27. November 2014

Der Twitterer des Monats

Weniger negativ als erwartet - so beschreibt Edgars Rinkēvičs, lettischer Außenminister und Mitglied der Regierungspartei "Vienotība", sei die Reaktion der lettischen Öffentlichkeit auf sein  Bekenntnis schwul zu sein. So berichtet es der Politiker nun in einem Interview für die "Washington Post".

Lettlands Twitterer des Monats
Seine Entscheidung eines öffentlichen Statements sei langsam gereift, ließ Rinkēvičs sich zitieren. Schließlich habe es in Fragen von Partnerschaften bereits einiges in Lettland getan, verglichen mit der Situation vor 10 oder 20 Jahren, meint er, und er sei es leid gewesen immer auf Fragen nach einer Frau an seiner Seite vorbereitet sein zu müssen. Die Reaktionen auf seine Twitternachricht seien aber im Schnitt positiver gewesen, als er sich das am Abend des 6.November habe vorstellen können. Einige unterstützende Stellungnahmen seien es gewesen, natürlich auch Kritik, vereinzelte hysterische Reaktionen - im Durchschnitt aber ausgewogen. "Solange du deinen Job gut machst ist uns völlig egal, was in deinem Privatleben ist," - diesen Satz habe er am häufigsten gehört. Inzwischen sei das Aufsehen abgeebbt und die Außenpolitik stehe nun wieder im Vordergrund.

Eine offenere Gesellschaft, das sei eben nicht im Laufe von wenigen Jahren zu erwarten, so Rinkēvičs. Bei seinem Entschluß in die Politik zu gehen habe sein Schwulsein aber nie eine Rolle gespielt. In Lettland gäbe es noch Krankenhäuser, wo Ärzte keinerlei Informationen an Lebenspartner weitergeben dürfen, die nicht miteinander verheiratet sind. Ähnliches passiere vor Gericht und in Eigentumsfragen. Und die lettischer Verfassung sehe eine Ehe nur zwischen Mann und Frau vor, und eine Mehrheit im Parlament, daran etwas zu ändern, sehe er nicht, meinte Rinkēvičs.

Edgars Rinkēvičs hatte Politikwissenschaften in den Niederlanden und den USA studiert und auch als Journalist gearbeitet, bevor er 1995 bis 2008 zunächst im lettischen Verteidigungsministerium in verschiedenen Positionen arbeitete, und bis zu seiner Ernennung als Außenminister 2011 die Kanzlei des lettischen Präsidenten leitete. Als er am 6.November per Twitternachricht 'lepns būt gejs' postete ("stolz schwul zu sein"),  wurde er zum ersten lettischen Politiker, der sich zu seinem Schwulsein öffentlich bekannte. Bei den Parlamentswahlen am 4.Oktober 2014 hatte er im Wahlbezirk Riga auf der Liste seiner Partei die meisten Wählerstimmen aller Kandidaten bekommen.

Wenn man lettische Internetforen liest, so lassen sich auch Stimmen finden die meinen, Rinkēvičs' Karriere sei mit diesem Aufsehen erregenden Statement beendet. Auch die öffentlichen Demonstrationen des "Baltic Pride" waren in Riga bisher stets von agressiven Gegendemonstrationen begleitet; in der Weltsicht solcher "Schwulenhasser" werden dann Schwule und Lesben gleichgestellt mit Alkohol- und Drogenabhängigen, genetisch veränderten Lebensmitteln und allerlei anderem "Übel der modernen Welt". 
Auch aus dem Nachbarland Russland war ein Kommentar des stellvertretenden russischen Außenministers Dmitry Rogozin zu lesen, der das Bekenntnis des lettischen Ministers so kommentierte: "Wenn Du nichts hast worauf du stolz sein kannst, dann kannst du auch auf sowas stolz sein."
Gerade eben ist jedoch die Regierungsbildung des 2.Kabinetts unter Laimdota Straujuma abgeschlossen, und zumindest bis zum Abschluß der lettischen EU-Ratspräsidentschaft haben alle Beteiligten zugesagt, stabil zusammenzustehen. Eine Frist auch vielleicht für die innere, persönliche Stabilisierung, die der lettische Außenminister sicher noch brauchen wird.

26. November 2014

Neues aus der Altstadt

An neue Anblicke in der Altstadt Rigas - im Jahr 2014 Europäische Kulturhauptstadt - müssen sich Einwohner wie Gäste in Zukunft gewöhnen. Die Pläne zur Auffüllung von Baulücken stossen jedoch nicht bei allen auf Wohlgefallen.

