14. September 2014

Frauen in Lettland vorn?

Das Politimagazin „Politikum“ von WDR5 berichtete kürzlich über Lettland. Autor war der häufiger mit deutschen Kollegen für deutsche Sender aktive lettische Journalist Toms Ancītis. Diesmal ging es um den hohen Frauenanteil in Führungspositionen im Land. In der Tat, wer in die Büros staatlicher Verwaltung oder privater Firmen schaut wie auch der Blick in den Hörsaal einer Hochschule, läßt die Vermutung aufkommen, daß es Frauen in Lettland bereits deutlich weiter gebracht haben, als in anderen Ländern. 41% Prozent aller Führungspositionen seien von Frauen besetzt, heißt es im Beitrag. Ursache für dieses auf den ersten Blick überraschende Phänomen seien die Ideen von Marx und Lenin, meinen die Autoren. Und richtig. In einer zwar arbeitsteiligen aber personalintensiven, weil technisch wenig entwickelten Industriegesellschaft war während der Sowjetzeit (aber auch in den anderen befreundeten sozialistischen Staaten wie der DDR) die Berufstätigkeit von Frauen nicht nur ein ideologischer Punkt, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Im Beitrag ist der Sozialantropologe der Stockholm School of Economics und zwischenzeitlicher Bildungsminister, Roberts Ķīlis, mit dem Hinweis zu hören, in Sachen Feminismus sei die Sowjetideologie ausgesprochen fortschrittlich gewesen. Die verordnete Gleichberechtigung habe es zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen, wenn Frauen Traktoren fahren oder in Fabriken körperlich schwere Arbeit verrichten. Die Folge davon sei, so die Autoren, daß Frauen heute diese Gleichberechtigung in Lettland nach wie vor einforderten. Das soll aber nicht heißen, Rollenbilder wären dadurch grundlegend aufgehoben worden. Zwar gibt es unter den Fahrern im öffentlichen Nahverkehr der baltischen Städte in der Tat unglaublich viele Chauffeurinnen, doch interessanterweise fahren sie fast ausschließlich Straßenbahnen und Trolleybusse, selten hingegen dieselbetriebene Busse. Der Beitrag argumentiert weiter zutreffend, die meisten heute bestehenden Firmen – gerade die kleinen und mittleren – seien Gründungen nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991, während die meisten großen Industrieanlagen die Wende nicht überlebten. Gerade mit diesem Ende der Großbetriebe fielen für viele Männer die Arbeitsplätze weg. So waren eben auch oftmals Frauen diejenigen, welche die Initiative für einen Neustart ergriffen. Und woran sich gewiß in einer Gesellschaft, in der es eine Frauenbewegung nie gab, wenig geändert hat, ist, daß die Frauen trotz aller erreichten Positionen meistens in der Mehrfachverantwortung von Beruf, Familie und Haushalt stehen. Nur weil sie mehr Chefposten ergattern, als in anderen Staaten, bedeutet das noch lange nicht, die Männer übernähmen mehr Aufgaben in Haushalt und Familie, wie in anderen Staaten. Und dies vor dem Hintergrund, daß eine Kinderkrippenversorung, wie sie zur Sowjetzeit normal war, heute nicht mehr gegeben ist. Der Beitrag läßt auch einen anderen Umstand nicht außer Acht. Ab dem Alter von dreißig gibt es in Lettland einfach mehr Frauen als Männer, weil diese früher stürben angesichts einer riskanteren Lebensführung. Das ist zutreffend. Während diese Beobachtung noch auf alle postsozialistischen Staaten zutrifft, bemüht Ķīlis die Geschichte. Bereits im 19. Jahrhundert sei es in den baltischen Ländern normal gewesen, daß Frauen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft übernehmen. Indiz dafür sei die geringe Geburtenrate dieser Zeit. Dennoch gibt es die gläserne Decke gibt es sicher auch in Lettland, wenn auch die seit Januar regierende Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma neben Parlamentssprecherin Solvita Aboltiņa und Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga auf den ersten Blick etwas anderes vermuten lassen könnten.

