4. Mai 2015

Vor 70 und vor 25 Jahren ...

Eigentlich ziemlich ideal, Lettland Anfang Mai kennenzulernen. Wo doch in vielen Darstellungen deutscher Diplomaten verzeichnet steht, die lettisch-deutschen Beziehungen hätten am 28.August 1991 begonnen (siehe Auswärtiges Amt). Aus Sicht der Diplomaten und Politiker ist das auch korrekt - nur spart es wieder mal eine Darstellung der schwierigen Phasen deutsch-lettischer Kontakte aus. Lettland feiert mit Recht den 4.Mai 1990 - als eine Mehrheit der Abgeordneten des damaligen Delegierten des Obersten Sowjets in Lettland sich für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Landes aussprach. 138 von 201 Sitzen hatten bei den Wahlen am 18.März Kandidaten der lettischen Volksfront gewonnen, die der lettischen Unabhängigkeitsbewegung nahestand.

Suche nach Symbolik in schwierigen Zeiten: die einen ...
Die Aufnahmen des lettischen Fernsehens von den Delegierten, die beim Verlassen des Parlaments nach der Abstimmung von einer jubelnden Menschenmenge draußen begrüßt wurden, sind allen Lettinnen und Letten immer noch vor Augen und stellen wohl am meisten genau denjenigen Moment dar, wo das Gefühl des entscheidenden Umschwungs am präsentesten war.
Übrigens erklärte sich auch Russland am 12.Juni 1990 für souverän.

Eine detaillierte Beschreibung des Umgangs damals regierender deutscher Spitzenpolitiker mit führenden Aktivisten der lettischen Unabhängigkeitsbewegung ist noch nicht veröffentlicht - es wird nur wenig rühmliches erzählt werden können. Aber zumindest könnten wir ja HEUTE mit dem EU-Mitgliedsland und seinen wichtigen Momenten respektvoller umgehen und den 4.Mai nicht verschweigen.

... und die anderen. Vielleicht sollte eher den Millionen
von Weltkriegs-Opfern gedacht werden als den angeblichen
Helden? 
Ohnehin ist der Maibeginn für die lettische Politik kompliziert genug. Allzu nahe liegt eben, wie jedes Jahr, der Jahrestag des Kriegsendes - aus russischer Sicht der Tag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg (gegen den Faschismus). In Zeiten der Sanktionen gegen Russland scheint es nicht mehr genug, bei der großen Parade auf dem Roten Platz zu fehlen. Dies vom Präsidenten Lettlands zu erwarten, wirkt offenbar eh sinnlos - er wird nicht mehr kandidieren und sehr bald von jemand anderes oder anderem nachgefolgt werden.
Das lettische Außenministerium klärt auf: am 9.Mai werden wir den Beitritt unseres Landes zur Europäischen Union feiern (siehe Presseerklärung). Sri Lanka, Malawi und Guinea Bissau sollen an diesem Tag im Fokus stehen - mit diesen unterhält Lettland Projekte der Entwicklungshilfe. In Riga werden die Botschaften der Länder Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Litauen und Schweden einen Tag der offenen Tür anbieten. Der Satz "Dies wird eine einzigartige Möglichkeit sein das Gebiet anderer Staaten zu betreten, ohne Lettland zu verlassen" klingt fast wie Ironie auf den Wunschtraum lettischer Politiker angesichts Zehntausender Arbeitsemigranten, die auf der Suche nach angemessen bezahlter Arbeit Lettland jedes Jahr TATSÄCHLICH verlassen.

Wer's genießen kann:der Mai kann so schön sein,
auch in Riga ...
Was sonst noch an diesem Tag in Lettland und besonders Riga passiert, davon erzählt das Außenministerium nichts. Es ist ja nur regelmäßig eine der größten Zusammenkünfte von in Lettland lebenden Russen, drüben, auf der anderen Seite der Daugava, am "Siegesdenkmal". Wohl gibt es Überlegungen, diesen Platz irgendwann einmal den "wirklichen Siegen Lettlands" zu widmen (bisher ist es wie eine Art "Platz der erneuten Okkupation"), aber an den Tausenden vorbei, die diesen Tag genau hier jedes Jahr feierlich begehen, wird das kaum sehr schnell durchsetzbar sein.

Bleibt wohl als Wunsch festzustellen, dass sich die Opponenten nicht nur in ihre eigene Ecke "verbeißen" - so nach dem Motto "Wir haben ja schon immer gewußt wie schlimm die anderen sind." Während einige sich am nun wieder an einer scheinbar "bewiesenen" Hinterhältigkeit und Böswilligkeit des Regimes Putin orientieren, halten andere immer noch an dem Satz fest "Ich bin hier geboren und deshalb fühle ich mich diskriminiert" (weil man Lettisch lernen und eine Staatsbürgerschaft beantragen muss).

Das lettische Außenministerium, nochmals sei es zitiert, bemüht sich derweil, möglichen Vorwürfen von Seiten Putin zuvorzukommen. Per offizielle Stellungsnahme warnt man sogar vor einzelnen Beiträgen in kleineren Internetportalen - offenbar nach dem Motto: alles, was in lettischer Sprache verbreitet wird, könnte auch gegen uns verwendet werden. "Zehn positive Dinge die der Nationalsozialismus erreicht hat" verspricht ein namentlich nicht gekennzeichneter Beitrag im Portal "Skats.lv". Wer hier Sensationen sucht wird allerdings enttäuscht - große Fotos, wenig Inhalt. Neben dem allseits bekannten Autobahnbau werden hier ein damals geschaffenes Jagdgesetz, Rauchverbot für die Jugend, und der Volkswagen entdeckt. Daneben dann drei bekannte Persönlichkeiten, die wegen ihrer Nähe zu den Nazis ja kaum als "positiv" gelten können, und deren Zwielichtigkeit in Deutschland zu genüge bekannt ist: Raketen- und Raumfahrtpionier Wernher von Braun, Filmregisseurin Leni Riefenstahl und die Sportschuh-Fabrikanten der Familie Dassler.
Im Gegensatz zu lettischen Persönlichkeiten gilt hier eben nicht: positiv, weil weltberühmt. Illustriert mit einem Foto einer Hinrichtung werden dann noch angebliche Fortschritte in der Medizin behauptet - da kann man wohl nur antworten: was Du nicht willst das man Dir tue, das füge keinem anderen zu. Mit Recht hat sich Westeuropa nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" verstärkt auch um die Verbrechen des Stalinismus gekümmert - und wer hier dann ein paar Krümel "Positives" heraussucht, stellt sich zumindest auf dieselbe Stufe wie diejenigen, die den Untergang der Sowjetunion als "größte Katastrophe des Jahrhunderts" hinstellen möchten.

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