12. Juli 2017

Mensch weniger, Mensch woanders

Während die lettische Regierung lange Zeit zögerte offiziell zuzugeben, dass die Bevölkerungszahl Lettlands auf unter 2 Millionen gesunken ist, erregen inzwischen Jahr für Jahr die Zahlen von EUROSTAT Aufsehen. Aus der neuen Statistik ist zu entnehmen, dass die Einwohnerzahl Lettlands von 2,19 Millionen im Jahr 2008, über 2,0 Millionen im Jahr 2014 inzwischen bei 1,95 Millionen Menschen angekommen ist.

Diesen Zahlen zufolge liegt die Einwohnerzahl Lettlands heute also bei 88,9% derjenigen vor 10 Jahren. Zum Vergleich: auch in Litauen sind es mit 88,6% ähnliche Zahlen. Estland hat allerdings nur einen Rückgang auf 98,3% zu verkraften - hier macht sich vermutlich bemerkbar, dass ein Job in Finnland nicht unbedingt auswandern bedeuten muss.

In den deutschsprachigen Medien erregen diese Statistiken keine größere Aufmerksamkeit; in der Regel liegt der Fokus entweder nur auf dem eigenen Land, oder die Meldungen werden mit positiven Assoziationen belegt (z.B. "Wachstum in der EU", wie beim "Standard"). Deutschland "tröstet" sich auch mit einem Blick auf das "Baltikum", wenn es um Geburtenraten geht: "... wurden 2015 in Litauen 45 Prozent weniger Kinder geboren als noch 1990. Einen ähnlichen Einbruch erlebten auch Lettland und Estland, wo die jährliche Zahl der Neugeborenen zwischen 1990 und 2015 um 42 beziehungsweise 38 Prozent zurückging." (Tagesspiegel)

In Lettland gibt es nur wenige Pressekommentare. In den Diskussionsforen allerdings werden die meisten diese Nachricht wohl mit einem "traurig" markieren, denn der Bevölkerungsrückgang ist ja schon länger bekannt: als Ergebnis verstärkter Arbeitsmigration (Lohngefälle in Europa) und negativer Geburtenstatistik. Der öffentlich-rechtliche lettische Kanal LSM fasst es aus etwas längerfristiger Perspektive zusammen: seit 2010 sind es 170.000 Menschen weniger in Lettland (minus 8%). 113.000 davon wanderten in andere Länder aus, 57.000 kamen noch durch das negative Geburtensaldo hinzu.

Seit 1990 haben Lettland etwa 30% der Einwohner verlassen. Dazu kommt noch die Landflucht: nur in Riga stieg die Einwohnerzahl im vergangenen Jahr leicht: um 0,3%. In den anderen Regionen ist der Rückgang dramatischer: Vidzeme -2,1%, Kurzeme -1,9%, Zemgale -1,6%, Latgale 2,3%. Vjačeslavs Dombrovskis, früher mal Wirtschafts- und auch Bildungsminister, heute Chef der privaten Politikberatungsfirma "Certus", fällt jetzt, wo er das schwierige politische Geschäft hinter sich gelassen hat, gern mit einfachen Prognosezahlen auf: "Lettland wird bis 2025 90% des EU-Bruttosozialprodukts pro Einwohner erreichen" - so das Motto seiner Firma. Eine weitere Prognose aus seiner Feder: "Bis 2030 wird sich die Einwohnerzahl Lettlands auf 1,9 Millionen stabilisiert haben" (Diena / Delfi). Daran glauben wohl vor allem diejenigen ganz fest, die ordentlich daran mitverdienen wollen. 

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