28. Januar 2012

Lettlands Verfassungsreferendum

Es gibt in Europa verschiedene Länder mit mehr als nur einer Amtsprache und dies aus verschiedenen Gründen. Die Iren wollen mit dem Gälischen eine Tradition bewahren, die Schweiz mit Rätoromanisch eine kleine Sprache vor dem Aussterben schützen, während die Finnen ihren früheren Herren, den Schweden, die Sprache als offizielle zugestehen. In keinem der genannten Fälle bedeutete dies freilich, daß jede Amtsperson die entsprechenden Sprachen auch alle beherrschen müßte.
In Lettland wird nicht zum ersten Mal verlangt, Russisch solle zweite Amtssprache sein. Aber der Fall verhält sich hier ganz anders. Die russische Beherrschung bis zum Ersten Weltkrieg liegt zwar schon länger zurück, nicht jedoch die sowjetische. Das war ein halbes Jahrhundert, in dem, ohne daß dies heute mit einem zentralen Dokument aus Moskau beweisbar wäre, Russen in großer Zahl in Lettland angesiedelt wurden. Auf dem Papier war in der lettischen sozialistischen Sowjetrepublik zwar das Lettische Amtssprache, im Alltag war darauf aber nicht unbedingt Verlaß. Als das Land 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion unabhängig wurde, stand es vor der Realität, daß etwa 100% der Bevölkerung des Russischen mächtig waren, aber bei weitem nicht so viele des Lettischen. Die Majorisierung im eigenen Land, auch Russifizierung genannt, die Sorge vor dem Überleben der eigenen Kultur, war eine wesentliche Triebfeder des Widerstands gewesen.
Die Letten setzten 1993 ihre alte Verfassung wieder in Kraft, deren Artikel 4 Lettisch als Staatsprache vorsieht. (Ergänzung: Die Amtssprache wurde erst 1998 hinzugefügt. Nach dem Putsch 1934 war ebenfalls Lettisch einzige Amtsprache geworden, vorher war sie es nicht) In den folgenden Jahren gab es Sprachkommissare, die beispielsweise auf dem Rigaer Zentralmarkt ihre Kontrollgänge machten und der nunmehr einzigen Staatssprache nicht mächtige russische Verkäuferinnen mit harten Strafen belegten. Damit schaffte es Lettland in die Berichterstattung in Westeuropa nicht nur einmal.
Die politische Vertretung der russischsprachigen Bevölkerung, unter der nach wie vor rund 300.000 Menschen nicht Staatsbürger sind, verlangte den Status der Staatssprache für das Russische nicht nur einmal.. Jetzt versucht es erneut Vladimir Linderman.
Linderman stammt aus Lettland und beherrscht Lettisch. Er ist ein Aktivist der Nationalbolschewisten, einer teils nationalistisch und antikapitalistischen wie auch antiwestlichen Partei. Einst wegen Sprengstoffbesitzes in Lettland verhaftet, flüchtete sich Linderman für einige Jahre nach Rußland, wurde aber auch dort schließlich verhaftet und ausgeliefert. In Lettland konnte man ihm anschließend nichts nachweisen, er kam auf freien Fuß.
Unter seiner Führung wurden nun Unterschriften für eine Verfassungsänderung gesammelt, die Russisch als zweite Amtssprache anerkennen soll. Und das ist nicht nur ein emotionales Problem, sondern auch ein juristisches. Der Präsident muß laut Verfassung einen von 10% der Wahlberechtigten unterzeichneten fertigen Gesetzesentwurf dem Parlament vorlegen, So geschehen, lehnte das Parlament wenig überraschend die Änderung von Artikel 4 der Verfassung ab, welcher Lettisch als Amtssprache festlegt. Gleichzeitig ist Artikel 4 einer derjenigen, die das Parlament gar nicht ohne anschließendes Referendum ändern könnte. Bei einem solchen Urnengang müßten der unübersichtlichen Regelung zu Beteiligungs- und Votenquoren in der lettischen Verfassung 50% der Wahlberechtigten nicht teilnehmen, sondern mit ja stimmen.
Das hat nun in Lettland eine Debatte darüber ausgelöst, was die Grundlagen des lettischen Staates sind, und ob diese durch eine Volksabstimmung überhaupt ausgehebelt werden können und dürfen oder nicht. Die Diskussion ist vergleichbar mit der Frage, ob via Referendum etwa die Todesstrafe eingeführt werden könnte oder abstrakter formuliert, sind verfassungswidrige Verfassungsänderungen per Volksentscheid möglich. Da hier Zweifel bestanden, wurde das Verfassungsgericht angerufen. Gerade nationalistische Kräfte erhofften sich, den von der Zentralen Wahlkommission angesetzten Termin der Abstimmung am 18, Februar gänzlich auszusetzen.
Das Verfassungsgericht ließ die Abstimmung zu. Und so wird ein interessantes Referendum stattfinden. Daß 50% der Wahlberechtigten Russisch als zweite Amtssprache wünschen, kann wohl ausgeschlossen werden. Schon aber beginnen die Debatten, welche Aktion zur Ablehnung besser ist: mit nein stimmen oder boykottieren. Präsident Andris Bērziņš hat bereits gesagt, daß er dem Urnengang seine Stimme verweigert. In der Tat, Enthaltung und Nein-Stimme haben denselben Effekt.

