19. Juni 2013

Nicht nur zu Mittsommer: Lettlands Käse

Die Menschen in Lettland essen mehr Käse als ihre Nachbarn in Estland und Litauen - dass bestätigt sogar eine Untersuchung der Lebensmittelkette "Maxima", die sich in litauischem Besitz befindet und als eines der größten litauischen Unternehmen Filialen in allen drei baltischen Staaten unterhält. Eine Umfrage habe ergeben, dass in Lettland mehr als die Hälfte der Menschen (54%) jeden Tag Käse esse. In Litauen und Estland seien das wesentlich weniger (36% bzw. 34%).

Sicherlich soll die Umfrage auch ein wenig das eigene Angebot bewerben - denn ein anderes Ergebnis soll angeblich sein, dass die meisten beim Käse den Geschmack immer noch höher als den Preis bewerten. Dabei beherrschen eigentlich doch recht gängige Sorten das Einkaufsverhalten - also den durchschnittlichen lettischen Frühstückstisch: Krievu siers, Latvijas siers, Holandes siers, (russischer, lettischer, holländischer Käse). Oder auch der Schmelzkäse-Dauerbrenner "Dzintars". Aber das ist vielleicht auch ein ganz falscher Eindruck, denn allein schon die Tradition des Mitsommerkäses (goldgelb am besten, mit Kümmel natürlich) spricht ja dafür, dass viele Regionen noch mehr zu bieten haben.

69% der Verbraucherinnen und Verbraucher in Lettland äußern jedenfalls die Überzeugung vor allem Käseprodukten aus dem eigenen Land den Vorzug geben zu wollen - und in dieser Hinsicht stehen ihnen die Estinnen und Esten nicht nach (75%). Allerdings kommt spätestens hier eindeutig der Camembert ins Spiel: der Letten zweitliebster Käse. Hier wird Import gerne toleriert, denn in Lettland liebt Camembert. Und auch Mozarella hat es inzwischen neben den erwähnten Traditionssorten in die lettische Küche geschafft. Feta dagegen schaffte es bisher nur in Estland in die Reihen der beliebtesten Sorten (auch der Edamer scheint eher etwas für den estnischen Geschmack zu sein). Litauer nennen auch noch den Parmesan als ihre bevorzugte Sorte. Eines ist allen gemeinsam: Käse wird meist zusammen mit Butter aufs Brot genossen (in Lettland 52%).

22% der Befragten in Lettland essen nach eigenen Angaben auch gern den typischen Mitsommerkäse - allerdings fragte Maxima nicht danach, wie viele ihren Käse auch selbst herstellen, gerade aus diesem Anlaß. Rein mengenmäßig gibt es beim Verbrauch noch Aufholbedarf: durchschnittlich isst Frau und Herr Lette 5,4kg pro Jahr, in der EU sind es durchschnittlich 17kg, in Deutschland 22,6kg (Zahlen von 2009).
Viele lettische Regionen warten auch mit eigenen Käsetraditionen auf: ob nun "Talsu ritulis”,  „Sievas prieks”, "Klostera siers", „Bakšteins”, "Mednieku" oder „Trikantālers” - hier fängt das Interesse des käseliebenden Lettland-Gastes wahrscheinlich erst an. Erst vor einigen Monaten entdeckte ich auf Rigaer Märkten und Volksfesten unglaublich milde Ziegenkäse-Bällchen ("sniega bumbas") - also, solange die lettische Landwirtschaft Milch liefert, könnte Lettland vielleicht ein noch vielfältigeres Käseland werden. Ein fröhliches Mittsommer also!

