizugehörigkeit der Kandidaten wichtiger als ihre Professionalität. Für Unruhe in der Koalition sorgten im Januar die Angriffe des Finanzministers von der Neuen Zeit, Einars Repše, gegen den Chef der Finanzverwaltung, Dzintars Jakāns, dessen Entlassung er vorschlug und schließlich vornahm. Die Begründung: unter Jakāns’ Führung habe es zu viele Unregelmäßigkeiten gegeben.

Jakāns wies im vergangenen Monat alle Vorwürfe gegen ihn zurück und zweifelte daran, daß durch das Leck großer Schaden entstanden sei. Gleichzeitig zeigte er sich interessiert, wer wohl für das “Mißgeschick” verantwortlich sei und unterstrich, daß eine hohe Amtsperson verantwortlich sein müsse und dies nach seiner Absetzung geschehen sei. Die wiederum erklärt er mit seinem Vorgehen gegen Amtspersonen der Anti-Korruptionsbehörde.

Wir sind die Besten

“Wir sind und bleiben die Besten!” (Mēs esam un būsim tie labākie). Das behapauptet die Gruppe Prāta Vētra (Brainstorm) in einem Song – offensichtlich über sich. Komponist und Texter ist der Sänger Reinārs Kaupers. Seine Gruppe ist in Lettland seit mehr als zehn Jahren im Geschäft und zweifelsohne eine der erflogreichsten Bands des Landes. International wurde sie bekannt durch ihren dritten Platz beim Eurovision Song Contest im Jahre 2000. Einen wirklichen Durchbruch brachte dieser Erfolg jedoch nicht.

Diese Woche kam es zu einem kleinen Skandälchen. Anläßlich ihres kleinen Parteitages, auf dem über den Beitritt zur Liste Einigkeit (Vienotība) mit der Gesellschaft für eine andere Politik und der Bürgerlichen Union entschieden wurde, ließ die Partei Neue Zeit während der Auszählung der Stimmen dieses Lied im Saal erklingen, während auf der Leinwand ein “V” erschien, das vermutlich neben dem Symbol für den Listennamen auch an “Sieg” (Victory) erinnern sollte.

Nachdem die Managerin der Gruppe sich gegen die Nutzung verwahrt hatte, erklärte eine Vertreterin der Partei, die üblichen Gebühren für die Aufführung seien entrichtet worden. Gleichzeitig bedauerte sie, zu der Mißstimmung sei es eigentlich nur gekommen, weil Journalisten ihre Berichterstattung auf dieses Bild reduziert hätten. Eine weitere Nutzung des Songs im Wahlkampfes sei nicht geplant.

Eine Vertrerin der lettischen Autorenvereinigung unterstrich, daß die Autoren selbst darüber zu entscheiden hätten, wie, wann und wo ihre Werke eingesetzt werden dürfen. Da die Partei die Erlaubnis von Kaupers nicht eingeholt habe, müsse dieser sich nun an die Justiz wenden.

16. Februar 2010

Gesalzene Kontakte

Eigentlich heisst es ja immer, Lettland sei ein Land arm an Bodenschätzen. Kein Öl, keine wertvollen Mineralien. Aber in diesen Tagen des anhaltenden Winters fühlt man sich fast zurückversetzt in die Zeiten der Hanse, als ganz andere Güter sehnlichst erwartet wurden in den Häfen, wo die Koggen anlandeten. Gar manche Hansestadt verdankte ihren Reichtum damals diesem begehrten Gut: dem Salz. 

Manche kennen von ihrem Deutschland-Besuch fast nichts anderes als Autobahnen. Sie gelten als Symbol der selbstverständlich gewordenen Freiheit des individuellen Hin- und Herfahrens. Unter dem Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger" gründeten sich einst sogar Parteien, die dies als erste Priorität der deutschen Demokratie ansahen. Am 14.Februar trat die Katastrophe ein: eine ganze Autobahn musste gesperrt werden - wegen Streusalzmangels (siehe DIE WELT / FAZ) . Auf 52 km der Autobahn A44 zwischen Dortmund und Kassel ging nichts mehr, der wochenlang anhaltende schneereiche Winter löst weder Hungersnöte noch Zusammenbrüche der Stromversorgung aus. Aber Salzmangel.

