20. April 2017

Der Liederhauer

Skulpturen des "Dainu kalns" (Liederbergs) auf
dem Gelände der Burg Turaida nahe Sigulda
Dieses Highlight eines Lettland-Besuchs möchte kaum ein Tourist verpassen mögen:spätestens wenn der Jugendstil in Riga besichtigt, der Stop in Rundale absolviert, und der Strand von Jūrmala erkundet ist, wenden sich die Wege nach Sigulda, zur Gutmanis-Höhle und zum Nationalpark im Gauja-Tal. Dort, einen kurzen Spaziergang nur von der Burg Turaida entfernt, stehen die bekanntesten Werke des lettischen Bildhauers Indulis Ranka: 26 Skulpturen mit Themen der lettischen Liedersammlungen, der "Dainas". Kein in staatlichem Auftrag erstelltes Pathos ist hier zu besichtigen - obwohl bereits 1985 eröffnet.
Indulis Ranka, vor seiner
Werkstatt in der Amulas iela
Die Idee entstand aus dem Briefwechsel des Bildhauers mit der damaligen Direktorin des Heimatmuseums in Sigulda, Anna Jurkāne. Fünf Jahre lang wurde überlegt, welche Themen, welche Aufstellungsorte, welche Szenen am besten im Einklang mit der umgebenden Natur stehen würden. Dann allerdings wurde dieser symbolische Ort lettischen Kulturguts auch zum Treffpunkt derer, die Freiheit und Unabhängigkeit im Sinn hatten. Die Eröffnung fand am 7. Juli 1985 statt, zum 150. Geburtstag von Krišjānis Barons, dem Liedersammler, der den Dainas einen eigenen Schrank baute. 1988 fand das erste Folklorefestival "Baltica" hier statt, und erstmals nach langer Zeit war auch wieder die lettische Fahne gezeigt. 

Indulis Ranka beschäftigte sich, nachdem er in den 1950iger Jahren die Kunsthochschule abgeschlossen hatte, zunächst mit Malerei und Grafik. Aus dem Jahr 1966 sind seine ersten Skulpturen aus Granit bekannt. "Wenn unwiderstehliche Kraft auf unbewegliche Objekte trifft" - dieses Motto hat eine Webseite gewählt, die sein Andenken ehren will. Und tatsächlich: manche seiner Werke sehen so aus, als hätten riesige Finger einfach mal ein wenig im weichen Ton gespielt und so Figuren geformt. Können Steine schmelzen? Wenn, dann unter den kräftigen Händen von Indulis Ranka, möchte man meinen - wer jemals gesehen hat, mit welch riesigen Baggern und Baufahrzeugen die Steine bewegt und herbeigeschafft werden müssen, aus denen Ranka dann Kunstwerke schuf, wird verstehen was künstlerische Ideen zu bewegen vermögen. Er schuf aber tatsächlich von vielen seiner Skulpturen vorher kleine Plastilinmodelle, um die künstlerischen Ideen möglichst bis zur Fertigstellung optimieren zu können.

Indulis Ojārs Ranka, geboren 1934 in Jaungulbene in Vidzeme, beteiligte sich auch an vielen internationalen Symposien vor allem nach Norwegen, Moldawien, auch in Japan. Kennzeichnend für ihn sind die Betrebungen, Freiluft-Skulpturengärten zu errichten - so auch nahe seiner Werkstatt in der Amulas iela im Rigaer Süden, nahe dem Fluß Mārupīte ("Akmeņdārzs"). Dort, öffentlich ausgestellt und frei zugänglich, geschah es nicht selten, dass Kinder seine Skulpturen erklimmen oder auf andere spielerische Art und Weise "gebrauchten". Da konnte es leicht passieren, dass der Künstler selbst, leise den nur mit einem losen Lattenzaun verschlossenen Zugang zu seinem Atelier öffnend, plötzlich schmunzelnd daneben stand. Zweckentfremdung, Entehrung der Kunst? Nein, so etwas wäre Ranka nie in den Sinn gekommen - sein geistiges Gut und Inspiration war des Volkes, und seine Kunst sollte es wohl auch sein. 
Indulis Ranka starb am 13. April 2017 in Riga, zwei Tage vor seinem 83. Geburtstag.

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