14. November 2015

Air Baltic - frische Luft aus Germanien?

Das Luftfahrgeschäft zeigte sich schon häufiger als Business verwinkelter Wege. Für Außenstehende schwer durchschaubar gehen die einen bankrott und werden unter neuem Namen gegründet, andere suchen ständig neue Investoren, die dann wieder ihre Möglichkeiten erweitern wollen, ordentlich Geld abzuschöpfen aus der vermeintlich günstigen Geldanlage. Um Verkehrsmittel, Verkehrswege und bequemes, angenehmes Reisen scheint es oft gar nicht mehr zu gehen. Und wenn dann noch politische Erruptionen dazu kommen, ist es noch schwieriger zu durchschauen.

Die Girmes-Kirmes
Es gibt also angeblich einen neuen Investor bei AIR BALTIC: den deutschen Geschäftsmann Ralf Dieter Montag-Girmes. Das ist erstaunlich, hatte doch gerade AIR BALTIC mit Berthold Flick erst vor wenigen Jahren ebenfalls einen deutschen Investor, der es scheinbar so bunt trieb, dass die lettische Regierung Jahre brauchte, um ihn erstens loszuwerden und zweitens Gerichtsprozesse in diesem Zusammenhang abzuwenden (siehe Blog). Immerhin war diese offenbar etwas überraschende Entwicklung (manche rechneten eher mit dem Einstieg chinesischer Investoren) Grund genug für die lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma, den bisher amtierenden Verkehrsminister Anrijs Matiss wegen dieser Vorgänge zu entlassen (Verkehrsrundschau). Der Übernahme von Anteilen durch Montag-Girmes stimmte die lettische Regierung aber - nachdem am 3.11. vier Stunden lang hinter verschlossenen Türen diskutiert worden war - zu. 52 Millionen Euro soll M-G angeblich dafür bezahlen, um 20% Anteile zu erhalten. Weitere 80 Millionen will die lettische Seite dazutun, um mit diesem Geld dann unter anderem in die Erneuerung der Flotte zu stecken.

Die Karikaturisten haben sich längst
daran gewöhnt: der lettische Storch
füttert fremde Vögel ...

(Zeichnung: Gatis Šļūka)
Gegenwärtig bedient die Airline von Riga aus 60 Destinationen. Eigenen Angaben zufolge beschäftigt AIR BALTIC 1200 Mitarbeiter. Gegenwärtig werden Flugzeuge vom Typ Boing 737 und Bombardier Q400 Turboprop eingesetzt. 13 weitere Flugzeuge des Typs "Bombardier CS300" habe der lettische Carrier nun bereits bestellt, der Liefertermin sei auf Ende 2016 terminiert.

Investor als Vertreter russischer Interessen? 
In der lettischen Presse sind nun aber Spekulationen zu lesen - und damit zurück zu den möglichen politischen Auswirkungen - der Einstieg von Montag-Girmes könne auch bedeuten, statt Bombardier nun Maschinen des russischen Typs "Sukhoi SuperJet-100" anschaffen zu wollen, eine Herstellerfirma, die auch Jagdflugzeuge für die russische Armee herstellt. In einem Geschäftsplan, ausgelegt auf die kommenden fünf Jahre bis 2021, soll dies angeblich so festgelegt sein. Die zusätzlichen 80 Millionen aus der lettischen Staatskasse dagegen sollen teils als Teilzahlung an Bombardier für die bereits erworbenen 11 Maschinen dienen (45 Millionen), teils zur Deckung von Leasingkosten von bereits eingesetzten Maschinen (20 Mill.), und der Rest für laufende Unterhaltskosten (15 Mill.). Angeblich habe sich M-G das Recht vertraglich vorbehalten, bei jedem Ankauf oder Leasing von Flugzeugen in Zukunft ein Alternativangebot unterbreiten zu dürfen, und im Aktionärsvertrag festschreiben zu lassen den Zuschlag zu bekommen, falls sein Angebot das günstigste ist. Falls dies nicht geschehe, wolle sich M-G ein Vetorecht festschreiben lassen.
Eine Entscheidung zum Ankauf neuer Maschinen sei aber bis jetzt noch nicht getroffen, behauptet bisher auch AIR-BALTIC-Chef Martin Gauss (Finance-net). Sie sei aber nötig, denn ein Großteil der gegenwärtig im Einsatz befindlichen Flotte sei 20 Jahre alt und älter.