Rettung naht aus einer unverhofften Richtung: aus Lettland. Zwischen Ventspils und Stralsund wird es sogar als eine Art "Amtshilfe zwischen Partner- städten" zelebriert, und dank eisfreiem Hafen kann die lettische Hafenstadt auch direkt liefern (so hätte ich gedacht - nein, sie kam per LKW).
"Stralsund wird diese unkonventionelle Hilfsmaßnahme niemals vergessen!" lässt sich Stralsunds Oberbürgermeister Dr. Alexander Badrow in der lettischen Presse zitieren. Er seit "tief bewegt" gewesen von der Hilfsbereitschaft der Stadt Ventspils und Bürgermeister Lembergs. In der Stralsunder Version des Pressetextes ist stolz von "gelebter Städtepartnerschaft" die Rede. Beide Beiträge schweigen sich allerdings darüber aus, ob es salzige Geschenke waren, die da ausgetauscht wurden, oder Lieferungen zum Vorzugspreis (siehe auch: Hamburger Abendblatt).


Vielleicht ein Glück, dass die Partnerschafts-Beteiligten nicht vorher den Kommentar von Ojārs Kalniņš gelesen hatten, der von Seiten des in Riga ansässigen staatlich betriebenen "Lettland-Insituts" angesichts von Schneekatastrophen in aller Welt, auf die angebliche Mentalität und Einstellung der Letten bezogen, titelte: "Snow what?". Was hat die Welt auch für merkwürdige Probleme mit viel Schnee, so Kalniņš, in Lettland würden deshalb keine Schulen oder Büros geschlossen, manche müssten gar 20km zum nächsten Dorf oder zum Arzt zu Fuß gehen, und immer noch würden die Tageszeitungen eher über Steuererleichterungen schreiben als über Schneekatastrophen. Nun, es ist davon auszugehen, dass Herr Kalniņš ein mit Steuergeldern gewärmtes Büro hat - die vielen Jobber im Einsatz beim Schneeräumen, trotz vollem Einsatz ihrer Arbeitskraft, haben aber wahrscheinlich weder einen gesicherten Arbeitsplatz, noch bekommen sie einen zum Lebensunterhalt ausreichenden Lohn.

Die Salzlieferungen Ventspils-Stralsund waren offenbar nicht die einzigen. Doch leider haben es andere glückliche deutsche Empfänger offenbar - trotz angeblich persönlicher Kontakte nach Lettland - nicht so leicht, die Absender der Hilfe zu identifizieren. Da sind wohl auch ein paar Recherchefahrzeuge der deutschen Journalisten im Schnee stecken geblieben. So meldet die "Neue Westfälische" das Eintreffen einer Salzlieferung aus "Riga in Litauen". Da reagierte der "Vlothoer Anzeiger" schneller, und korrigierte die Angaben in der Online-Ausgabe. Aber schön, dass auch Lettlands Nachbarland offenbar auf Angebot und Nachfrage zu reagieren weiss. 

Gut möglich ist auch, dass momentane Salzlieferungen aus Lettland schon einmal in Deutschland waren. Noch am 28.Januar brachte das "Naumburger Tageblatt" einen Bericht über die überdurchschnittlich gut laufenden Geschäfte der Firma ESCO in Hannover. Einerseits ist da zu lesen, dass die Gemeinden in Deutschland kaum noch Salz selbst einlagern (angeblich aus finanziellen Gründen), andererseits seien Schneeverhältnisse wie in diesem Winter in Skandinavien ja normal, und die Geschäfte mit nördlichen Staaten "eine sichere Bank". Zitat Naumburger Tageblatt: "Vom Seehafen Wismar gehen jedes Jahr hunderttausende Tonnen Salz nach Skandinavien. Auch die baltischen Staaten wie Estland und Lettland werden vom Bernburger Werk beliefert." Vielleicht sollte da mal eine Städtepartnerschaft Wismar - Stralsund angeregt werden?  

