11. Juli 2011

Die Facebook-Partei

Nein, der deutsche Ex-Präsident Köhler hat nach seinem Rücktritt keine Partei gegründet - auch wenn er offensichtlich so einige Kritik daran hatte, was sich in Berlin im Politik- und Mediengeschäft so tut. In Lettland liegen die Verhältnisse schon deshalb etwas anders, weil Ex-Präsident Zatlers (seit dem 8.Juli ist sein Nachfolger Bērziņš im Amt) kurz vor Ende seiner Amtszeit eine Volksabstimmung zur Auflösung des im vergangenen Herbst frisch gewählten Parlaments eingeleitet hatte. 
Diese Volksabstimmung wird nun am 23.Juli stattfinden. Im Radio sind lettische Nachrichtensendungen zu vernehmen, die mit dem Satz anfangen: "noch X Tage bis zur Volksabstimmung." Die lettischen Medien hatten versucht, die Erklärung Zatlers zu seiner konkreten politischen Zukunft möglichst spannend darzustellen. Zunächst folgte die Absage an die Regierungspartei "Vienotība", der auch Regierungschef Dombrovskis entstammt. Zatlers machte sich dabei eine Devise zu eigen, die am allerbesten den momentanen Zustand der lettischen Gesellschaft zu beschreiben scheint: NICHT zusammenzuarbeiten. 
NICHT zusammenzuarbeiten, das bedeutet in Zalterschen Qualitätsmaßstäben: sich den sogenannten "Oligarchen-Parteien" in jeder Hinsicht verweigern. Gut, dachten sich vielleicht viele Lettinnen und Letten, NICHT zusammenarbeiten, das können wir, da machen wir mit. So war denn kurz bevor der offiziellen Verkündung der Zatlerschen politischen Absichten auf der zunächst provisorisch eingerichteten Webseite www.reformupartija.lv zu lesen, dass angeblich über 11.000 Facebook-Nutzer der Absicht zur Gründung dieser Partei zustimmten. Ob nun Zatlers diesen "Facebook-Freunden" vertraute, oder anderen politischen Beratern, ist nicht überliefert. Seit vergangenem Wochenende ist die "Reformpartei" zumindest virtuell am Start: nicht mehr mit 11.000 virtuellen Freunden, sondern mit 10 allgemeinen Thesen. 

Vorläufig schlossen sich bisher nur zwei andere im politischen Leben Lettlands bekannte Personen der "Zatlers-Bewegung" an: die Parlamentsmitglieder Klāvs Olšteins und Guntars Galvanovskis. Olšteins? Ja richtig, es ist derjenige Abgeordnete, der unter Tränen nach der Abwahl Zatlers seinen Rückzug als Parlamentarier verkündet hatte. Nun hält er, wenn man seinen Äusserungen in den lettischen Medien glauben kann, die Zeit für gekommen dass "eine junge und entscheidungsfreudige Generation" für eine "bessere Staatsführung" arbeiten solle. Beide Politiker entstammen der Fraktion "Vienotība" bzw. "Jaunais Laiks", und das könnten auch die Vorzeichen für erneute Identitätsverwirrung im rechtskonservativen Lager sein (Olšteins ist 28, Galvanovskis 29, Zatlers 56 Jahre alt). Waren nicht gerade diese Gruppierungen es gewesen, die sich für die Wiederwahl Zatlers eingesetzt hatten? Wenn nun aus diesem Lager wirklich alle "Reformpartei" wählen würden, was würden diese damit sagen oder erreichen wollen? 