21. Januar 2012

Von Sprache und Verständnis

Am Samstag, den 18.Februar 2012 werden alle wahlberechtigten Einwohner Lettlands erneut zu einer Volksabstimmung an die Wahlurnen gerufen werden. Nein - diesmal geht es nicht schon wieder um eine vorzeitige Entlassung des ganzen Parlaments (obwohl manche auch daran sicherlich Vergnügen hätten). Es geht - rein rechtlich gesehen - um die Änderung der Verfassungsparagraphen 4., 18., 21., 101. und 104., und damit um die Forderung nach Einbeziehung der russischen Sprache als gleichberechtigt nutzbarer Sprache auf den Ebenen des Parlaments, der regionalen Selbstverwaltung und der Informationen an Bürgerinnen und Bürger. Bis zum Freitag dieser Woche hatte ein Teil der Politiker und Parteien noch darauf gehofft, die Konfrontation einer Volksabstimmung vielleicht umgehen zu können; aber das lettische Verfassungsgericht wählte nicht diesen scheinbar bequemen Weg, das Referendum kann stattfinden. Nun könnte man fragen: kann das sein - darf das sein? Durch eine öffentliche Abstimmung essentielle Grundsätze der lettischen Verfassung in Frage stellen, die doch erst durch harte und langwierigen Einsatz im Zuge der lettischen Unabhängigkeitsbewegung wieder in Kraft gesetzt werden konnte?

Keine gemeinsame Sprache möglich?
Es runāju Latviski – tu ari?
Ein Volksbegehren kann von Bürgern in Lettland dann eingeleitet werden, wenn mindestens 10.000 der Wahlberechtigten ihre Unterschrift dazu geben. In den vergangenen Jahren war eher zu beobachten gewesen, dass zwar radikal lettisch-nationalistische und radikal russisch-nationalistische Aktivisten sich gegenseitig zu immer neuen lautstarken Versuchen anstacheln den angeblich großen Rückhalt ihrer Pauschalisierungen und vereinfachten Denkweisen in der Gesellschaft nachweisen zu müssen - aber immer glaubten die eher liberal Eingestellten darauf hoffen zu können dass beide extreme Richtungen eine Randerscheinung bleiben. Unterschriftenaktionen der Nationalisten zum weitergehenden Ausschluß des Russischen aus dem öffentlichen Leben (z.B. Schulunterricht nur in Lettisch) waren zwar immer wortgewaltig und erzeugten die (gewünschte?) Reaktion in Moskau und in der russischen und manchmal in der internationalen Presse, waren aber weit davon entfernt mehrheitsfähig zu sein. Für viele Letten wurde das Zusammenleben mit russischsprachigen Mitmenschen in sofern auch nach der lettischen Unabhängigkeit normal, als dass man sich gegenseitig in Ruhe ließ. 