Was stand da noch in den "Länderinformationen" des Lettland-Instituts geschrieben? "Da es in Lettland keine Quellen für Salz gibt, wurde es durch Handel oder Tauschgeschäfte erworben und nur sehr sparsam gebraucht."

10. Februar 2010

Alle sind hier wie eine große Familie - außer die Deutschen

Es gibt nicht viele Medaillenhoffnungen Lettlands für Olympia in Vancouver. Martins Dukurs, Sohn des Bahnmanagers der Bobbahn im lettischen Sigulda, ist eine davon. Er liebt es mit dem Kopf voran: Skeleton ist seine Sportart, und er ist Weltcup-Führender in dieser Saison.

Offenbar steigt auch im lettischen Olympia- lager die Nervosität, zwei Tage für Olympia- start. "Wir Skeleton-Sportler sind hier wie eine große Familie in Vancouver," erklärt Dunkurs gegenüber der lettischen Nachrichtenagentur LETA, "mit Ausnahme der Deutschen."

In den deutschen Medien ist die Sportart Skeleton eher weniger präsent. Berichte von elitären und abgehobenen Sportlern im "Olympischen Dorf" waren bisher aber auch noch nicht zu lesen oder sehen. "Die Deutschen wohnen irgendwo in einem anderen Hotel," so erklärt Dukurs seinen lettischen Landsleuten, "aber ob sie irgendwo ins Restaurant gehen, oder ob sie überhaupt trainieren, keine Ahnung. Aber auch unehrenhafte Konkurrenz macht mich nur stärker,"  ist sich der Lette sicher.

Die verdorbene Stimmung geht auf den vergangenen Skeleton-Wettbewerb Mitte Januar in St.Moritz zurück. Dukurs boykottierte dort die Siergerehrung, der US-Amerikaner Bernota musste allein das Treppchen besteigen. Nach Unregelmäßigkeiten in der Bahnpräparierung hatte die Jury dort sich für eine komplette Anullierung des ersten Laufes entschieden. "Diese Jurys werden immer nur von den Deutschen dominiert", hat Dukurs, der zusammen mit seinem Bruder Tomass im Weltcup startet, seine eigene Erklärung offenbar gefunden. "Ich stecke meine ganze Energie in die Vorbereitung der Wettbewerbe, auch Geld. Ich bin zur Jury gegangen, ich verstehe nicht wie man mir den Erfolg durch solche Entscheidungen stehlen kann. Zwei Deutsche und ein Kanadier hatten Pech im ersten Lauf, aber ich verstehe nicht warum man deshalb alles annulieren kann. Ich habe das nicht verdient, ich bin für einen ehrenhaften ehrlichen Wettbewerb." 

Dukurs wurde in St. Moritz Dritter. Für sein Fernbleiben bei der Siegerzeremonie soll Dukurs eine Geldstrafe von etwa 100 Euro gezahlt haben. Die Jury, die den 1.Lauf annulierte, bestand aus einem Schweizer, einem Deutschen und einem Italiener. Mal sehen, welche weiteren Schlagzeilen deutsche und lettische Skeleton-Sportler in Vancouver demnächst liefern. Inzwischen konnte sich Martins Dukurs frühzeitig den Gesamtweltcup und die Europameisterschaft sichern und kann nun in Vancouver als Nr. 1 an den Start gehen. Ausserdem wird Dukurs auch die lettische Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen. 




Fanseite für Martins und Tomass Dukurs, erstellt von Schülern des Gymnasiums Sigulda (lettisch)

8. Februar 2010

Einiges und harmonisches Lettland

Wer einfach mal einen flüchtigen Blick auf die wichtigsten Parteien in Lettland wirft, wird Verständnisprobleme haben. Parteinamen ohne politische Aussage wie Lettlands Weg, Neue Partei, Lettlands Erste Partei oder neue Zeit sind gekommen und gegangen.