Einige typisch lettische Käsehersteller: Smiltenes piensVītolberga siers / Trikātas siers / Talsu Piensaimnieks / Rīgas Piensaimnieks (Kārums) / Mālpils piensaimnieks / Klētis (Lazdonas Piensaimnieks)  /  Straupe PKS /

11. Juni 2013

Freier Blick aufs Reich des Adlers

Zur den besten Blick aufs lettische Reich der Adler bietet eine Webcam, die in der Nähe von Skrunda / Kurland aufgestellt worden ist.
Schon länger brüten in dieser Gegend Fischadler, heißt es auf der Webseite der "Dabasdati.lv". Als es 2007 absehbar war, dass eine alte Kiefer mit einem Nest bald umfallen würde, wurde ein künstliches Nest auf einer Kiefer gleich nebenan errichtet. 
Nun läßt sich diskutieren, welches die eigentliche Hauptattraktion dieser "Live-"Übertragung von Familie Fischadler plus Nachwuchs ist: die hautnahe Beobachtungsmöglichkeit dieser seltenen Tiere, der schöne Ausblick aufs bewaldete Kurland (auch als Wetterausguck geeignet ...) , oder vielleicht das, was die Mikrophone übertragen: beinahe himmlische Ruhe, unten ruft der ein oder andere Kuckuck - aber keinerlei Motorengeräusch oder anderes menschliches Störungszeichen. Ein wahrhaft paradiesisches Leben (solange das Wetter gut bleibt).
Fischadler sind Zugvögel und treffen in Lettland gewöhnlich so Ende März, Anfang April ein. Die Zahl der Brutpaare wird auf 100-150 geschätzt.

Lettische Fischadler-Webcam

6. Juni 2013

Die letzte Livin?

Foto: Livones.net
Mit Grizelda Kristiņa (vollständiger Name: Grizelda Marija Bertholde-Kristiņa) verstarb vor einigen Tagen der letzte Mensch, deren Muttersprache das Livische war - so meldete es kürzlich der "Integration Monitor". Nun seien noch etwa 15 Leute übrig, die in der Lage seien sich frei auf Livisch zu unterhalten. Hm, also wer starb da? Die letzte Livin?

In der lettischen Tagespresse steht es in etwa so:  Mit 103 Jahren sei die älteste Livin gestorben, so habe es der Zeitung der stellvertretenden Leiter des Livischen Kulturzentrum, Valts Ernštreits erzählt. Frau Kristiņa sei am 10.März 1910 in dem kleinen livischen Dorf Vaide geboren worden, als Nachkomme der in der livischen Kulturgeschichte wichtigen Familie der Bertholds (Eltern Pēters und Līze Berthold). Kristiņa sei eine gute Erzählerin gewesen und habe auch Gedichte in Livisch geschrieben. 1944 habe sie als Flüchtling Lettland verlassen und bis zu ihrem Tod in Kanada gelebt, wo sie auch wissenschaftliche Delegationen aus Lettland besuchten und sich von ihr Kassetten besprechen ließen um die Eigenheiten der livischen Sprache für die Nachwelt zu bewahren. Mit ihr sei nun auch der letzte direkte Nachkomme der Familie Berthold gestorben, der noch in Lettland aufgewachsen sei.


Die kluge Grizelda hatte schon in den 1930er Jahren Möglichkeiten genutzt, die heutzutage vielen Jugendlichen selbstverständlich und nichts besonderes erscheinen. Aber ihr Schulbesuch damals in Finnland wird sicherlich - gerade für eine Frau - ziemlich abenteuerlich und ungewöhnlich gewesen sein, auch wenn es "nur" ein finnisches Hauswirtschaftsinstitut war und sie zu nichts weiter als einer Köchin ausgebildet wurde. 1938 heiratet Grizelda einen Mann aus ihrem Dorf Vaide, beide lebten dann aber in Riga, bis zum Sommer 1944, als sie für einige Monate nach Vaide zurückkehrte bevor sie sich entschloss den Flüchtenden Richtung Westen anzuschließen. Über Schweden kam sie 1951 nach Kanada, wo sie - wie so viele Lettinnen und Letten (in diesem Fall also eine Livin) ihre Erinnerungen aufschrieb. Kürzlich erst ist im lettischen Handel eine DVD zum Livisch lernen erschienen, die auch 10 Dialoge enthalten soll die mit ihr aufgenommen wurden. 2011 erschien ihre Gedichtsammlung "Kui sūolõbõd līvlizt / Kā iznirst lībieši”.

Livisches Kultur- und Sprachportal "Livones.net"

4. Juni 2013

In Lettland alles harmonisch?