Warum hätte es also mit dem Versuch, Russisch als zweite offiziell gleichberechtigte Sprache per Volksabstimmung durchzusetzen, anders ausgehen sollen? Vielleicht war es aber die allgemeine Stimmungslage nach den politischen Hängepartien des Jahres 2011, vielleicht auch die wiederholte Nicht-Berücksichtigung der russisch orientierten Parteien bei der Regierungsbildung. Bis gestern haben vielleicht viele Letten gedacht: es wird schon an uns vorüber gehen, uns überhaupt zu einer von russischer Seite vorgetragenen Initiative verhalten zu müssen. Wer wird schon für eine solche Initiative unterschreiben, wenn nur Unterschriften volljähriger lettischer Staatsbürger gezählt werden dürfen? 12.533 Unterstützer gaben im November die Antwort (siehe Blogbeitrag). Nun gut, wenn es schon stattfinden muss, vielleicht könnte man einfach gar nicht hingehen? Wenn die Initiative schon gegen Teile der Verfassung gerichtet ist - vielleicht verbietet das Verfassungsgericht die Abstimmung? Jetzt erst schwenken die Politiker um: Regierungschef, Parlamentspräsidentin und Präsident rufen nun unisono zur Beteiligung am 18.Februar auf.

Wir und die anderen
Dabei erscheint die Atmosphäre zunehmend vergiftet. In Diskussionen wird kaum ein Argument akzeptiert, das "der anderen Seite" nützlich sein könnte. Manchmal scheint die Denkweise der lettischen Seite auch immer noch von Verächtigungen gegenüber "Agenten" und "Verrätern" bestimmt, und von Mißtrauen gegenüber "Wende-Kommunisten" sowieso. 
Vom Eingeständnis der Okkupation Lettlands durch die Sowjettruppen schwenkte auch Bürgermeister und Oppositionsführer Ušakovs auf die Unterstützung der Unterschriftenkampagne um – seine Partei „Saskaņas Centrs“ hätte vielleicht in der Gefahr gestanden, die Initiative und damit an Ansehen zu verlieren innerhalb der potentiellen Wählerschaft. Auch nach 20 Jahren Unabhängigkeit, 20 Jahre selbst für die Geschicke des eigenen Landes verantwortlich sein, haben Korruption, soziale Ungleichheit, fehlende angemessen bezahlte Arbeitsplätze und individuelle Extratouren vieler Politiker und Geschäftsleute immer noch kein ausreichendes Vertrauen darin hervorrufen können in den Nutzen demokratischer Instutionen. Viele denken allenfalls in "Notlösungen": wer überlebt, seine Familie ernähren kann und dafür nicht gleich auswandern muss, hat schon viel erreicht. Das Vertrauen, mitbestimmen zu können, gehört zu werden, gerecht behandelt zu werden, gehört bei vielen immer noch nicht dazu - ob russisch oder lettisch sprechend. Und diejenigen, die sich vielleicht materiell selbst einigermaßen absichern konnten - wer von denen zeigt sich dann noch sensibel und gleichzeitig engagiert für die Belange der gesamten Gesellschaft, also nicht nur der eigenen?
Wird eine per Volksentscheid entschiedene Frage der offiziellen "Staatssprache" etwas zum Positiven ändern? Momentan sieht es eher aus wie einer neue Chance zur Verhärtung der Extreme. Auf der einen Seite werden Reden gehalten, nun müssten "alle Letten zusammenstehen" um "Freiheit, Sprache und unsere alten Werte" zu retten (so Nationalistenführer Raivis Dzintars). Und während absehbar ist, dass auf dem Referendumswege keinesfalls eine Mehrheit für Russisch als zweite Amtssprache erreichbar sein wird, reden sich eben andere auch schon wieder für die Beschimpfungen warm, ganz Lettland sei eben undemokratisch. Wie das Klima zwischen den beiden großen Volksgruppen in Lettland nach dem Referendum aussehen könnte, bleibt im Hinblick auf hier notwendige pragmatische Visionen ziemlich unklar.

Lettische Verfassung (engl. Sprachfassung)
Lettische Verfassung (lettischer Text)
Übersicht zu den vorgeschlagenen Änderungen (lettisch)

20. Januar 2012

Bernstein in süßer Variante

"Ich saß eines Tages in der Küche meiner Wohnung in Riga, trank Tee und schaute mir ein schönes Stück Bernstein an, das in der Sonne glänzte. Es wäre doch schön, wenn das essbar wäre!"
So erzählt es Karīna Šišlo heute, die sich daran gemacht hat, ihre Idee tatsächlich zu verwirklichen. Karīna, die bereits seit 20 Jahren an einem Jugendtheater in Riga als Regisseurin arbeitet, erzählte anfangs niemand von ihrer Idee. Dann waren es ihr Mann, ihr Sohn, und eine Freundin, die früher mal beim lettischen Konfektgigant "Laima" gearbeitet hatte. "Du bist ein Genie!" die Freundin war sofort begeistert, und gemeinsam probierten sie verschiedene Karamellrezepte aus, um die Realisierbarkeit zu überprüfen."Ich wollte unbedingt natürliche Zusatzstoffe verwenden," erzählt die Erfinderin. Ein wenig Sanddornsaft, Quitte und Moosbeeren kamen dazu. "Kein sehr kräftiger Geschmack, aber das macht ja nichts" - die Bernstein-Köchin war zufrieden, und der "Saldais Dzintars" war geschaffen.

