28. Oktober 2012

Sprottiges aus Lettland: Russifizierter Fisch

Woran liegt es eigentlich, dass lettische Produkte - oder sagen wir mal "Produkte aus Lettland" in Deutschland so schlecht vermarktet sind, gerade im Lebensmittelbereich? Gut, vielleicht kann man nicht verlangen dass es "lettische Abteilungen" in den Supermärkten geben sollte, nicht mal "baltische". Selbst die Ostsee als ganze Region ist ja kein fester Begriff im Warenmarketing. Was den Fischfang angeht, muss auch das EU-Land Lettland inzwischen mit Fangquoten und Marktkonkurrenz leben. Vor zwei Jahren wehrte sich die Arbeitsgemeinschaft der lettischer fischverarbeitenden Betriebe erfolgreich gegen eine Einschränkung der traditionellen lettischen Sprottenräucherung durch EU-Vorschriften (siehe Blogbeitrag vom Oktober 2010).
"Sprottenfantasie" in deutschen Supermärkten:
Alles was Deutsche vermeintlich kennen - außer Lettland.
Eine Fundsache dieses Monats: dreimal Sprotten aus Riga, jedenfalls laut Adressangaben auf der Dose. Drei Dosen mit fast identischer Inhaltsangabe, obwohl so unterschiedlich illustriert, inklusive der Illusion sie hätten vielleicht andere Inhalte oder Rezeptur. Auch die Wareninformation der vertreibenden Firma "Dovgan" (Eigenwerbung: "europaweit größter Großhändler für russische Lebensmittel", mit 40 Mitarbeitern in Hamburg und 20 in Rostock) enthält die Vorstellung, "Memel Sprotten" könnten aus Litauen, "Riga Sprotten" aus Riga und "Baltische Sprotten" von irgendwo her aus der Ostsee kommen.
Markenschutz unvoll-
kommen?


Laut Etikettenangaben ist der Inhalt nahezu identisch: angefangen vom exakt bezeichneten Fanggebiet über die Art des Öls  bis zu den hinzugefügten Gewürzen. Herkunftsadresse: Riga. Die Unterschiede sind minimal: eine der drei Dosen enthält prozentuell marginal mehr Fisch als die zweite, die dritte weist "Nelken" als Beigabe auf.

Der Rest ist wohl Illusion und fehlender Markenschutz - denn "Rigaer Sprotten" werden ja in Lettland ganz anders präsentiert: dort sind fast überall "“Rīgas šprotes eļļā”" (Rigaer Sprotten in Öl") zu finden. Die „Biedrība Rīgas Šprotes“, gebildet aus sieben verschiedenen lettischen Verarbeitungsfirmen, tat sich 1996 zusammen um den kleiner werdenden Markt und der größeren Konkurrenz begegnen zu können. Ob das funktioniert scheint fraglich: die sieben Firmen aus Engure, Mērsrags, Salacgrīva, und jeweils zwei Firmen aus Roja und Rīga berichten von ihren Exporterfolgen jeweils getrennt. "Unda" wirbt mit einer Tradition seit 1931 und dem Umstand, das von 370 Mitarbeitern 60% aus Engure stammen. Mit "Freude und besonderem Stolz" verarbeite man auch Rigaer Sprotten, ein Produkt, dass "wegen seinem einzigartigen Geschmack populär in der ganzen Welt" sei. Ähnlich "Rānda", erst 1994 gegründet, die damit werben vorwiegend in der Region gefischte Produkte zu vertreiben. "IMS" seinerseits betont eine breite Produktpalette, inklusive immerhin ein Sprottenprodukt: "Šprotu pastēte". Auch “Līcis – 93” stellt sich mit seinen zwei Fabrikationsstandorten in Kolka und Ģipka als regionale Traditionen bewahrendes Unternehmen vor, außerdem Eigentümerin einer Fischereiflotte. 
"Gamma-A" allerdings, stationiert im Freihafen Riga, arbeitet auch mit Importfisch aus dem Atlantik und beschäftigt 760 Mitarbeiter. Ähnlich groß ist "Brīvais vilnis", eine Gründung der frühen Sowjetzeit und 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die sich mit seinen 800 Mitarbeitern stolz als "Flaggschiff" der lettischen Fischindustrie bezeichnet und nach eigener Aussage das Markenrecht für "Rigaer Sprotten in Öl" besitzt. Und schließlich "Karavela", die einen Schwerpunkt ganz außerhalb der Sprottenverarbeitung offenbaren -  bei Sardinen, Lachs und Hering. Sieben sehr unterschiedliche Firmenschwestern offenbar - viele unterschiedliche Exportzielländer werden in den verschiedenen Selbstdarstellungen erwähnt - keiner von ihnen behauptet besonders erfolgreich in Deutschland zu sein.