Auf den ersten Blick sieht das Ergebnis der lettischen Kommunalwahlen vom vergangenen Samstag wie ein Schritt zur Vereinfachung aus: vielerorts gab es leicht überschaubare Ergebnisse. Viele Ortsbürgermeister wurden wiedergewählt, aber bei deutlich gesunkenem Interesse des Wahlvolks.

Am einfachsten sieht das Ergebnis in Riga aus: wie von vielen bereits vorausgeahnt darf Bürgermeister Nils Walerjewitsch Ušakovs weitere vier Jahre den Chefposten besetzen. Und nicht nur das: 2009 hatten es die Gegner  Ušakovs für einen einmaligen Unglücksfall gehalten dass damals nur 4 von 17 zur Wahl stehenden Parteien die 5%Hürde überwanden - so bedurfte es nur der Einigung zwischen zwei Parteien um sich die Mehrheit zu sichern. Damals waren es die Liste des Saskaņas centrs” (SC - ins Deutsche oft übersetzt mit "Harmoniezentrum") und der unternehmerfreundlichen LC/LPP des ambitionierten Ainārs Šlesers, die Ušakovs ins Amt hievten.
Als Šlesers 2011 als Spitzenkandidat bei den Parlamentswahlen scheiterte gründeten die verbliebenen Ratsmitglieder eine neue Partei die sich nun unter Führung von Vize-Bürgermeister Andris Ameriks "Gods kalpot Rigai" (GKR - Ehre Riga zu dienen) nennt und für 2013 mit der SC des Bürgermeisters eine gemeinsame Wahlliste aufstellte. Diese gemeinsame Liste holte nun gemäß dem vorläufigen Ergebnis 58,54% und 39 Sitze im Stadtrat Riga - die absolute Mehrheit. Auf diese Weise muss es nun niemand verwundern dass die im lettischen Parlament nicht mehr vertretene LC/LPP nun doch weiterlebt: 8 der ehemals 12 LC/LPP-Stadtratsabgeordneten erreichten nun als Kandidat der Liste "Gods kalpot Rigai" erneut ein Stadtratsmandat.

Wahl 2013 pro-Russisch - oder Anti-Euro?
Wenn Regionalwahlerlebnisse in Lettland aus deutscher Sicht überhaupt jemand interessieren wäre diese beiden Schlagworte wohl die populärsten. Dabei ist die Feststellung von Juris Kaža , einem der erfahrendsten US-Journalisten in Lettland (als Sohn von Exil-Letten in Deutschland und USA aufgewachsen) im "Wallstreet-Journal" eigentlich ganz richtig: laut Umfragen sprechen sich nur noch 36% der Letten für den Euro-Beitritt aus, und diejenigen Parteien die sich am entschiedendsten dafür eingesetzt hatten haben bei den Kommunalwahlen Federn lassen müssen. Und zweitens: die von vielen schlicht als "Moskau-Freunde" und damit als "unwählbar" erklärten Politiker der "Saskaņas centrs” erreichten, ergänzt von einigen wirtschaftsfreundlichen Letten, ganze 58% - das sind schon Dimensionen wovon selbst die CSU in Bayern nur noch träumt. Ein großer Makel ist allerdings die niedrige lettische Wahlbeteiligung: landesweit 45,99% (2009 waren es 53,8%), in Riga 55,54% (runter von 58,93%).

Vielleicht hilft ein Blick aufs Regionale - was ja bei Regionalwahlen eigentlich immer empfohlen wird. Da gibt es viele Anzeichen einer Konsolidierung nach dem Motto: viele laufen weg - bleiben wir bei dem was wir haben! In Riga wurde mit Nils Ušakovs zum ersten Male nach 1990 ein Rigaer Bürgermeister in eine zweite Amtszeit gewählt - die meisten seiner Vorgänger scheiterten an internem Streit in ihren Parteienbündnissen, oder Änderungen in der nationalen Politik die dann auch in Riga Konsequenzen zeigten. Und Ušakovs bemüht sich jetzt nach der Wahl eben gerade darum, es nicht wie eine ethnische Wahl zu sehen: zum ersten Male sei im wieder unabhängigen Lettland nicht streng nach ethnischen Grenzen gewählt worden, meint er. Der letzte Rigaer Bürgermeister mit mehr als vier Jahren Amtszeit war 1984-1990 Alfrēds Rubiks der sich dann aktiv am Putsch gegen Gorbatschow beteiligte und dafür einige Jahre im Gefängnis verbrachte.