Ex-Präsident und Ex-Arzt Zatlers scheint jedenfalls auf eine Heilung dieser Brüche und Widersprüche zu hoffen (ohne Medizin zu verschreiben). Und nicht nur das: Der Gründungskongreß der "Reformpartei" wurde auf den 23.Juli - also den Tag der Volksabstimmung - gelegt. Daraus ergibt sich zumindest noch eine zweite Reaktionsmöglichkeit der lettischen Wählerinnen und Wähler: wieder einmal werden "Stimmungen im Volke" zugunsten kurzfristigen Nutzens für bestimmte Parteiinteressen vor den Karren gespannt. Wer das leid ist, wählt vielleicht gar nicht mehr. Denn Zatlers "10 Prinzipien" können, für sich genommen, kaum der Grund für eine Bewegung sein, die alles bisherige auf den Kopf zu stellen in der Lage wäre. Hier ist lediglich von der Stärkung der Familien, der Ehrung der lettischen Sprache, der Selbstverantwortung der Steuerzahler, der Unabhängigkeit der Gerichte und einer ausgewogenen Konkurrenz in der Wirtschaft die Rede. Aber wie Zatlers das erreichen will - und in welcher Form konkret anders als die bisherigen Parteien - Fehlanzeige. In dieser Form ist genau dies viel eher typisch und ähnlich dem gewöhnlichen lettischen Politikgeschehen wie alles andere: auf Programme und inhaltliche Ziele vertraut kaum jemand, starke Personen und Lichtgestalten sollen alles herausreißen. 

Konsequenterweise thematisierte auch schon die Protestbewegung nach Zatlers Nicht-Wiederwahl "den Oligarchen in uns" zu suchen. "Jeder ist ein bischen selbst Schuld" - ein schon fast religiöses oder esoterisches Verständnis von politischer Analyse. Ob's weiterhilft? Jugendwahn in der lettischen Politik? Vorerst - und vor dem 23.Juli - muss Zatlers Reformschwung vielleicht nur eines fürchten: dass in Lettland jemand auf die Idee käme, Facebook-Parties zu verbieten ...

3 Kommentare:

Axel Reetz hat gesagt…

Dieser kritische Blick ist sicher gerechtfertigt, dennoch sollte man auch die Chancen nicht aus den Augen verlieren, viel erinnert an Estland vor zehn Jahren, als sich sogar Rein Taagepera als Gründungsvorsitzender der Res Publica hergab. Die verschwand später in der Vaterlandsunion. Mit diesem Beispiel gesprochen wäre es sicher nicht schlecht, wenn eine Zatlers-Partei unzufriedene Einigkeits-Wähler abfischt anstatt sie in die Nichtwahl abgleiten zu lassen. Anschließend kann man sich immer noch vereinigen, vor allem, wenn die Einigkeit ihren Ballast abgeworfen hat, was bereits im Rahmen der Kabinettsbildung möglich wäre. Überdies könnte nach nur elf Monaten ein wichtiger Fehler revidiert werden, so meine persönliche Meinung, nämlich, statt mit dem Harmoniezentrum mit den Oligarchen zu paktieren. Von der Ausgrenzung des Harmoniezentrums verschwinden die Russen nicht aus Lettland! Und Nil Uschakow hat nach Meinungh vieler Rigenser so schlecht nicht gearbeitet, obwohl es natürlich auch von meiner Seite in Riga noch viel zu meckern gibt.

Albert Caspari hat gesagt…

Nur kurz zu Uschakovs: er ist ja gerade erst vom Berliner Krankenbett nach Riga zurückgekehrt. Parteichef Urbanovics schloss kürzlich in Presseinterviews aus, dass Uschakovs im kommenden Wahlkampf eine Rolle spielen wird (oder kann). Und soviel "Harmonie" bleibt dann eben auch an dieser Partei nicht, dass alle nun zu deren Unterstützung überlaufen würden.

Und noch eine Schwäche von Zatlers Aufruf: Er weiss ganz genau, dass es vor allem die Nationalisten der Vaterlandspartei waren, die am Tag seiner Nichtwahl demonstrierten. Daher kein Wort der Abgrenzung gegenüber rechtsaußen. Das macht ihn auch nicht gerade wählbarer für bisherige "Vienotiba"-Anhänger (die übrigens auch von der Taktik "nach der Wahl kann man sich ja immer noch vereinigen" auch schon die Nase voll haben).

Axel Reetz hat gesagt…

Das halte ich für eine zu westliche Herangehensweise. Dafür ist der Wähler in Lettland zu wenig in Schubladen einteilbar.