Eine leider etwas irreführende Grafik aus
einem Strategiepapier der lettischen Fisch-
verarbeiter: real gibt es viele Umwege auf dem
Weg zum Weltmarkt
Der Erfolg kommt vielmehr aus dem Osten: "Rigaer Sprotten" wurden auf Messen und Ausstellungen in Moskau mehrfach prämiert. Der Umsatz der 7 Unternehmen mit zusammen 2423 Mitarbeitern belief sich, lettischen Medien zufolge, im Jahr 2011 auf insgesamt 59 Mill. Lat (ca. 85 Mill. Euro). Die Anzahl der trotz scharfer Marktkonkurrenz noch existierenden Firmen der Fischverarbeitung, auch die Zahl der Angestellten zeigt: es lohnt sich das noch besser auszubauen. Aber warum denken die Vermarkter dass es im deutschsprachigen Raum nur unter dem Stichwort "russische Küche / russische Spezialitäten" gehen kann? Als Lettland-Freund fühle ich mich da klar ein wenig betrogen, auch wenn die Motive dafür teilweise verständlich sein mögen. Und Fisch ist da kein Einzelfall.

Der Verband der fischverarbeitenden Industrie (die sich von der erwähnten „Biedrība Rīgas Šprotes“ dadurch unterscheidet, dass hier auch Unternehmen aus Ventspils integriert sind) erarbeitete im Jahr 2008 eine Strategie zur Entwicklung des Industriezweigs bis 2013. Dort war noch davon die Rede, dass Fischprodukte aus Lettland auch "Lettlands Image in der Welt" mit prägen würden. 60% aller in Lettland hergestellten Fischprodukte seien Konserven, 75% davon werden von denen im lettischen Verband der fischverarbeitenden Industrie (Latvijas Zivrūpnieku savienībai) zusammengeschlossenen Betrieben hergestellt, und 70% dieser Konserven seien Sprottenprodukte. 2008 gingen nur 19% der Fischkonserven in EU-Länder, dagegen 74% nach Russland oder andere Länder Osteuropas. Immerhin machen allein Sprotten 28% aller aus Lettland exportierten Lebensmittelprodukte aus (Stand 2008).Auf jeden Fall trägt die Fischverarbeitung zur Sicherung der Entwicklungsperspektiven der lettischen Küstenregionen bei: 70% der Arbeitskräfte in der Fischverarbeitung arbeiten und leben dort.
Denjenigen aber, die entgegen der vorgespiegelten "russischen Küche" die traditionell hergestellten lettischen Sprotten lieber gleich in Lettland kaufen wollen muss gesagt werden, dass weniger als 2% der in Lettland produzierten Fischkonserven im eigenen Land verkauft werden (bei Sprotten etwa 5%) - Idealismus auf dieser Seite wird voraussichtlich wirtschaftlich leider nicht viel bringen.
"Sprotten sind für Lettland ähnlich wie Wein für Frankreich" - so ist es in einem kulinarischen lettischsprachiger Blog zu lesen - ein Zitat angeblich nach Didzis Šmits, dem Präsidenten der lettischen fischverarbeitenden Unternehmen. Ob das lettische Motto "Ražots Latvijā", nach dem sich viele lettische Verbraucher gerne richten, auch im Ausland eine Marke wird, ist weiter offen. Ob "Rigaer Sprotten" konsequenterweise auch "lettische Küche", oder wenigstens zur "Küche Lettlands" gezählt werden können, offenbar auch.

Firmeninfos: DOVGAN / RĪGAS ŠPROTES  / Verband der fischverarbeitenden Industrie   Liste der in Lettland produzierenden Firmen (Ražots Latvijā)

3 Kommentare:

Baltic-Things hat gesagt…

Ich habe schon bei Facebook geschrieben. Zur Vermarktung in westliche Staaten ist es sinnvoll einige Angaben zur Überfischung zu machen. Wie wir alles wissen, wo sich die Russen auch wie die Letten keine Gedanken zu machen, sind die Meere überfischt. Die Sprotten sind sicher Nahrung größerer Fische oder anderer Tiere.
Ich verkaufe in einem Shop Baltische Produkte (Baltic Things), hier verkaufe ich sehr selten Sprotten/Sprottenpaste, obwohl viele der Kunden aus den baltischen Ländern stammen. Also fehlen den Letten im Ausland die Sprotten nicht.

Albert Caspari hat gesagt…

Die Schlußfolgerung würde ich nicht teilen. Zuletzt habe ich bei "Zimmermann" Riga Sprotten kaufen können (ein Laden in Bremen), die Dose war haargenau dieselbe wie in Lettland. Also auch keine "Überfischungshinweise". Illegal? Nur ein Restposten?
Und wenn ich sehe, wie viele "Sprotten aus Riga" in D als "russisches Produkt" verkauft werden, kann ich auch nicht erkennen dass niemand in Deutschland Sprotten kaufen möchte.
Allerdings habe ich noch nie bei "Baltic-Things" gekauft - das ist ja nun auch leider ein Versand, aber kein Laden in Deutschland (oder?)

Baltic-Things hat gesagt…

Also benötigen die Dosen ein Aufdruck was zeigt das nicht Überfischt wird. Auf den Dosen selber ist Quatsch, die müssen sich z.B. "MSC-Gütesiegel" haben www.msc.org/de .

Wenn ich 15.000€ habe, kann ich Naturmatratzen (www.matracis.eu) bauen, dann auch ein Laden in DE. Aber die Letten denken nicht Ökologisch, sonst wäre auch schon ein Laden in DE.