Harmoniezentrum (Saskaņas Centrs) klingt eher nach einem Wellness-Hotel, ist aber auch eine politische Partei, zumal eine der wichtigsten, wenn auch als „russische“ beständig in der Opposition und erst seit letzten Frühjahr die tragende Kraft der Rathauskoalition in der Hauptstadt Riga. Für Kenner: Selbstverständlich ist Ainārs Šlesers als graue Eminenz in einer anderen Partei, nämlich der ersten, die aber nirgends die erste ist. Zuminest darf das Harmoniezentrum für sich in Anspruch nehemen, den Harmoniebegriff der Idee einer Versönung zwischen den Letten und dem russischsprachigen Bevölkerungsteil entlehnt zu haben.

Jetzt gibt es mit Einigkeit (Veinotība) noch eine schön klingende politische Kraft, die eigentlich gar keine neue ist. So sieht das auch die Leiterin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba. Die wegen ihrer Anklage von Korruptionsfällen in der Bevölkerung angesehene, eloquente Dame hatte jüngst ihre Bereitschaft geäußert, das Amt des Regierungschefs zu übernehmen; dies aber nur in dem Fall, daß sie dies an der Spitze einer neuen politischen Kraft tun könne. Die Einigkeit ist jedoch letztlich die Vereinigung dreier bestehender politischer Parteien zuzüglich eines undurchsichtigen poltitisch-unpolitischen Konglomerats von Persönlichkeiten um die frühere Chefredakteurin der größten Tageszeitung des Landes diena, Sarmīte Ēlerte.

Neu zu sein, kann diese werdende Partei wirklich nicht für sich beanspruchen. Mit der von Einars Repše 2002 gegründeten anti-Korruptionspartei Neue Zeit vereinigt sich da die Bürgerliche Union, die sich erst während dieser Legislaturperiode von selbiger unter Führung von Sandra Kalniete abgespalten hatte. Dazu gesellt sich die Gesellschaft für eine neue Politik (Sabiedrība Citai Politikai), auch so ein wohlgefallender Name, von Artis Pabriks und Aigars Štokenbergs. Diese auch anfangs „nicht-Partei“ hatte sich von der Volkspartei erst nach den sogenannten „fetten Jahren“, als unter den Regierungen Kalvītis nichts gegen die Überhitzung der Wirtschaft unternommen wurde, also der jüngste tiefe ökonomische Fall vorbereitet wurde, abgespalten, als die genannten Politiker de facto rausgeworfen wurden.

Und auch Ēlerte ist kein politisch unbeschriebenes Blatt. Als Leiterin eines der wichtigsten Blätter Lettlands, welches einst als Organ der Volksfrontregierung gegründet und später privatisiert wurde, war immer eine Zeitung der Macht. Mit ihrer Unterstützung von Šķēle und dessen politischer Vision, das Land wie ein Unternehmen zu führen, wovon sie sich später wieder abwandte, hat sie sich nicht als inhaltlich den eigegen Werten treu erwiesen.

Hauptproblem für die Wähler aber ist, da viele national eingestellte Letten das Harmoniezentrum als Tod Lettlands betrachten, daß es kaum eine Alternative gibt. Auch der Soziologe Arnis Kaktiņš sagt, die Hoffnung der Einigkeit darauf, vom Volk als kleiner Übel angesehen zu werden, sind begründet und groß.

In der Presse allerdings werden bereits erhebliche Zweifel aufgeworfen, ob nach der Wahl die Einigkeit in Einigkeit bestehen bleiben wird. Ein Zerbrechen wäre vor dem Hintergrund der Parteienentwicklung der letzten 20 Jahre keine Überraschung. Parteien entstehen entlang politischer Konfliklinien. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit war dies quasi ein Viereck aus moderater oder auch deutlicher Unterstützung sowie Gegnern des bisherigen Regimes. Die Perpetuierung politischer Kräfte vorwiegend entlang persönlicher Animositäten, besonders auch rund um die Oligarchen des Landes, hat von diesem Wurzeln nichts übrig gelassen.