Ex-Verkehrsminister Anrijs Matīss bestätigte ebenfalls, dass Aktionärsverträge noch gar nicht unterschrieben seien. Es sei aber Sache des Unternehmens, nicht des Staates, über die eingesetzten Maschinen zu entscheiden. Auch gibt es Gegenmeinungen, die der Behauptung widersprechen, Montag-Girmes arbeitete nur mit russischen Flugzeugherstellern zusammen. "Es liegen allerlei Gerüchte in der Luft", sagt man ja so schön - in diesem Fall ist es das Thema "baltische Luft", die sie erzeugen. Ins Spiel kommt dabei auch die Möglichkeit, Flugzeuge zu leasen statt zu kaufen: zum Beispiel durch die seit etwa einem Jahr in Lettland registrierte Firma "Aircraft Leasing 1", eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung übrigens. Deren Inhaber besteht nur aus einer einzigen Person: Ralf Dieter Montag-Girmes. Das Grundkapitel dieser GmbH bestehe nur aus 25.000 Euro, so lettische Presseberichte. Die einzigen "Aktiva", die diese Firma im Fall von Geschäften mit größeren Umfängen aufzuweisen habe, seien dann möglicherweise ... die AIR-BALTIC-Anteile. Keine guten Sicherheiten für den lettischen Staat, falls irgend etwas an dem Geschäft schiefläuft.

Bahn oder Flug, Herr Minister?
Vorerst gibt es einen Aufschub bis zum 17.November - dann will die lettische Regierung über ihre Vorgehensweise entscheiden.
Die Entlassung von Verkehrsminister Matīss soll, verschiedenen Medienberichten zufolge, nicht so sehr mit dem Flugverkehr zu tun haben, sondern mehr mit der lettischen Eisenbahn (Latvijas Dzelscelš LDz). Nachdem den dortigen Korruptionsskandalen und die Entmachtung des LDz-Chef Magonis (siehe Blog) soll Matīss auf den dort frei werdenden Posten spekuliert haben. Regierungschefin Straujuma solle von diesen Wünschen gewußt haben, aber schon aus formalen Gründen andere Lösungen gesucht haben: ihrer Meinung nach solle ein amtierender Minister sich nach seiner Amtszeit mindestens zwei Jahre Zeit lassen um in ein Spitzenamt der Wirtschaft zu wechseln ("Ir").

Maschinen austauschbar?
Auch der Spitzenposten des gegenwärtigen AIR-BALTIC-Geschäftsführers Martin Gauss, ein ausgebildeter Pilot, Ex-Geschäftsführer der Deutschen BA, vor vier Jahren ins Amt berufen, steht unter einem Fragezeichen. Gauss war bis 2011 für die ungarische Fluggesellschaft Malev tätig; auch dort ging es damals um Beteiligung von russischer Seite, um die Fluggesellschaft vor der Pleite zu retten - 2012 kam für Malev das endgültige Aus. Interessant vielleicht auch, dass es damals bei Malev ebenfalls um den potentiellen Ankauf von Flugzeugen des Typs "Suchoi" ging - auch bei MALEV hatte der Staat zwar formell die Anteilsmehrheit, das Geschehen wurde aber von russischen Investoren im Hintergrund bestimmt.
"Bitte, spenden Sie für ein neues Flugzeug!"
Diese Lösungsvariante wird wohl der Traum
des Karikaturisten bleiben
(Zeichnung: Gatis Šļūka)
Schon 2012 sagte Gauss auf die Frage, ob die Maßnahmen zur Kostenersparnis bei AIR BALTIC schon ein Ergebnis bringen würden: "Allerdings passt bis heute die Kostenbasis nicht zum Modell, das wir fliegen. Speziell langfristige Themen wie Leasingverträge werden gerade neu- oder nachverhandelt. Wir liegen hier zum Teil weit über den marktüblichen Leasingraten. Das ist der größte Einzelposten, aber zugleich auch der, der am einfachsten zu beheben ist." (siehe "airliners.de", ähnlich auch "Handelsblatt")
Bisher galt Gauss als Erfolgsgarant bei AIR BALTIC - 2014 hatte die Airline zwar einen leichten Rückgang beim Umsatz zu verzeichnen, aber einen erheblichen Anstieg beim Gewinn nach Steuern.

Ein besonderes Schlaglicht wirft auch das Aus für die "Estonian Air" in der vergangenen Woche auf die Ereignisse. Dort habe der Staat Geld bereitgestellt, ohne Investoren zu haben - und das widerspreche den EU-Regularien. Nachdem auch Litauen keine eigene Airline mehr betreibt, hofft AIR BALTIC natürlich darauf, als "Baltikum-Regionalcarrier" angesehen zu werden.
Eines ist vorerst sicher: das letzte Kapitel in der Geschichte der AIR BALTIC ist noch nicht geschrieben - vielleicht gibt es schon in ein paar Tagen neue Wendungen.

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