23. April 2013

Lettische Schüler keine Patrioten

Schulausflüge zu Heldendenkmälern -
offenbar nicht auf dem Lehrplan
Während in Lettlands großen Flüssen die Frühjahrsfluten auf ungewöhnliche Höhen steigen, fühlt sich ein Teil der ethnischen Letten offenbar anderen Bedrohungen ausgesetzt. In den lettischen Medien sind Ergebnisse einer Umfrage der Agentur "SKDS" zitiert die den Titel trägt "Die gute Schule - Wünsche und Wertungen". Die Tageszeitung "Latvijas Avize" fasst es in der provozierenden Frage zusammen: Sollen Kinder in der Schule lernen, ihr Leben für Lettland zu geben?

Lettische Eltern sind sich da offenbar nicht so sicher. Während 25% meinen, die Schule sei für die "patriotische Erziehung" zuständig, wollen 27% das lieber der Entscheidung des einzelnen Schülers und seinen Eltern überlassen wissen. 43% weisen sowohl den Eltern wie der Schule die Verantwortung zu. Sollen Schüler in der Schule lernen, ihr Leben für Lettland zu geben? Darauf antwortet eine klare Mehrheit von 61% der Befragten mit "nein" (nur 17% mit "ja"). SKDS-Chef Arnis Kaktiņš wird mit seiner Interpretation dieser Zahlen zititiert: wer selbst sein Leben für Lettland geben wolle, der wünsche eben auch eine Erziehung seiner Kinder mit eben diesen Zielen. Diese Aussagen würden übereinstimmen mit dem derzeitig sehr niedrigen Vertrauen der Menschen in ihren Staat, und ebenso interessant sei, dass sich die Antworten zwischen Russisch- und Lettischsprachigen kaum unterscheiden.

Was sollten lettische Schulen in den Vordergrund
stellen - ethische Ideale oder materielle Ziele?
Sollen die Lehrpläne in den Schulen auf eine Beachtung der Interessen des Staates und der Gesellschaft ausgerichtet sein, diese zu ehren sowie Pflichten zu erfüllen? Oder ist es wichtiger dass die Schüler in der Schule lernen die eigenen Interessen zu wahren und Erfolge zu erreichen? 29% sprechen sich für eine Beachtung der gesellschaftlichen Interessen aus, 36% sehen das eigene Kind im Vordergrund. 31% sprechen sich dafür aus beides möglichst auszubalancieren.



Englisch für alle, Russisch für viele
Klar ist auch die Meinung zu den Schulfächern und den Kenntnissen, die in der Schule auf jeden Fall angeboten werden sollten. 80% halten Englisch als Fremdsprache für unverzichtbar, erstaunliche 77% aber auch Sport und Körpertüchtigung. Immerhin 59% finden auch Russisch wichtig (Deutsch liegt bei 35%), nur 1% spricht sich völlig gegen Russischunterricht aus. In lettischsprachigen Familien sprechen sich 47% unbedingt und weitere 41% für "eher dafür" pro Russischunterricht aus.

Beim Thema Geschlechtergleichberechtigung zeigen sich auch diesmal die Lettinnen und Letten als relativ konservativ. 61% sind der Ansicht, dass in der Schule Jungen und Mädchen unterschiedliche Fähigkeiten lernen sollten: Jungen sollten eher sägen und einen Nagel einschlagen lernen, während für Mädchen eher nähen und stricken geeignet sei (keine Angaben machte SKDS dazu, wie die Geschlechter bei den Befragten verteilt gewesen seien).

Kirche und Schule - eher distanziert
Nicht so konservativ beurteilen die Befragten das Thema Religion und Schule: 56,4% betrachten die religiöse Einstellung als eine Frage der Person oder der Familie, worin sich die Schule nicht einzumischen habe. Nur 33% sagen eine christliche Erziehung in der Schule können den Kindern nur gut tun.

Bei den Finanzen sind sich viele wieder einig: nur 7% meinen, die Kosten für Lehrmittel und Bücher sollten völlig von den Eltern getragen werden, während 67% die Kostendeckung als staatliche Aufgabe sehen.

Hier noch die "Hitliste" wichtiger Schulfächer - zusammengenommen die Antworten "sollte unbedingt gelehrt werden" und "sollte eher doch gelehrt werden":
Englisch - 81%
Sport - 78%
Mathematik ("Rechnen ohne Taschenrechner") - 78%
Sichere Nutzung des Internets - 63%
Russisch - 61%
Musik und Gesang - 53%
Schönschreiben - 53%
patriotische Erziehung - 44%
Deutsch - 41%
Spanisch - 19%
skandinavische Sprachen - 19%
alte Sprachen - 17%
Chinesisch - 14% (2% halten es für unverzichtbar)

Wie immer ist interessant nachzulesen, wie die lettische Lesergemeinde in den verschiedenen Internetportalen auf diese Ergebnisse reagiert. "Wir haben es eben in 20 Jahren Unabhängigkeit noch nicht geschafft, unser 'Lettisch-Sein' neu zu begründen und zu festigen," meint ein Leser auf NRA.lv, "weder durch die Sprache, noch durch eine spezielle Lebensweise, gar nicht zu reden von einem eigenen Charakter der Staatlichkeit." Andere meinen, Jugendliche hätten nachweislich Schwierigkeiten Arbeit zu finden ohne Russischkenntnisse, das sei nun mal Realität und auch nicht dadurch zu bekämpfen, wenn man Russisch von den Lehrplänen entferne. Auch mehr Kenntnisse der Ökonomie werden als unverzichtbar für zukünftige Lehrpläne gefordert - diese Notwendigkeit würden schon die vielen Wirtschaftsskandale zeigen. Misstrauisch gegenüber den gesamten Umfrageresultaten zeigen sich auch Leser bei delfi.lv: während die einen das Umfrageinstitut verdächtigen "nur Russen" gefragt zu haben, halten andere die Zahlen für politische Reklame für bestimmte Parteien (im Kommunalwahlkampf). Apollo.lv stellt gleich die ganze Berichterstattung unter die Schlagzeile: War die Schulbildung zu Sowjetzeiten besser? Nur eines scheint angesichts des heiß diskutierten Themas klar zu sein: es ist offenbar viel leichter durch ein paar Thesen Letten untereinander zum Streit zu bewegen als zu konstruktiven Überlegungen zum gemeinsamen Nutzen. Nun kann man ja darüber streiten, ob dies ein Ergebnis der Schulbildung ist ...

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