7. Februar 2010

Soziales Drama und steigende Kriminalität in Lettland

Die Krise in Lettland hat die Wirtschaf dramatisch schrumpfen und die Arbeitslosigkeit entsprechend steigen lassen. Hatte Lettland vor der Krise eine der höchsten Wachstumsraten in Europa und dank der Abwanderung vieler Arbeitskräfte ins Ausland de facto keine Arbeitslosigkeit, so war der Fall besonders tief.

Sichtbar ist dies seit Anfang 2009. Weniger Menschen sind auf den Straßen, weniger Staus, leere Cafés und leerstehende Ladengeschäfte.

Das Problem dabei, in Lettland gibt es bei weitem kein so gut ausgebauten Sozialnetz wie in westeuropäischen Staaten. Und selbst wenn es eine gäbe, würde das vielen Betroffenen auch nicht helfen, denn es war besonders in Lettland normal, wenn überhaupt bloß zum staatlichen Mindestlohn offiziell zu arbeiten. Werbekampagnen mit Plakaten, die an die Arbeitnehmer appellierten, sich dies nicht gefallen zu lassen, nutzten nichts, weil aus Mißtrauen gegenüber dem Staat nur zu gerne auf unlautere Angebote eingegangen wurde. Dank des Arbeitskräftemangels gab es jährliche Lohnsteigerungen von bis zu einem Drittel. Viele Menschen dachte, das ginge jetzt immer so weiter, und – zugegeben – diese Einstellung wurde von Seiten der Politik gefördert.

Und so häufen sich nun die Abstürze. Menschen, die noch vor kurzem Leasingraten zahlen könnten, fehlt nun das Geld, ihren Kindern etwas zum Essen zu kaufen. Und wieder gibt es Plakataktionen, die etwa an das Gewissen appellieren, nicht halb Lettland hungrig zu belassen.

Seit langem war befürchtet worden, die Kriminalität werde steigen. Und die Statistik besagt nach Angaben der Polizei einstweilen Folgendes: In Riga werden täglich durchschnittlich sechs Wohnungen aufgebrochen, drei Autos gestohlen, drei Menschen ausgeraubt und verschiedene Geschäfte überfallen. Wenigstens vier Übergriffe werden von Rauschgiftabhängigen begangen. Am meisten stieg jüngst die Zahl der Diebstähle aus Wohnungen, die zumeist unprofessionell durchgeführt werden. Die Täter lernen irgendwo jemanden kennen, es wird gemeinsam getrunken und anschließend gestohlen.

Noch vergangenes Jahr gab es professionelle Einbrecher, die Metalltüren aufgebohrt haben. Doch diese Täter wurden Ende 2009 gefaßt und seither gibt es solche Delikte überhaupt nicht mehr.

Statt dessen gibt es verstärkt Trickbetrüger, die verzweifelt nach Arbeit suchenden Menschen Arbeit im Ausland versprechen, Geld für die Vermittlung verlangen, das dann natürlich nie wieder zurückgezahlt wird, auch wenn es zur Arbeitsaufnahme gar nicht kommt. Das dies funktioniert ist überraschend, weil in den letzten Jahren auf die gleiche Art und weise „Maklerbüros“ ihre Kunden betrogen haben, was sich herumgesprochen hatte.

Bemerkbar ist die Krise auch bei illegalen Geschäften. So ist der Absatz von Kokain drastische gesunken, dafür wird mehr Marihuana und Heroin konsumiert. Gleichzeitig ist der Marktanteil von illegalem Alkohol und Zigaretten gestiegen.

Das diese Verbrechensstatistik auf das Konto des Überlebenskampfes zurückzuführen ist, bestätigt der Umstand, das gegenwärtig immer häufiger Täter ohne Vorstrafen festgenommen werden und viele bereit sind, mit Drogen auch für wenig Geld zu handeln, um sich das tägliche Brot zu verdienen.