Der Weg von Einzelstücken bis zur Produktion war lang. 150.000 Lat seien notwendig, um das Produkt professionell in die Produktion zu bringen, sagten einige. Ihr Antrag auf eine EU-Unterstützung erfuhr eine Absage. Dann halfen einige Freunde aus. Eine Bäckerei stellte Räumlichkeiten zur Verfügung, um einmal im Monat den "süßen Bernstein" per Handarbeit zu produzieren, andere halfen bei der Registrierung des Warenzeichens. Die ersten Test-Esser waren die Kinder der Verwandten und Bekannten: die Stückchen verschwanden so lautlos und schnell in den Kindermündchen, offenbar schmeckte es. So wie der süße Dzintars jetzt hergestellt wird, ist er etwa ein Jahr haltbar - also durchaus geeignet, ihn auf weiter Reisenmitzunehmen - eine neue Idee für ein schönes Souvenir.
Webseite "Saldais dzintars"

12. Januar 2012

Cēsis international

Ungewohntes Aufsehen diese Woche um das nordlettische Städtchen Cēsis: die englische BBC nahm den Ort als plakatives Beispiel für einen Vergleich der heutigen Situation Lettlands mit der Euphorie am Abend des EU-Beitritts 2004. Die lediglich 100 Sekunden lange Fernsehbeitrag zeigt eine graue Stadt, in der Läden und Schulen leerstehen, heruntergekommene Hausfassaden und zumeist junge Menschen am Flughafen Riga, denen die Absicht der Ausreise zum Geldverdienen in anderen EU-Ländern unterstellt wird.
Was prägt den Ruf der Stadt Cēsis mehr? Zufällige
Eindrücke (wie z.B. auch auf diesem Foto), böswillige
Journalisten, oder das Image der ganzen Region?
Eine neue Studie würde 100.000 weitere Arbeitsemigranten in den kommenden drei bis vier Jahren vorhersagen, so kommentiert die TV-Sprecherin, und das seien zumeist junge Leute direkt nach dem Schulabschluß, die Lettland selbst so dringend brauchen würde.

Außer der erwähnten Studie sind zwei mündliche Äußerungen von lettischer Seite filmisch eingebaut: ein junger Mann bestätigt dass viele Arbeit im Ausland suchen, und eine inzwischen nach Riga umgezogene Lettin bestätigt den krassen Unterschied zur Hauptstadt. - Amtsträger und Lokalpolitiker allerdings zeigen sich in der lettischen Presse empört: die im Film gezeigte Schule sei schließlich bereits seit 10 Jahren geschlossen, und trotz der Kürze des Beitrags würde der Name Lettlands international eben so selten genannt, als dass eine solche Darstellung einfach hingenommen werden könne.
Blick auf Cēsis - durch die Werbebrille der Touristik
(ein Foto des örtlichen Tourismuszentrums)
Natürlich schaut in Cēsis nicht jeder englisches Fernsehen. Um so eifrigere Antworten können lettische Medien aber auch von aktiven Bürgern erwarten, die sich für die Stadt einsetzen. "Ich weiß nicht, warum man ausgerechnt unsere Stadt so negativ herausstellt. Das Kulturleben ist sehr aktiv, ist gibt viele aktive Bürgergruppen", erzählt Kadrija Mičule, Mitarbeiterin des Kulturzentrums in Cēsis, der Zeitung Neatkarīgā. Aber auch sie weiß, dass der gute Ruf der Stadt nicht noch weitere Jahrzehnte nur von Symbolveranstaltungen wie den "Imanta-Dienas" (erstes Juliwochenende) oder dem Cēsu Mākslas festivāls (Festival der Kunst) leben kann - es geht um Arbeitsplätze.

