14. November 2017

Zuhörer, Inspirator und Wortkünstler

Die meisten Deutschen können wohl keine zwei Zeilen aus Goethes "Faust" zitieren - er hat den gesamten Text ins Lettische übersetzt. Wer sich mit ihm unterhalten hat musste immer damit rechnen, dass er mitten im Gespräch in andere Sprachen wechselt, frei aus Werken deutscher Klassiker zitiert, oder dem Gast aktuelle Fragen seiner vielen Übersetzungsprojekte darlegt. Es ist ihm zu wünschen, dass nicht nur seine zwei in lettischer Sprache erschienenen Gedichtsammlungen ("Re(h)abilitācija" 2004, "Dāvinājumi» 2008) noch mehr Leserinnen und Leser in Deutschland finden, sondern auch seine vielfältigen Erinnerungen an Ereignisse zwischen Deutschland und Lettland. Am 13. November verstarb der Übersetzer, Dr. der Philologie, Sprachkundler und Dichter Valdis Bisenieks im gesegneten Alter von 89 Jahren in Riga.

Ohne ihn wäre wohl die Zahl der in lettischer Sprache herausgegebenen Werke der Weltliteratur um einiges geringer. Valdis Bisenieks wurde 1928 in einer Beamtenfamilie geboren, sein Vater arbeitete im lettischen Landwirtschaftsministerium. Erst nach dem Krieg, 1948, konnte er die Mittelschule abschließen, bis 1953 studierte er Philologie, arbeitete an verschiedenen Hochschulen, von 1965 bis 1990 an der Lettischen Universität. "Als ich mein Studium 1948 begann, konnte ich auf der Universität noch Schillers Wilhelm Tell lesen", äusserte er sich einmal über die Rolle der Germanistik im Sowjetsystem (sie wurde an der Universität Riga 1953 abgeschafft). In den späteren Jahren stellte Bisenieks dann "marxistische Literaturverflachung" fest.
Er beschäftigte sich mit der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Phonetik, der Syntax der deutschen Sprache und linguistischen Analysen. Jahrelang arbeitete er an mehreren Ausgaben von Lexika Deutsch-Lettisch (letzte Neuausgabe 2007), und übersetzte außer aus dem Deutschen auch vom Lettischen ins Deutsche, aus dem Italienischen, englischen und sogar altindische Sprachen des Sanskrit. Russisch beherrscht er selbstverständlich ebenfalls, Ukrainisch konnte er zumindest lesen.

"Im Alter von 16 Jahren las ich Thomas Manns "Tonio Kröger" in Deutsch, und von da an wollte ich Übersetzer werden," so erzählte er einmal. An dem deutsch-lettischen Wörterbuch arbeitete er nach eigenen Angaben jahrelang in einer eigens angemieteten Fischerhütte in Carnikava, nördlich von Riga (Diena). Er übersetzte die Hinduistischen Lehren der Bhagavad Gita, das "Stundenbuch" von Rainer Maria Rilke, die Livländische Reimchronik, Arnold Zweigs "Sergeant Grischa", Werke von Thomas Mann und Hermann Hesse, sowie -  nach eigener Einschätzung die schwierigste Übersetzerarbeit - die "Göttliche Komödie" von Dante. Nachdichten sei wie ein Gemälde fälschen, sagte Bisenieks einmal; der Unterschied sei nur, dass man fürs Gemälde fälschen ins Gefängnis komme (Diena).

Den "Faust" ins Lettische zu übersetzen, das wagte vor ihm nur der große Rainis. "Die Version von Rainis klingt vielleicht schöner - meine ist präziser," kommentierte er selbst (TVNet). Rainis selbst dichte eher wie Schiller, meint Bisenieks, eben wie ein Idealist - Goethe dagegen fehle jedes Pathos. - Ein Werk von Rainis wiederum übersetzte Bisenieks ins Deutsche - genauso wie Knuts Skujenieks, Amanda Aizpuriete, und die "Landvermesserzeiten" der Gebrüder Kaudzīte. Von einer Journalistin wurde Bisenieks einmal "Ritter der Worte" genannt. Er selbst drückte es so aus: "Ich habe festgestellt dass ich die Fähigkeit habe die Tropfen im Ozean zu sehen." (lsm3)

Manchen Menschen sagt man nach, das absolute Gehör zu haben. Jede Sprachveriante, Dialekte oder andere Besonderheiten war er gewohnt aus langen Gesprächen mit vielen Menschen zu nehmen - um nicht nur von Angelesenem abhängig zu sein. So hat er sicher nicht nur von seinen beiden Söhnen Armands (heute Architekt) und Ingmārs (Historiker) gelernt, dass die lettische Jugend sich heute nicht nur anders ausdrückt - sondern sogar die Worte anders betont; der Einfluss des Englischen, wie Bisenieks im Interview einmal sagte.

Seit 1992 war er der Präsident des Rotari-Klubs in Riga. Für die Übersetzung von Dantes "Göttliche Komödie" ins Lettische bekam er 2000 einen Preis von der Botschaft Italiens verliehen, 2008 erhielt er in Lettland den Literaturpreis für sein Lebenswerk. Logisch, dass Bisenieks auch Ehrenmitglied in der Dante-Alighieri-Gesellschaft Lettlands war.

Der leidenschaftliche Pfeifenraucher Valdis Bisenieks lebte die letzten 10 Jahre seines Lebens am Stadtrand Rigas (Dreiliņi). "Nahe am Vaterhaus", wie er sagte (TVNet). Er hielt sich mit Jogging fit - angefangen hatte er damit schon in den 1960iger Jahren, damals wegen Asthmabeschwerden. Nun beschrieb ihn die Presse eher als "leicht erkennbar an der etwas altertümlich wirkenden Sportkleidung" (der "laufende Professor", siehe DIENA). Wenn er morgens früh um 11 Uhr sein Laufpensum absolvierte, war der wichtigeste Teil des Tages bereits gelaufen - "Ich bin ein früher Vogel", pflegte er zu sagen, "ich stehe auf wie früher die Bauern, um drei Uhr." Medikamente habe er fast sein ganzes Leben nicht gebraucht.
Gefragt, ob er an die Wiedergeburt glaube, antwortete er nicht mit nein (Kas Jauns). Ein Entwurf für ein Aussprache-Lehrbuch für Kinder blieb bisher unveröffentlicht.

"Lai vieglas smiltis" - "leichten Sand" wünschen Lettinnen und Letten traditionell denjenigen, die sich nach "Aizsaule" verabschieden. Ich wünsche ihm, sollte er es irgendwo brauchen, noch ein Glas guten Rotwein und einen Kräuterschnaps dazu.
Über den Wert eines guten Buches schrieb er die folgenden Zeilen (zitiert nach Jumava):
Laba grāmata ir tev kā partnere - ein gutes Buch ist Dir wie eine Partner/in,
Dažai mīklai tā atnāk atbilde - für allerlei Rätsel findet sich eine Antwort.
Laba grāmata ir tev kā uzticams draugs - ein gutes Buch ist Dir wie ein/e vertrauensvoller Freund/in,
Ar kuru kopā ik brīdis ir jauks - mit dem/der zusammen jeder Moment eine Freude ist.
Un bezgalīgs domu un darba lauks - und ein endloses Gedanken- und Arbeitsfeld.

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