Der öffentliche Dienst ist in Lettland nicht gut bezahlt oder vor Entlassungen sicher. Seit Beginn der Krise wurden die Gehälter hier gekürzt und Stellen abgebaut – trotz steigender Kriminalität. Es häufen sich deshalb Beschwerden über die Polizei, sie sei unfreundlich, Anrufer des Notrufes würden hin- und herverbunden, bis sie selber nicht mehr wüßten, weshalb sie eigentlich anriefen, so ein Sprecher. Generalstaatsanwalt Jānis Maizītis wiederum klagt an, daß viele Mitarbeiter der operativen Dienste, aber auch der Staatsanwaltschaft ihren Arbeitsplatz gewechselt haben. Letztere arbeiten nunmehr als Rechtsanwälte und helfen Verbrechern.

6. Februar 2010

Flagge zeigen oder nicht hat Folgen

In Lettland ist es eine Ordnungswidrigkeit, an staatlich festgelegten Festtagen nicht zu flaggen. An öffentlichen Gebäuden übernimmt das freilich jemand, der dafür bezahlt wird, aber im Lande leben genug Menschen in allein stehenden Einfamilienhäusern – und die müssen auch alle flaggen. Theoretisch ist das so, aber es versteht sich von selbst, daß eine flächendeckende Kontrolle irreal ist. Trotzdem kann es passieren, daß die pašvaldības policija, das aufgerüstete Ordnungsamt, das hierzulande Munizipalpolizei heißt, dem Sünder ein Knöllchen ausstellt.

Selbstverständlich belächeln diese Regeln nicht nur Ausländer, während solche mit Eigenheimen sich darüber sogar erzürnen, sondern auch nicht jeder Einheimische ist von dieser Regel begeistert. Und so hat diese Woche das Parlament eine Novelle verabschiedet, mit der die Ahndung dieser Ordnungswidrigkeit gemildert wird.

Bislang wurde eine Strafe von bis zu 30 Ls, etwa 45 Euro, erhoben, wenn gegen die Art und Ordnung des Flaggens verstoßen wurde. Wenn aber die Flagge an den vom Parlament, der Regierung oder der kommunalen Selbstverwaltung festgelegten Tagen überhaupt nicht gehißt wurde, drohten sogar 50 Ls Strafe.

Kein Nachsehen gibt es für in Lettland lebende Bürger der Republik Estland, die am estnischen Staatsfeiertag statt der lettischen die estnische Flagge zeigen möchten.

Die neue Richtlinie sieht zunächst eine Verwarnung vor und die Bestrafung mit 30 Ls Bußgeld erst im Wiederholungsfalle. Zur Begründung muß herhalten, daß so nicht gegen ältere Mitbürger vorgegangen werden dürfe, die es nicht mehr schaffen, die Flagge zu hissen. Und die Härte des Gesetzes dürfe ebenfalls nicht Personen treffen, die einfach nur vergessen haben, ihre Flagge hinauszuhängen. Es ginge schließlich nicht um Bestrafung, sondern darum, daß geflaggt werde.

Gleichzeitig ist es in den baltischen Staaten in den letzten Jahren chic geworden, kleine Fähnchen in die Fenster der Autos zu stecken, so daß sie das Dach ein wenig überragen und beim Fahren flattern. Neben diesem Patriotismus Estlands, Lettlands und Litauens sind oft auch russische Flaggen zu sehen, die jedoch in aller Regel nur auf dem Armaturenbrett im Wageninneren schlaff herunterhängen.

Da dies ein Mitarbeiter der lettischen Post in seinem Dienstfahrzeug tat, wurde er jüngst entlassen. Die Begründung liegt in der Dienstvorschrift, daß der Mitarbeiter im Wagen keine Gegenstände mitführen darf, die nicht für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind.

Auf die Spur kam die Post ihrem offensichtlich russischen Mitarbeiter dank einer letztes Jahr von jungen Nationalisten initiierten Aktion, Autos zu fotografieren, die ihre fehlende Loyalität gegenüber Lettland durch russische Symbole zum Ausdruck bringen. Eines der im Internet gezeigten Autos war das Dienstfahrzeug der Post.