7. September 2014

Maijdan in Riga?

Die Sprache ist in Lettland wieder einmal Stein des Anstoßes. Es kommt nicht selten vor, daß Letten davon berichten, wie Russen zur Sowjetzeit gesagt haben, sie würden diese „Hundesprache“ nicht lernen. Mehr als 20 Jahre nach der Unabhängigkeit darf man wiederum behaupten, daß junge Russen eher sehr gut Lettisch sprechen, als junge Letten Russisch. Das wenigstens ist die Erfahrung eines Dozenten unter seinen Studenten. Seit der 2004 in Kraft getretenen Bildungsreform wurden stufenweise auch an russischen Schulen die Fächer in der einzigen offiziellen Landessprache Lettisch unterrichtet – bis zu 60%.

Im April dieses Jahres haben lettische Russen unter anderem vor dem Büro des Ombudmannes demonstriert, der die Rechte der Minderheiten nicht verteidige, denn im Gespräch ist nunmehr eine Fortsetzung der Reform, die letztlich auf einen vollständigen Unterricht in der Landessprache abzielt. Die Proteste kamen insofern verfrüht, als es sich nur um Pläne handelte. Entsprechende Gesetzentwürfe sollten erst im Oktober eingebracht werden, also nach der nächsten Parlamentswahl. Ergänzend sei hier erwähnt, daß unter den politischen Umständen der Sowjetzeit zwar ale Einwohner Lettlands Russisch konnten, was im Alltag oft unabdingbar war, viele zugewanderte Menschen aus anderen Sowjetrepubliken sich aber weigerten, die Sprache der örtlichen Republik zu erlernen. Insofern stand der junge lettische Staat 1991 vor der Frage, wie dieses Problem behoben werden kann.

Die Tragik der Proteste lag freilich darin, daß sie gleichzeitig mit den Demonstrationen auf dem Majdan in Kiew stattfanden. Und so äußerte sich der Chef der Organisation zur Verteidigung der russischen Schulen, Jakow Pliner auch deutlich, man wolle in Riga kein Maidan organisieren, sondern es gehe allein um die Bildungspolitik. Diese Äußerung wird in einem Artikel des lettischen Nachrichtenmagazins „ir“ konterkariert, welches einen Demonstrationszug nahe dem Pulverturm in der Altstadt von Riga zeigt, der als Banner vor sich her vermummte Demonstranten zeigt, unter die ein Bild der Bildungsministerin Ina Druviete montiert wurde. Dazu die Losung: „Valoda līdz Kievai novedīs“. (Die Sprache führt uns bis nach Kiew). Die gleichen Organisatoren hatten zusammen mit dem Nichtbürgerkongreß, einer Vertretung der in Lettland lebenden Menschen, welche über die Staatsbürgerschaft nicht verfügen – zumeist natürlich Russen, vor dem Bildungsministerium demonstriert. An diesem Tag wurde auch das erwähnte Bild am gerade gegenüber des Ministeriums gelegenen Pulverturms aufgenommen.

Die Demonstraten fordern, die Unterrichtssprache einer jeden Schule zu überlassen. Die Vorsitzende des Nichtbürgerkogresses, Elisabeth Kriwcowa, erläutert, daß man nicht unbedingt die gleichen Ziele habe. Einige gäben sich auch bereits damit zufrieden, wenn alles bei der derzeitigen Regelung bliebe. Beide Organisationen sind außerdem eng verbunden mit politischen Kräften. Während der Nichtbürgerkongreß mit dem Harmoniezentrum zusammenarbeit, der vorwiegend die russische Minderheit vertretenden größten Oppositionspartei im nationalen Parlament Saeima, ist Pliner eher Verbunden mit Tatjana Schdanok, die als Abgeordnete in Brüssel die Russische Vereinigung in Lettland vertritt, welche aus der einstmals auch im lettischen Parlament vertretenen Partei Für die Rechte des Menschen in einem integrierten Lettland hervorgegangen ist. Hinter ihr stehen auch kleine, aber radikalere Kräfte in Lettland, die etwa die Annexion der Krim durch Rußland befürwortet haben. Pliner wiederum distanziert sich von der Vermutung, die Aktionen hätten etwas mit dem Wahlkampf für die Parlamentswahlen 2014 im Oktober zu tun.

