18. September 2011

Auf der Suche nach dem Wahlgewinner

aktuell ergänzt - Vorläufige Ergebnisse der Parlamentswahlen in Lettland vom 17.September, nachdem fast alle Wahlkreise ausgezählt sind (1026 von 1027): 

Saskaņas Centrs ("Harmonie-Zentrum") SC - 28,37% und voraussichtlich 31 Mandate
Zatlers Reform Partei ZRP - 20,82% und 22 Mandate
Vienotība (Einigkeit) V - ca. 18,83% und 20 Mandate
Visu Latvijai / Nationala Apvienība (Alles für Lettland / Nationale Liste) VL - 13,88% und 14 Mandate
Zalo un Zemnieku Savienība (Liste der Grünen und Bauernpartei) ZZS - 12,22% und 13 Mandate

Genaue Zahlen finden sich hier

Im Gegensatz zu manchen Schlagzeilen deutschsprachiger Medien heißt das nicht unbedingt, dass "russische Parteien" die Wahl gewonnen hätten. Zumindest hätten es dann im Oktober 2010 dieselben Schlagzeilen sein müssen: Saskaņas Centrs (SC) bekam im Oktober 2010 bei 29 Mandate 251.400 Stimmen (26%) - also nur ein ganz leichter Stimmengewinn (259.749 Stimmen diesmal).
Das Lager der bisherigen "Vienotība-Wähler" hatte diesmal das zusätzliche Angebot sich vielleicht auch für die Zatlers-Partei sich zu entscheiden. 171.907 (18.82%) und 20 Mandate blieben übrig (2010 waren es 301.429 / 31,2% und 33 Mandate). 
Aus dem Stand, innerhalb der Sommerferien schaffte die am 23.Juli gegründete Zatlers-Partei ZRP 190.098 Stimmen und 22 Mandate. Sollte die bisherige Beobachtung, dass die ZRP der Vienotība sehr nahe steht und den Kern der künftigen Regierung bilden wird (die ZRP besteht nicht einmal darauf, dass ihr Spitzenkandidat Regierungschef wird), dann hätten beide Parteien zusammen wesentlich mehr Rückhalt bei den Wählern als vorher Vienotība allein. Könnte Regierungschef Dombrovskis weitermachen wäre das sicher ein Stabilitätszeichen an das europäische Ausland. Allerdings wird sich die frisch aus drei Listen vereinigte "Vienotība" möglicherweise personell neu sortieren müssen, denn durch die Möglichkeit der lettischen Wähler mit Plus- und Minuszeichen Kandidatenliste zu beeinflussen, sieht es ganz danach aus, dass weder Außenminister Kristovskis, noch Kulturministerin Ēlerte oder Justizminister Štokenbergs ein neues Mandat erhalten haben.

Eindeutig klar verloren haben diejenigen Parteien, die bisher als von "Oligarchen" finanziert galten. Die "Tautas Partija" (Volkspartei) von Andris Šķēle löste sich noch vor den Wahlen ganz auf, und der mehrfache Regierungschef Šķēle verspricht, sich ganz aus der Politik zurückzuziehen und bezeichnet jetzt die Milchwirtschaft als Schwerpunkt seines Interesses. 
Ainārs Šlesers, der so gerne einmal die Nr.1 im Staate geworden wäre und im täglichen politischen Geschäft Lettlands einen ähnlich furchtbaren "Lautsprecher"-faktor auswies wie in Deutschland vielleicht Guido Westerwelle, hat nun mit 2,4% nach 2010 schon seine zweite krachende Niederlage hintereinander eingefahren und hat so noch etwas gemeinsam mit Westerwelle: der Zeitpunkt des Rückzugs scheint absehbar. 
Aivars Lembergs wiederum stand zwar gar nicht zur Wahl, aber bei der von ihm unterstützten Partei ZZS, die ihn zum Spitzenkandidaten als Regierungschef erkoren hatte, stürzte ab von 19,68% und 190.025 Stimmen (22 Mandate) auf nun nur noch 111.358 Stimmen und 12 Mandate. Da insbesondere Zatlers sich gegen die ZZS ausgesprochen hatte, dürfte die ZZS diesmal nicht zur Koalitionsbildung benötigt werden und damit - mangels Ministerposten - ihren politischen Einfluß ziemlich einbüssen. 

Nun tritt als nächster Schritt wieder eine Besonderheit im lettischen Wahlrecht zu tage. Präsident Bērziņš fällt das Recht zur Entscheidung zu, wem er die Regierungsbildung zutraut. Neben dem starken Ergebnis der Saskaņas Centrs, die vor allem mit dem populären Rigaer Bürgermeister Nils Ušakovs und in Latgale punkten konnte (in Riga 41,5%, Latgale 52%), hat auch die "Nationale Vereinigung" am rechten Rand punkten können. Da bleibt Spielraum für Interpretation: ist es ein Zeichen an die anderen "lettischen Parteien", nicht vom Konzept eines "lettischsprachigen Lettland" abzuweichen und das Nationale weiter als "Herzenssache" zu begreifen? Oder ist es umgekehrt eine Warnung, das trotz schwächelnden Oligarchenparteien die Gefahr immer noch vorhanden ist, Klientalpoltik zu betreiben anstatt das Land zu modernisieren und für Europa fit zu machen? Die gewählten Mandatsträger werden diese Fragen zu entscheiden haben. 

2 Kommentare:

kloty hat gesagt…

Im Interview hat die estnische Politikerin Yana Toom Parallelen zwischen der Zentrumspartei in Estland und dem Harmoniezentrum in Lettland gezogen. Beide Parteien schneiden sehr gut bei den Wahlen ab, beide stellen den Bürgermeister der Hauptstadt, beiden wird Russland-nähe nachgesagt, beide haben charismatische Vorsitzende und gegen beide wenden sich alle anderen Parteien, damit sie nicht an die Regierung im Land kommen.

Axel Reetz hat gesagt…

Kloty, das stimmt alles. Aber es gibt auch einen wesentichen Unterschied: Savisaar war bereits Regierungschef und in der Umbruchzeit einer der wesentlichen Aktivisten. In Estland sieht es so aus, daß die einen ihn lieben, die anderen hassen ihn. Nil Uschakow kann diesem politischen Urgestein das Wasser nicht reichen.