5. Februar 2010

Verfassungsgericht übernimmt Sozialpolitik Lettlands?

Einige Mütter haben in Lettland Verfassungbeschwerde gegen die Kürzung des sogenannten Müttergehalts (māmiņa alga) eingelegt. Mit dieser finanziellen Unterstützung greift der Staat jenen alleinerziehenden Müttern unter den Arm, die von den Vätern ihrer Kinder keine Alimente erhalten. Ein Einkommen, daß nach Auffassung der Initiatorin der Klage, Marika Skulte, für viele sehr wichtig ist. Seit Anfang dieses Jahres wurde dieses aber um 30% gekürzt.

Bislang betrug die Summe 45 Ls, rund 70 Euro, für ein Kind bis zu sieben Jahren und an- schließend bis zum Alter von 18 Jahren 54. Nach der Kürzung sind es nun 30 und 35. Die zuständige Behörde erklärte, der Haushaltsposten sei gar nicht gekürzt worden, aber seit einiger Zeit gebe es doppelt zu viele Anträge, dies sei der Anlaß für die Einschnitte gewesen.

Wahrscheinlich haben sich die Mütter ein Beispiel an dem höchstrichterlichen Verdikt gegen die Rentenkürzungen vom vergangenen Sommer genommen. Auch in diesem Fall hatte kein staatliches Organ die Klage beim Verfassungsgericht eingericht, sondern die Betroffenen selbst. Es bleibt aber dahingestellt, ob dies eine Aussage über die Erfolgsaussichtgen der Motion erlaubt. Renter haben sich durch Abgaben Ansprüche erworben, das gilt für die Sozialpolitik aber nicht in allen Felder. Die großzügige Unterstützung von Müttern war politisch gewollt, um die niedrige Geburtenrate des Landes zu heben. Die klagenden Mütter berufen sich auf die Menschenrechte.

Das Verfassungsgericht gegen unliebsame politische Entscheidungen einzusetzen ist jedoch auch in anderen Staaten gang und gäbe.

Guantanamo Häftling findet neue Heimat in Lettland

Lettland hat sich bereiterklärt, einen Guantanamo-Häftling aufzunehmen. Innenministerin Linda Mūrniece sagte, die Regierung sehe keine Gefahr für die Sicherheit des Landes. Die Vorbereitungen hätten allerdings etwa ein halbes Jahr in Anspruch genommen, weil Vertreter des Verfassungsschutzes auf Kosten der USA nach Guantanamo gefahren seien, um den Betroffenen zu treffen und zu sprechen. Lettland ist damit der erste baltische Staat, der einen Guantanamo-Häftling aufnimmt. Estland könnte dem Beispiel bald folgen, heißt es. Außerdem hätten insgesamt vier Häftlinge von der Karibikinsel Interesse an einer Ausreise nach Lettland bekundet, ließ Außenminister Māris Riekstiņš durchblicken.

Wenigstens in der einfachen Bevölkerung war bereits früheren Regierungen vorgworfen worden, sich zu amerikafreundlich zu gerieren. Darum war zu erwarten, daß es heftige Kritik geben würde und auch die Medien beklagen, daß es zuvor keine Diskussion darüber gegeben habe.

4. Februar 2010

Mit der Strassenbahn durch den Winter

Ergänzend zum Beitrag über die Strassenbahnen in Daugavpils und Liepaja hier zwei öffentlich zugängliche Videos aus Liepaja.



Was lernen wir hieraus?
- auch im verschneiten Liepaja kommt die Strassenbahn gut voran
- der Autor hat sich sehr viel Mühe gegeben mit englischsprachigen Einblendungen zu den Sehenswürdigkeiten
- wenn nur das laute Betriebsgeräusch nicht wäre!

Und das zweite Video zeigt noch, dass die Strassenbahn auch zum Schneeräumen eingesetzt werden kann. Wer mag da schon noch über eine Schließung reden!