3. Juli 2016

Langer Sommer, kurzes Jahr

Wenn in Lettland die Zeit der Mitsommerfeiern gekommen sind, liegen bei den Jüngeren die Gedanken an Schule und Prüfungen längst weit zurück - während in Deutschland zumeist der Ferienbeginn noch auf sich warten lässt. Mit insgesamt 17 Wochen pro Jahr - die Staatsfeiertage nicht eingerechnet - und 13 Wochen im Sommer am Stück, nahezu der gesamte Juni, Juli und August haben die Schulkinder Lettlands bisher die längsten Ferien in ganz Europa. Erst am 1.September treffen sich Schüler und Lehrer wieder, und feiern den Schulanfang in der Regel laut und fröhlich.

Zu lange Ferien?
Aber dieses sommerliche schulfreie Paradies ist wieder einmal in der Diskussion. Kārlis Šadurskis, seit Februar 2016 ins Amt als Bildungsminister zurückgekehrt (er war es zwischen 2002 und 2004 schon einmal), sieht sich vor die Aufgabe gestellt eine Reihe von Reformen im lettischen Bildungssystem durchzuführen. Neben dem Wunsch vieler kleiner Gemeinden, auch die relativ kleinen Schulen zu behalten, und dem Wunsch der Lehrerinnen und Lehrer nach höheren Löhnen und besseren Fortbildungsmöglichkeiten könnte auch eine Verlängerung des Schuljahres auf dem Arbeitsplan stehen.

Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung offenbarte außerdem bisher ungeahnte Schwächen des lettischen langen Sommers: dieses System trage dazu bei, die sozialen Unterschiede noch zu verstärken: bei sehr langen Lernpausen sollen demzufolge besonders das mathematische Verständnis und die Lesefähigkeiten nachlassen; das wurde damit erklärt, dass Kinder in besser gestellten Familien in den Ferien auch Museen besuchen, an Ferienlagern teilnehmen, oder Bücher lesen. Diese Studie wird bestätigt von den PISA-Studien, die einen großen Unterschied der Leistungen von Schülern aus wirtschaftlich besser gestellten und schwächeren Regionen feststellt - wie hoch der Prozentsatz an schlechter gestellten Familien ist, darauf weist schon die Tatsache hin dass 39% der Kinder (83.000) ein kostenloses Mittagessen in der Schule wahrnehmen ("IR" 13.4.16).

Ergebnisse einer Umfrage zu Freizeitaktivitäten lettischer
Jugendlicher (Quelle: Bildungsministerium)
Auch einige Unterrichtsfächer gelten als ausbaufähig; so der Sportunterricht - auch in Lettland gilt mangelnde Bewegung inzwischen auch bei Jugendlichen als Gesundheitsrisiko - daher mischte sich letztes Jahr auch schon der Gesundheitsminister ein, und schlug ebenfalls eine Verlängerung des Schuljahres vor (siehe: e-klase); allerdings hätte er die langen Sommerferien vielleicht nicht als "Überbleibsel der Sowjetzeit" brandmarken sollen - das stieß auf wenig Gegenliebe.

Voll gepackter Stundenplan
Aber ein Ausbau von Unterrichtsstunden ist im gegenwärtigen System kaum möglich: der Stundenplan reicht sowieso schon bis um drei Uhr nachmittags, danach gehen viele noch zum Sporttraining, Tanzen, zur Musik- oder Kunstschule, und schließlich noch Hausaufgaben.
Ferienzeiten in Europa
Auch neue Herausforderungen und Themen müssten zukünftig stärker eingebaut werden: von der Arbeit mit neuen Medien, Verkehrserziehung, Gesundheitsfragen. Weiterbildungen sollen ausserdem mehr Flexibilität der Unterrichtsmethoden erbringen - mehr interaktives Lernen für die Schüler, weniger Stress für Lehrerinnen und Lehrer.
Es gibt auch Schuldirektoren, die einer Verlängerung des Schuljahres schon deshalb zustimmen, weil es lettische Privatschulen sind, die zusätzlich zum Lehrplan auch bisher schon künstlerische Workshops, wissenschaftliche Untersuchungen in der Natur, oder Englisch-Sonderkurse anbieten.

Gegner einer Änderung argumentieren u.a. damit, dass die Sommerferien in Estland und Finnland, wo regelmäßig gute Schulleistungen festgestellt werden, nur wenige Tage kürzer sind als in Lettland. Andere wiederum wenden ein, es mache wenig Sinn, während der heißen und schwülen Zeit in Schulklassen zu sitzen, wenn es dort auch keine Ventilatoren oder Klimatisierung gäbe - diese Ansichten kann man wohl nur im hohen Norden Europas haben.
Und es gibt auch noch ein ganz anderes Argument: Eltern und auch Lehrer, die lange Schulferien dazu nutzen, um zusätzliche Jobs anzunehmen, etwa im Tourismus, um ihr eigenes Budget aufzubessern.
Die ersten Versuche, das Schuljahr in Lettland zu verlängern, wurden bereits unter Bildungsminister Māris Vītols (im Amt 1999 - 2000) gemacht; auch 2011 sahen die Pläne schon mal sehr konkret aus (siehe Blog). Im Moment deutet noch nichts darauf hin, dass es diesmal durchgesetzt werden wird - zu populär sind die langen Ferien bei den Schülern, zu unpopulär die Politiker.Ein echtes "Sommerlochthema".

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