Auch Vertreter des örtlichen Tourismusbüros zeigen sich überrascht, dass die BBC gerade Cēsis, die Stadt die 2007 ihren 800.Geburtstag feierte, als schlechtes Beispiel herausgestellt habe. Die Stadt sei im Vergleich sehr sauber und aufgeräumt, und auch die Gästenzahlen seien in letzter Zeit nicht zurückgegangen. Jānis Rozenbergs, stellvertretender Bürgermeister der Stadt, läßt sich sogar mit Äußerungen zitieren, ähnliche Filmchen wie bei der BBC könne man "überall auf der Welt" herstellen (LETA/Apollo.lv). Seinen Angaben zufolge könne man den Steuereinnahmen nach nicht behaupten, dass gerade hier die größten Einbußen vorzufinden seien. Was einen möglichen Rückgang der Bevölkerungszahlen angeht, so möchte er aber auf die offiziellen Ergebnisse der 2011 vorgenommenen Volkszählung abwarten. Gerichtlich habe die Stadt nicht vor, gegen die BBC vorzugehen - es gäbe Wichtigeres zu tun.

Auch die meisten Leserreaktionen auf den verschiedenen Internetportalen verteidigen ihre Stadt. Zwar gibt es auch Reaktionen direkt zum Film, die schlicht "ist doch alles genau die Wahrheit!" sagen, aber viele verweisen auch darauf, dass sicherlich in London auch schmuddelige Ecken zu finden seien. "Gerade die Menschen aus Cēsis sind doch als diejenigen bekannt, die immer wieder nach Hause zurückkehren", zitiert auch die "Lauku Avize" eine Einwohnerin. Unverkennbar ist auch, dass die meisten Lettinnen und Letten besonders die vorhandenen kulturellen Werte der Stadt verteidigen und herausstellen - unklarer werden die Perspektiven, wenn es um die Wirtschaft außerhalb des Tourismus geht. Gerade jüngere Leute werden zitiert mit Aussagen, dass sich der Kreis derjenigen die wegziehen erweitert habe: früher seien es nur die Arbeitslosen gewesen, heute bereits die Kleinunternehmer. Zu wenig Perspektiven in der Landwirtschaft, zu viele schicke Supermärkte, die anderen das Geschäft verbauen? "Beim Arbeitsamt gibt es Kurse für Spezialisten der Nagelpflege - aber wo sollen die reichen Damen herkommen, die dann unsere Kunden sein sollen?" wird eine Arbeitslose zitiert.

Dem stimmte auch der lettische Präsident Andris Bērziņš bei einem Besuch Ende November zu: bei der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmern gäbe es noch viel zu tun.
Die Tourismuswerbung führt für Cēsis ganze fünf Beispiele unter der Rubrik "hergestellt in unserer Stadt" auf: Bier, Honig, Webstoffe, ein Konditor und das Wasser einer "heiligen Quelle".
Oder sollte man nicht von Glück reden, dass die Fernsehleute nicht gerade vorbeischauten, als vor wenigen Wochen Tausende Kontoinhaber von einer Bank zur anderen geschickt wurden, nur um an Bargeld zu kommen? Zur Imageverbesserung wird inzwischen einiges getan - in die Tourismuswerbung fließen üppige EU-Millonen. Hoffentlich bleibt auch noch etwas für die Entwicklung einheimischer Perspektiven übrig, denn es kann ja kein Ziel sein, nur noch zu einem sauber geputztes Museumsdorf zur Erbauung von Kurzzeittouristen zu werden.

Der BBC-Fernsehbeitrag
ein offizielles Werbevideo von Cēsis

7. Januar 2012

Lettlands Beste

Nicht besonders euphorisch gestaltet sich die Grundstimmung in Lettland zum Jahreswechsel. Die wirtschaftliche Lage wird noch geprägt von den zurückzuzahlenden Krediten, die in der Krise aufgenommen wurden. Und wenn eine der größten Banken des Landes zusammenbricht (Krājbanka), und bei Gerüchten, eine weitere Bank werde bald in Schwierigkeiten geraten die Menschen gleich innerhalb weniger Stunden zum nächsten Geldautomaten laufen um zu testen ob sie noch an ihr Geld kommen, dann kann niemand die Lage einfach als "normal" bezeichnen. Im Haushalt des Landes müssen Kreditrückzahlungen an internationale Geldgeber vorgesehen werden, und das eines der alten, traditionsreichen anderen EU-Ländern offenbar noch mehr Schwierigkeiten hat, tröstet nicht wirklich (besonders diejenigen, nicht, die mal die Lohnhöhen Griechenlands und Lettlands verglichen haben).