Auch einige andere Städte in Lettland haben "Bewährtes" gewählt: auf jeden Fall gilt dieser Trend für die Gemeinden in der Region Riga, welcher Partei die Amtsinhaber auch immer angehörten. in Ventspils errang die Liste "für Lettland und Ventspils" des ewigen Stehaufmännchens Aivars Lembergs 69,44%. Was ist Lembergs nicht alles schon vorgeworfen worden? Korruption im großen Stil, großzügige Geldzuwendungen an verschiedene Politiker, undurchsichtige Geschäfte, als Präsidentschaftskandidat gescheitert, zuletzt wollte ihn der zuständige Regionalminister Sprudzs einfach Kraft eines Dekrets aus dem Amt drängen - in Ventspils gibts dafür immer noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit. 
Kuldiga und Valmiera stehen für ähnliche Entwicklungen einer anderen Variante. Beide Amtsinhaber (Inesis Boķis mit "Für Valmiera und Vidzeme" und Inga Bērziņa mit "für die Gemeinde Kuldiga") gründeten nach dem landesweiten Untergang ihrer Partei (der aufgelösten "Tautas Partija" TP) einfach ein neues Listenbündnis mit neuem Namen und errangen 60,63% (in Valmiera) rsp. 64,12% in Kuldiga.

Auch in anderen Städten gab es einen ähnlichen Trend, wenn auch nicht mit Ergebnissen einer absoluten Mehrheit: in Talsi amtiert ein Ex-Tautas-Partija-Bürgermeister, seine Partei (jetzt "für die Entwicklung der Gemeinde Talsi") stieg von 31,8 auf 38,8% an.
Auch in Cēsis gelang der "Schwenk" der Ex-TP-Amtsinhaber nicht ganz: Vize-Bürgermeister Jānis Rozenbergs errang nun mit der "VIENOTĪBA" 39.89%, muss aber noch warten, ob die erstarkten Grünen (29,7%) und die Bauernpartei (9,11%), die oft zusammenarbeiten, ihn als Bürgermeister akzeptieren werden.

Bürgermeister Uldis Sesks in Liepaja könnte auch Wolfsburg-Flair in der lettischen Hafenstadt verbreiten, ist er doch Chef der örtlichen Volkswagen-Filiale. In Liepaja grassierte zuletzt die Angst dass der größte Arbeitgeber "Liepājas metalurgs" kurz vor der Pleite steht - das half dem Amtsinhaber nicht. Der Wähleranteil seiner Partei blieb nach 35% jetzt bei 37% hängen, und der in Riga so erfolgreichen "Saskaņa" ging es ähnlich (17%, wie zuletzt). Hier kommt die von Ex-Präsident Zatlers gegründete "Reformpartei" ins Spiel, die - ganz gegen den Landestrend - in Liepaja 30,4% holte und nun neue Wege gehen will - vor allem nicht mit dem bisherigen Bürgermeister. 