Während Pliner zugibt, daß unter 200 Demonstraten gerade einmal knapp zehn Lehrer gewesen seien – man habe auch vorwiegend Schulrektoren angesprochen – betont Bildungsministerin Druviete, daß man im Grunde nur den im Bildungssystem seit 1992 beschrittenen Weg der Reformen fortsetze. Wegen des Bezugs auf die Krim und die Ereignisse in der Ukraine erklärt Druviete, die Reform sei ja nichts Neues, sie wolle da keinen Zusammenhang herstellen, doch man müsse vorgehen gegen Pläne anderer politischer Kräfte, Lettland zu einem bilingualen Staat zu machen.. Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma hält sich ihrerseits zurück. Egal um welche Reformen es gehe, alles müsse an einer integrierten Gesellschaft orientiert sein.

6. September 2014

Aufarbeitung der KGB-Akten

Čekisti kommt im Lettischen von der russischen Abkürzung für den Geheimdienst, der übrigens während der Sowjetzeit seinen Namen mehrfach änderte: ЧК, oder eben auch ČK in lateinischer Transkription. Selbstverständlich haben die Letten nicht weniger aufzuarbeiten als die Deutschen, was die Verbrechen des Geheimdienstes der kommunistischen Diktatur betrifft.

Doch es gibt gleich mehrere wesentliche Unterschiede: Erstens war die DDR ein selbstständiges Land, während die Letten nur eine Sowjetrepublik hatten, und der Geheimdienst vor Ort daher nur eine Moskau untergeordnete Abteilung. Zweitens hatte Lettland keinen großen Bruder, mit dem es sich vereinigt hat, der sowohl großen Wert auf die Aufarbeitung gelegt hat, als auch die logistischen Mittel zur Verfügung stellen konnte. So entstand nach der deutschen Einheit eine Behörde, die in der Presse jeweils den saloppen Namen ihrer Leiters Trug, Gauck, Birthler, Jahn.

Lettland tut sich aber nicht nur aus diesen Gründen ungleich schwerer. Im Gegenteil zu Estland, dessen tabula rasa Politik die politische Elite mit der ersten freien Wahl von 1992 quasi hinwegfegte, ergab sich in Lettland eine Zusammenarbeit zwischen den Moderaten ehemaligen Kommunisten und den moderaten Befürwortern der Unabhängigkeit, der Volksfront. Viele ehemalige Funktionäre konnten ihre politische Karriere damit in die neuen Zeiten retten. Einer der bekanntesten von ihnen ist der Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, der dieses Amt bereits 1988 angetreten und noch immer innehat. Das bedeutet natürlich nicht, in Lettland gäbe es in der Gesellschaft und auch unter Vertretern der politischen Elite nicht Kräfte, welche die Information über das damalige Spitzelsystem zu den Akten legen wollten. Seit Jahren wird darüber gestritten. In Lettland spricht man von den „Sächen der Čekisten“, über deren weiteres Schicksal dieses Frühjahr das Parlament entgültig entschieden hat. Bis 2017 sollen die Materialen von Wissenschaftler wissenschaftlich untersucht werden und danach der Öffentlichkeit zugänglich sein. Im Gegenteil zu Deutschland allerdings nach strengen Vorschriften von Seiten des Staates. Und das ist wiederum abhängig von den Forschungsergebnissen, wer forscht in welchem Umfang und wie wird über den zu publizierenden Anteil entschieden.