Erfolgreiche Firmen und neue Produkte
Mal ein ganz anderes Souvenir aus
Lettland mitnehmen? Vielleicht mal
Rosensalz als Badezusatz?
Da scheint es besonders wichtig, wenn Lettlands Investment- und Entwicklungsagentur (LPIAA -Latvijas Investīciju un attīstības aģentūra) Preise und Auszeichnungen für Lettlands beste Produkte und Firmen verleiht. Die laut Aussagen der deutsch-baltischen Handelskammer überwiegend zufriedenen deutschen Firmen in Lettland prägen zwar auch die Stimmung vor Ort - aber dem Land würde es wohl kaum helfen, wenn im Gegenzug die lettischen Firmen alle bankrott gehen würden.

Die LPIAA zeichnet diejenigen Produkte und Firmen aus, die im vergangenen Jahr besonders erfolgreich waren. Zum "Exporteur des Jahres" wurde die Glasfaserfabrik in Valmiera ernannt (AS „Valmieras Stikla šķiedra”). Bereits seit 1963 läuft in der nordlettischen Stadt die Glasfaserproduktion, und die Firma schaffte es in den 90er Jahren nach kurzer Krise einen deutschen Investor zu gewinnen: die "Glasseiden GmbH Oschatz". Schon im nächsten Jahr könnte man in Valmiera beim größten Steuerzahler in ganz Vidzeme also 50jähriges Firmenbestehen feiern, nahezu 800 Menschen haben hier ihren Arbeitsplatz.

lange nicht mehr in deutschen Haushalten gesehen - nun
von lettischen Firmen geliefert: holz-solide Bügelhilfen
In der Gruppe der größeren und mittelgroßen Exportfirmen gab es fünf Preisträger: die Zementfabrik CEMEX aus Brocēni, dann "Dobeles dzirnavnieks" (diese Mühle stellt nicht nur Mehl, Cornflakes und Tierfutter her, sondern plant auch Nudeln vor Ort zu produzieren und ist stolz darauf, ihre Produkte bis in Länder wie Gambia, Vietnam und Thailand zu expoertieren), sowie der Metallverarbeiter Severstal.

Bei den kleinen Exporteuren reichten die Tätigkeitsbereiche der ausgezeichneten Firmen vom wissenschaftlichen Testen von Medikamenten (AmberCRO), über die Herstellung von Badewannen und Waschbecken (PAA) bis zur Produktion von Blockhäusern (Latlaft).

ob für die ganze Schule oder nur für ausgesuchte
Kunden: Mode aus Lettland fürs bessere Bildungsklima
Bei den von der LPIAA prämierten Produkten ist vielleicht weniger überraschend, was bereits grundsätzlich von Lettland bekannt ist: Fischkonserven, Süßigkeiten von "Laima", Landkarten mit GPS von "Jāņa sēta", oder der eher osteuropäische Flair der "Rosme"-Damenwäsche.

Nein, wirklich neue oder zumindest ungewohnte Eindrücke liefern die Preisträger für gutes lettisches Design, die ebenfalls von der LPIAA vergeben wurden. Hier gibt es auch Überraschendes zu entdecken - noch nicht ganz so erfolgreich in Verkauf und Export, aber eben innovativ. Wie wär's also mal mit Schönheitsprodukten von "AnnaLiepa" aus Riga? Oder bügeln Sie Ihre Wäsche mal wieder auf Holz - dazu noch mit schmuckem Design versehen (Annushkanu). Und auch in manchen deutschen Schulen ist auch die Diskussion losgebrochen, ob nicht eine stilechte Schuluniform das allgemeine Klamotten-Wettrüsten der Schülerinnen und Schüler beenden könnte. Nun liefert AMERI aus Lettland eine preisgekrönte Schulkleidung; offenbar wollig warm und optimistisch hell. Vielleicht werden diejenigen, die nicht auf eine entsprechende Entscheidung ihrer zuständigen Schulleitung warten wollen, auch Einzelstücke für Sohn oder Tochter erwerben können. Eine Kinderjury gabs bei der LPIAA allerdings bisher nicht.

Liste aller LPIAA-Preisträger