Viel Regionales, bei geringem Interesse
Den Reaktionen der Kandidaten und Gewählten zufolge scheint vor allem die sehr niedrige Wahlbeteiligung Sorgen zu bereiten. Auf der anderen Seite scheinen sich die lokal Engagierten vor allem um eigene Listenkreationen versammelt zu haben - was natürlich den gegenwärtigen lettischen Regierungsparteien nicht wirklich weiterhilft. Mit Parteikreationen wie "Regionale Allianz" (mehrfach ähnlich, z.B. in Gulbene 36,7%, in Smiltene 43,5%, in Sigulda 75,5%, Skrunda 53%, Salacgrīva 87,9%) werden vielerorts offenbar lokal aktive politisch Interessierte gebunden.
Wer sich unsicher sein sollte,wo in Lettland
Landleben zu orten ist: spätestens nach dem
Passieren eines solchen Schildes wird es jeder
verstehen und spüren können ...
Parteien wie "Unsere Region-unserZuhause-unsere Verantwortung" (in Jaunpiebalga 74%), "unser Zuhause für Morgen" (in Lubāna 87%) oder "unsere Heimat ist hier" (in Tērvete 41,5%) setzen sich offen gegen die vorherrschende Landflucht ein. Bei anderen reicht auch schon mal der Ortsname als Qualitätsausweis (z.B. "Für Ligatne" mit 40%, "Für den Bezirk Mazsalaca" mit 54%, "für die Stadt Tukums" mit 62%, "Für die Gemeinde Kuldiga" 64% oder "für die Gemeinde Daugavpils" 50,9%).

Oder es sind gleich mehrere Eigenkreationen eines Ortes gleichzeitig (gegeneinander?) erfolgreich, wie etwa in Alsunga, wo sowohl die Liste "Für die Interessen der Einwohner" wie auch "Für die Entwicklung der Gemeinde Alsunga" beide exakt 40,08% der Stimmen erhielt und das Wahlkommittee vor der schwierigen Entscheidung stand, der einen Liste 3 und der anderen 4 Sitze im Ortsrat zusprechen zu müssen (ein Hinweis auf die komplizierten Details des lettischen Wahlrechts, wo jeder auf der Parteiliste seiner Wahl auch noch Minus- und Pluszeichen bei jedem Kandidaten anbringen kann).
In Mērsrags, einem Ort in dem 2009 die Wahl wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden musste, traten mit "Wir in der Gemeinde Mērsrags" und "Demokratie für alle" nur diese zwei Listen gegeneinander an. 

In Latgale sind wie immer einige Abweichungen vom Trend zu beobachten. Neben der starken Präsenz des "Saskaņas Centrs" und der "Latgales Partija" fällt in einigen Gemeinden vor allem die hohe Zahl verschiedener Listen in den Gemeindeparlamenten auf: in Balvi und auch Preiļi 6 Parteien bei 15 Sitzen, in Aglona 7 Parteien bei 9 Sitzen, in Riebiņi 5 Parteien auf 15 Sitze.

Zwei weitere Parteien ohne Sitz im Stadtrat zeigen gerade in den Regionen Stärke, traten diesmal aber oft in getrennten Listen auf: Die lettische Grüne Partei und die lettische Bauernpartei. Auf den ersten Blick wirken 3,99% in Riga für die recht konservativ aufgestellten Grünen zwar enttäuschend, aber in der Hauptstadt errangen sie noch nie große Erfolge. Dass beide Parteien starke Vertreter in ländlichen Regionen haben zeigen Beispiele wie Līvāni (Grüne 69%), Krāslava (Grüne 72%), Auce (Bauernpartei 73%), Priekuļi (Bauernpartei 65%) oder Amata und Aizpute (60% bzw. 56% für eine gemeinsame Liste).

So mancher Wunsch der von Riga weit entfernten
lettischen Regionen ist – wie hier in Jūrkalne – auch
außerhalb von Wahlkämpfen sichtbar. Den Spruch
„Wir wünschen uns dass in Lettland mehr Kinder
geboren werden“ möchte man ergänzen
mit: „... und möglichst hier wohnen bleiben!“
Nur wer es allein versuchte hatte auch mit verrückten Namen keinen Erfolg, wie zum Beispiel
Mārīte Villere, arbeitslose Köchin, die optimistisch in Līgatne mit ihrer eigenen Liste "Vienmēr Kalnā" ("immer auf dem Berg") antrat aber nur ein paar Handvoll Stimmen damit einsammeln konnte. Mehr Erfolg dagegen hatte eine eigene "Jugendliste" im Örtchen Baltinava, einem der am stärksten von Abwanderung betroffenen Gemeinden an der östlichen Grenze Lettlands, das als kleinster Ort Lettlands seine Selbstständigkeit trotz landesweiter Regionalreform ertrotzte. Als einzige Konkurrenten der mit 75% siegreichen "Wir für Baltinava" angetreten, brachte es die "Jugendliste" dennoch zu 2 Ortsratssitzen, die nun die beiden Brüder Rolands und Ilgvars Keišs einnehmen werden, 21 und 23 Jahre alt, der eine Trompetenspieler und Theaterfan mit Wirtschaftsstudium, der andere Junglandwirt.