Damit besteht die Gefahr, daß sich in den nächsten drei Jahren am Status Quo der Unsicherheit, was mit den Akten geschieht, nichts ändert. Freilich ist diese Lösung auch wieder nur ein Kompromiß. Das oppositionelle Harmoniezentrum, das im wesentlichen als Russenpartei gilt, war mit der Idee gekommen, man sollte die Akten ganz einfach vernichten und damit den Aktendeckel schließen. In die Zukunft schauen sei wichtiger als in die Vergangenheit. Die an der Regierung beteiligten Nationalisten von Für Vaterland und Freiheit / Alles für Lettland! stehen für eine rücksichtslose komplette Veröffentlichung. Der Aufklärer, der Liberale und selbstverständlich der Geschichtsinteressierte mögen letzteren Vorschlag für vernünftig und logisch halten und den vermeintlichen Russen eine „Schwamm-drüber-Mentalität“ vorwerfen wollen. Das Problem liegt aber tiefer. Wie bereits erwähnt, der KGB in Lettland war ja nur ein Teil der Maschinerie aus Moskau. Die in Lettland vorliegenden Akten sind eigentlich nur eine Kartothek mit Namen, Decknamen – und das war’s. Was die einzelnen Agenten tatsächlich gemacht haben, ihre Berichte, befinden sich in Moskau. Und Rußland wird diese Informationen kaum herausgeben. Anhand der Kartothek läßt sich also nicht ermitteln, wer wem eventuell welchen Schaden zugefügt hat. Darüber hinaus enthält die in Lettland verbliebene Kartothek sowieso nur 4.000 von vermutlich 25.000 was man in Deutschland „IM“ nennen würde.

Manche Namen und Nachnamen inklusive Geburtsdatum sind identisch mit jenen weiterer lebender Personen, was in Lettland angesichts von sehr häufig auftauchenden Namen nichts besonderes ist. Ein deutsches Presseerzeugnis glaubte ja bei der Wahl Andris Bērziņš zum Prsäidenten 2011 auch, es handele sich um den ehemaligen Ministerpräsidenten. Aber weit gefehlt. Wer ins Land nach Ieva Bērziņa rufen würde, bekäme auch mehr als nur ein Ja zu hören. Der Leiter des Auslandsnachrichtendienstes (Büro zum Schutze der Verfassung / Satversmes Aizsardzības Birojas), Jānis Maizītis, gemaht deshalb zur Vorsicht und ist nicht der einzige hochrangige Vertreter, der eine generelle Veröffentlichung aus den genannten Gründen für falsch hält. Er erinnert an mindestens einen Fall, wo ein Mensch in der Kartothek ohne sein eigenes Wissen landete. Ex-President Valdis Zatlers, derzeit Vorsitzender des Ausschusses der Nationalen Sicherheit fügt hinzu, daß all jene, deren Namen sich in der Kartothek befänden, ganz freiwillig auf Kandidaturen für öffentliche Ämter oder die Arbeit im Staatsdienst verzichteten. Ein geltendes entsprechendes Verbot ist auch im neuen Gesetz nicht gestrichen worden.

4. September 2014

Brücken bauen, oder hatten wir die schon?

Es gibt auch einmal etwas Triviales zu berichten. In Riga bekommen Brücken jetzt Namen. Nein, nein, es geht nicht um eine Umbenennung bereits benannter Verkehrswege. Seit vielen Jahren heißt die Brück an der Freiheitsstraße im Volksmund Luftbrücke. Das hat nichts mit Berlin zu tun, sondern 1906 wurde diese Überführung als erste ihrer Art gebaut, die kein Gewäasser überqzert, darum eben Gaisa Tilts. Das soll jetzt nun offiziell werden. Die Brücke an der Kalnciema über den Bahndamm ans Meer soll eben auch so heißen, wie auch die Brücke neben der Bahnstation Brasa und diejenige neben dem Bahnhof Zemitani.