30. Januar 2014

Laimdota, gib Glück!

Wochenlang nervte ein unerwartet quälendes Hin- und Her um die neue Regierungsbildung in Lettland. Als Regierungschef Dombrovskis (Partei "Vienotība") am 27.November nach einem Besuch bei Staatspräsident Bērziņš seinen Rücktritt bekanntgab (nach 1777 Tagen auf dem Chefsessel) und dabei durchaus ein paar Tränen unterdrücken musste, ließ dies bei vielen mehr Fragezeichen als klare Aussagen zurück. Ein Supermarkt stürzt ein, und der Ministerpräsident tritt zurück - weder der Zuständige für die Bauaufsicht, noch ein zuständiger Minister, auch kein Firmenchef hatte bis dahin ähnliche Konsequenzen gezogen. Und Dombrovskis Hinweis, nur eine starke Regierung könne die anstehenden Probleme lösen hinterließ bei Außenstehenden wie Parteikollegen Staunen - denn er regierte ja mit Parlamentsmehrheit, und hatte die Situation am Tage zuvor vor versammelten Journalisten noch kühl und sachlich analysiert, ohne Anzeichen persönlicher Konsequenzen.

Zu Lettlands neuer Regierungschefin - politisch und persönlich den
meisten sicher ein unbeschriebenes Blatt - fällt plötzlich ganz Europa
Ähnliches ein (von oben: "Latvijas Avize" / Lettland, "Rheinische
Post" / D, "Lietuvos Rytas" / Litauen, "Toxrima" (Griechenland)
Im zweiten Ansatz war vielleicht zu vermuten, Dombrovskis wolle seine Partei vor den anstehenden Wahlen besser aufstellen - ihm selbst werden Ambitionen auf ein hohes EU-Amt in Brüssel nachgesagt. Nun soll es also Laimdota Staujuma machen, bisher Landwirtschafts-ministerin im Kabinett Dombrovskis. Vorerst nur auf bestimmte Zeit - bis zu den turnusgemäß anstehenden Neuwahlen im kommenden Oktober. Für die internationale Presse offenbar dennoch ein gefundenes Fressen, denn die Idee einiger Agenturen, von der Optik bis zur Ausbildung Parallelen zu Angela Merkel zu schaffen, brachte Straujuma einen unverhofft furiosen Start ins Regierungs-geschäft. Allerdings verfängt dieser Vergleich beim näheren Hinsehen kaum - und leider fehlt auch, begleitend zu den mehr oder weniger hübschen Bildchen, die politische Analyse der politischen Situation in Lettland.

Lettlands erste Frau als Regierungschefin - aber lässt sich dazu wirklich nicht mehr sagen als dass sie 6 Enkel hat, zu Sowjwetzeiten mal Physik und Mathematik studiert hat, und zuletzt eher als Spezialistin Landwirtschaft galt?

Der Prozess der Regierungsbildung war interessant, auch wenn die jetzt ernannten Amtsträger nach nur wenigen Amtsmonaten auch als zwischenzeitliche Steigbügelhalter für andere enden könnten.  Zunächst war Verteidigungsminister (und Ex-Außenminister) Artis Pabriks von "Vienotība"als Kandidat für den Chefposten nominiert worden - aber Präsident Bērziņš, der laut lettischem Wahlrecht den Regierungschef vorschlägt und ernennt - hatte etwas dagegen. Pabriks selbst hatte als Grund dafür möglichen Einfluss von Partei-Großsponsoren (den sogenannten "Oligarchen") vermutet - hinter der Liste der Grünen und Bauern (ZZS), die mit ins Regierungsboot geholt werden sollte, steht Aivars Lembergs, und andere unternehmerorientierte Parteien waren bei den vergangenen Wahlen nur knapp gescheitert.  Nun steht Pabriks zusammen mit Ex-Regierungschef Dombrovskis erstmal auf der Kandidatenliste der "Vienotība" zur Europawahl - und für die "Frau vom Lande" blieb der Chefposten.

"Komm, rede, und erreiche
etwas" - die Europawahl wirft schon
ihre Schatten voraus und wird in
Lettland als "Testwahl" vor der
Parlamentswahl im Oktober gelten
Ja, die ZZS. Mit 13 von 100 Parlamentssitzen im Hintergrund wurden ihr vor allem Ambitionen auf das Amt des Umweltministers nachgesagt - weniger aus Sorge um die Umwelt, sondern weil dieses Amt gleichzeitig die Zuständigkeit für die Regionen mit sich bringt - und aus einigen Regionen bezieht die ZZS vor allem ihre anhaltende Stärke.Von den knapp 112.000 Stimmen für die ZZS-Liste bei den vergangenen Parlamentswahlen kamen nur 17.000 aus Riga (5,9% der gültigen Stimmen in Riga) - in Vidzeme stehen die "grünen Bauern" mit 12%, Kurzeme 23% und Zemgale 15,8% viel stärker da. Doch allzuviel Regionalmacht, plus dem Geld des Bürgermeisters von Ventspils, graut es auch der neuen Regierungschefin - und so sitzt nun auf dem Umweltstuhl lieber ein Nationalbürokrat namens Einars Cilinskis, während "Vienotība" auch an dieser Stelle lieber Pabriks opferte und der erfahrene  Umweltfachmann Raimond Vejonis nun auf den Stuhl des Verteidigungsministers rotieren durfte. Ein durchaus kompliziertes Rochadespiel.