Streichergebnisse, und Hoffen auf's nächste Jahr
Es kann also nicht allein das Wahlergebnis in Riga als zuverlässiges Spiegelbild der Situation in Lettland gelten. Schon bei den Parlamentswahlen taugte Vienotība-Spitzenfrau Sarmīte Ēlerte nicht als Wählermagnet - und das ist vor allem dem Recht der Wählerinnen und Wähler zuzugestehen, auf ihrer "Lieblingsliste" auch Kandidaten zu streichen. Es zeigt sich damit gewissermaßen, wer innerhalb der eigenen Anhängerschar der oder die Unbeliebteste ist: 7829 strichen sie auf der Liste, allerdings werteten sie auch 9720 positiv. Natürlich können die Wähler ihre Liste auch insgesamt ohne Änderungen wählen, aber die Dimensionen werden sichtbar beim Blick auf Gegenkandidat Ušakovs Zahlen: 110.572 seiner Wählerinnen und Wähler stellten ihm ein persönliches Sonderlob aus - eine Rekordzahl.

Vielleicht ist es also konsequent, dass Ēlerte es nur zwei Tage nach der Wahl ablehnte, Fraktionsführerin der "Vienotība" im Stadtrat Riga zu werden. Für Ihre Partei wird vor allem die für den 1.1.2014 vorgesehene Euro-Einführung als nächstes auf der Agenda stehen - dafür steht Regierungschef Valdis Dombrovskis persönlich. Wie verschiedenen Medien heute zu entnehmen ist, wird die EU-Kommission dafür Grünes Licht geben (siehe Spiegel, FAZ, Süddeutsche). Das wird in Lettland noch ein hartes Stück Arbeit werden. Einige Initiativgruppen sammeln bereits Unterschriften um doch noch über die Euro-Einführung abzustimmen - aber die meisten fühlen sich wohl zwischen den Stühlen, statt aufgesprungen auf den richtigen Zug: eigentlich waren sie ja für die Annäherung an Europa, haben inzwischen gute Kontakte nach Westeuropa, und würden wohl auch in Euro zahlen - wenn sie denn genug Geld mit ihrer Hände Arbeit verdienen würden und auch in Lettland angemessen bezahlte Arbeit finden.

Aber unabhängig von der Popularität einer Einzelperson wie eines russischstämmigen Bürgermeisters zeigte auch die Volkabstimmung im vergangenen Jahr, als 3/4 sich gegen die Einführung von Russisch als 2.Amtssprache aussprachen, dass die meisten Letten an der Grundausrichtung der lettischen Politik nichts ändern möchten. Trotz überwältigendem Erfolg in Riga - der auch in den Moskauer Medien groß gewürdigt und als "Erfolg der Russen" gefeiert wurde - zumindest die wahlberechtigten Bürger Lettlands werden dem "Harmoniezentrum" nicht überall hin folgen. Das Jahr 2014 wird man auf Seiten der Stadt Riga allerdings jetzt noch ruhiger und gleichzeitig gespannter erwarten können: die Planungen fürs Europäische Kulturhauptstadtjahr können nach dem bisherigen Konzept weiterlaufen. Fürs Geschäfte machen könnte dabei der Euro helfen - der Rest der Bevölkerung wird sich entweder vor Preissteigerungen fürchten oder die Euros eh im Ausland verdienen müssen.
Auch fürs nächste Jahr ist wieder eine Standortbestimmung durch Wahlen vorgesehen: nach Euro-Einführung und Kulturhauptstadtsjubel stehen dann die Europawahlen an.

Webseite der zentralen Wahlkommission zu den Ergebnissen der Kommunalwahlen in Lettland