Im Mai 2012 wurde Gvido Princis zum Rigaer Stadtarchitekten ernannt. Bei seiner Ernennung, bei der er sich gegen Konkurrenten durchsetzen musste, galt er als unumstritten. Gleichzeitig gilt er als erfolgreicher, aber unabhängiger Kopf. Als im Jahr 2008 Pēteris Strancis, Chef der Stadtplanungsbehörde, und Vilnis Štrams, Chef der Stadtentwicklungsabteilung, vom lettischen Anti-Korruptionsbüro (Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs - KNAB) verhaftet wurden, rückte Princis auf die Position des Chefstadtplaners vor.
2006 hatte ein Korruptionsskandal auch die staatliche Denkmalschutzbehörde erschüttert, als deren Chef Jānis Lejnieks angeklagt wurde, sich seine Zustimmung zu Bauprojekten auch schon mal gegen Zahlung von Geld habe erkaufen lassen (siehe TVNet 6.3.2006).Nun steht also Princis mit seinem Namen für die Stadtentwicklung.

So könnte schon bald der Platz zwischen Schwarzhäupterhaus und
Mentzendorff-Haus in Riga aussehen
Für manche der laufenden Bauprojekte in Riga sind öffentliche Anhörungen vorgesehen, es können Eingaben eingereicht werden. Zwei Hotelbauten in direkter Nachbarschaft zum berühmten und erst 2001 neu aufgebauten Schwarzhäupterhaus erzeugen derzeit die heftigsten Reaktionen in der lettischen Öffentlichkeit.  Manche fühlen sich dabei an "alte Zeiten" erinnert - wie der Ex-Chef des KNAB, Aleksejs Loskutovs, der zu möglichst großer Beteiligung und zu Eingaben gegen die Pläne aufruft.
weniger auffällig: der zweite geplante Neubau an der Kungu iela 5
(Abb.: Agenturbüro MARK)
Während noch immer über einen möglichen Anbau des Okkupations-museums diskutiert wird, andere sogar die Gebäude der Technischen Universität in der Altstadt unpassend finden - da haben offenbar mal wieder einige "Business"-Projekte höhere Priorität.

Vor allem die Fassade des Hotelneubaus an der Grēcinieku ielā 25 ruft Ablehnung hervor. Sieben Stockwerke Hotel, mitten zwischen einigen der wertvollsten und ältesten Bauten Rigas? Während eine frühere Planung aus dem Jahr 2007, hier ein Wohnhaus mit Läden errichten zu lassen keine öffentliche Anhörung erfordert hätte, wird vor allem diese jetzt zum Hindernis. Der neue Eigentümer, ein litauisches Unternehmen, will ein Hotel bauen lassen. Vor allem zum Aussehen der geplanten Fassade gibt es negative Reaktionen. Autor der Bauskizzen ist Andris Kronbergs und das Büro "Arhis". Derselbe Kronbergs sitzt auch dem Beirat vor, der über den Schutz der historischen Altstadt wachen soll und sämtlichen Bauprojekten seinen Segen geben muss. An der entscheidenden Sitzung des Beirats im August, als die Pläne vorgelegt wurden, nahm Kronbergs teil - enthielt sich aber der Stimme.

Jānis Krastiņš, einer der bekanntesten Architekten Rigas und Autor mehrerer Bücher über die Architekturgeschichte der Hauptstadt weist darauf hin, dass an dieser Stelle die Stadt noch immer Kriegswunden aufweise. "Vor dem Krieg war die Grēcinieku iela doch ebenfalls an beiden Seiten bebaut, bis runter zum Daugava-Ufer. Das sollte auch wiederhergestellt werden," meint er.
Skizzen und Entwürfe zur Bauplanung an der
Grēcinieku ielā 25 (Abb.: Büro ARHIS)
Loskutovs dagegen, inzwischen für die Partei "Vienotiba" Parlamentsabgeordneter und daher in Opposition zur „Saskaņa“ des regierenden Bürgermeisters Ušakovs, hofft auf engagierte Bürgerinnen und Bürger. Für den Fall, dass sich die Stadt Riga entgegen der öffentlichen Meinung doch für die momentan vorliegenden Entwürfe entscheiden sollte, hofft er auf entsprechende Reaktionen bei den nächsten Kommunalwahlen.

Seit 1997 die historische Altstadt Rigas in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde, wurden auch besondere Schutzvorschriften erlassen (seit 2003 rechtskräftig). Der Druck, aus ökonomischen Gründen alte Gebäude abzureißen und lieber neue zu bauen ist groß. Die seit 2006 vorliegende Detailplanung für die Innenstadt sieht zum Beispiel vor, den Livenplatz, Domplatz und Schützenplatz (Strēnieku laukums, rund um das Denkmal der "Roten Schützen") unbebaut zu belassen.

Am 20.Oktober endete die Einspruchsfrist zu den Bauplänen. Vor allem zum Projekt Grēcinieku ielā 25 gibt es Einwände: zu groß, zu massiv, zu hässlich. Angeblich sind die Bauherren zu Änderungen bereit. Eines ist bereits sicher: die zukünftigen Betreiber werden den Weg zu ihren Objekten mit ziemlicher Sicherheit über die Grēcinieku iela nehmen müssen: Deutsch bedeutet die Bezeichnung "Straße der Sünder".