"Laimdota, nun geh du voran!"- Regierungschefin
Straujuma, zwei Tage vor ihrer Wahl und
Vereidigung, hier noch zusammen mit den
damaligen Ministerkollegen Pabriks und Kozlovskis
Eine andere Schwierigkeit der Regierungsbildung stellt die "Reformpartei" dar. Als "Zatlers Reformpartei" einmal gestartet (Ex-Präsident Zatlers hatte das Parlament aufgelöst und Neuwahlen veranlasst) und 2011 noch mit 22 Abgeordneten ins Parlament eingezogen, fiel ihre Popularität danach so rapide, dass keiner dieser Abgeordneten mit einem Verbleib im Parlament nach den nächsten Wahlen rechnen kann (nur noch 14 rechnen sich gegenwärtig dieser Fraktion zu). Jedoch wirbt "Vienotība" aktiv um einen Parteiübertritt der fähigesten und beliebtesten Politiker dieser Partei - und so musste auch sie recht üppig mit Ministern in der gegenwärtigen (Übergangs-)Regierung versorgt werden: Außenminister bleibt RP-Mitglied Edgars Rinkēvičs, Innenminister Rihards Kozlovskis, und als Wirtschaftsminister wurde der bisherige Bildungsminister Vjačeslavs Dombrovskis eingeschworen, nachdem Parteikollege und Amtsvorgänger Daniel Pavļuts von der neuen Chefin Straujuma noch für inakzeptabel erklärt wurde (denn warum tritt der Regierungschef wegen der Maxima-Kathastrophe zurück, der zuständige Fachminister aber bleibt?).

Also zurück zur angeblichen Merkel-Mentalität. Frau Dr. Laimdota Straujuma. Zunächst einmal ist die ehemalige Landwirtschaftsministerin, mehrfache Ex-Staatssekretärin unter verschiedenen Ministern, und Absolventin der Abteilung für Physik und Mathematik der Lettischen Universität - ähnliches studierte nicht nur die deutsche Angela, sondern auch die lettischen Ex-Premiers Ivars Godmanis, Einars Repše und auch Valdis Dombrovskis. Straujuma ist nun die erste Frau im höchsten lettischen Regierungsamt (erste weibliche Präsidentin war 1999-2007 Vaira Vīķe-Freiberga). In den 90iger Jahren besuchte sie eifrig Weiterbildungskurse in Finnland, USA, Großbritannien und Belgien und half landwirtschaftliche Beratungszentren nach dänischem Muster in Lettland aufzubauen. Ihren Doktortitel erwarb sie 1992 mit einer Arbeit über die Ressourcennutzung lettischer Unternehmen im Fach Ökonomie.
Obwohl sie 1988 auch schon zu den Mitgründer(innen) der inzwischen aufgelösten "Tautas Partija" (Volkspartei) zählte, konnten die lettischen Medien noch Anfang Januar aktuelle Umfragen zitieren, denen zufolge sich 63% aller Lettinnen und Letten sich keine Meinung zu Frau Straujuma zutrauten (siehe NRA 8.1.14 - 22% werteten sie positiv, 15% negativ).

Laimdota Straujuma am Tag ihrer
Amtseinführung vor der lettischen Presse (Foto: LETA)
Die Pressereaktionen auf Laimdota Straujumas Amteinführung wirken ähnlich wie überall, wenn es um Frauen in Führungsämtern geht: geschrieben wurde viel über ihre (neue) Frisur und die dafür verantwortliche Frisierfachfrau. Egils Līcītis, politischer Kommentator der "Latvijas Avize", äußerte seine Befriedigung, dass diesmal gerade nicht ein eben erst dem Gymnasiastendasein entsprungener Regierungschef ins Amt käme, sondern eine lebenserfahrene Person. Ebenfalls die "Latvijas Avize" machte sich die Mühe, alle Staaten aufzuzählen mit einer Frau als gegenwärtigem Regierungschef: neben Deutschland und Lettland auch Bangladesh, Jamaika, Dänemark, Island, Senegal, Slowenien, Thailand, Trinidad und Tobago, Norwegen. "Charismatische Führungsfähigkeiten" habe Straujuma zwar bisher nicht bewiesen, aber das sei ja bei Vorgänger Dombrovskis genauso der Fall gewesen. Gefragt nach ihrer persönlichen Einstellung und dem vielfachen Vergleich mit der deutschen Kanzlerin antwortete Straujuma vor einigen Tagen in der lettischen Presse so: "Lieber noch sehe ich mich in der Tradition einer Tarja Halonen."

2 Kommentare:

Axel Reetz hat gesagt…

Juristisch korrekt ausgedrückt (izvirza) schlagen die Parteien ihre Kandidaten vor und der Präsident (nosauc) nominiert jemanden, wobei er die freie Wahl hat, auch jemanden auszuwählen, der von gar keiner Partei vorgeschlagen worden war wie etwa im Falle von Laimdota Straujuma. Selbstverständlich muß eine Regierung dann vom Parlament(apstiprina) bestätigt werden. Es sollte also nicht der Eindruck entstehen, der Präsident entscheide alleine, wer in Lettland Regierungschef wird.

Axel Reetz hat gesagt…

Ich habe mich selbst mißverständlich ausgedrückt. Die parteilose Landwirtschaftsministerin Laimdota Straujuma ist von der Regierungspartei sehr wohl mehrfach angesprochen worden, ob sie nicht kandidieren wolle. Es heißt sogar, der scheidende Regierungschef selbst habe sie ins Spiel gebracht. Daß Straujuma erst anschließend in die Partei eingetreten ist, werten manche Beobachter als Hinweis darauf, daß sie möglicherweise eigentlich einem anderen Herren dient.