28. März 2018

In Lettland kann man offen reden

Gundars Āboliņš ist ein viel beschäftigter Mensch. Früher einmal am Dailes Theater und Jaunais Rigas Theater, seit 2015 als Schauspieler im Ensemble des Münchener Kammertheaters. Seit mehr als 10 Jahren ist Āboliņš auf vielen internationalen Theaterfestivals zu sehen, Stücke wie "Sonja" oder "Väter" (Regie in beiden hatte Alvis Hermanis) sind da beinahe schon Klassiker. Für seinen Beitrag zum lettischen Theater wurde er in Lettland vielfach ausgezeichnet. Auch in einigen Filmen ist er zu sehen, so u.a. in „Midsummer Madness“ (Regie: Alexander Hahn, 2006) oder „Die kleinen Bankräuber“ (Regie: Armands Zvirbulis, 2008).

Nun sorgt eine Schlagzeile der lettischen Zeitung "Latvijas Avize" für Aufsehen. Oder sollte man sagen: hier wird versucht einen populären Schauspieler politisch einzuspannen? "In Lettland kann man offen reden - in Deutschland eher nicht", so ist ein Interview mit Gundars Āboliņš überschrieben (LA 24.3.2018).

Ohne Zweifel ist Āboliņš ein interessanter Gesprächspartner, um nach Stimmungen und Mentalitäten zwischen Deutschland und Lettland zu fragen. Er gilt eigentlich als eher zurückhaltend, seine Aussage "ich bewerte Kollegen nach ihren professionellen Fähigkeiten, nicht nach ihrer sexuellen Orientierung" ist für lettische Verhältnisse mutig.
Seine Stücke spielt er, ganz nach Bedarf, in Lettisch, Deutsch, oder auch in Russisch. Er war außer in München auch schon in Köln, Wien und Zürich tätig. Kann Āboliņš also als "Kronzeuge" für Demokratiemängel in Deutschland gelten, wie es die erwähnte Schlagzeile andeutet?

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Wer das Interview genau liest, wird nur einen Punkt finden, an dem der lettische Schauspieler Kritik an "deutschen Verhältnissen" übt: die in Lettland heftig umstrittene "Instanbul-Konvention" (siehe Blogbeitrag), also die Bemühungen der EU-Länder etwas gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu tun.Hier stimmt Āboliņš der in Lettland gern gehörten Meinung zu, die Konvention habe "mit der Eindämmung von Gewalt hat diese Konvention gar nichts zu tun." Sofort legt die "Latvijas Avize" nach: "Ist es denn sehr schlimm mit dem 'Genderismus' in Deutschland?" Hier formuliert der Schauspieler zunächst defensiv: "Ich bin ja nur Gast in Deutschland, und möchte mich in die inneren Angelegenheiten nicht einmischen." Und dann weiter: "es gibt viele Menschen, die nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten haben sich zu äußern. Es gibt immer eine vorherrschende Meinung, die scheinbar 'richtige', und wenn Du etwas abweichendes äußerst, dann riskierst Du als homophob, als Rassist, oder als Rechtspopulist beschimpft zu werden. Eine offene und freie Diskussion ist in Deutschland sehr erschwert, viel mehr als momentan bei uns in Lettland."

Die "Latvijas Avize" stellt Āboliņš vor als "jemand der kein Fernsehen schaut, und keine Zeitung liest, aber trotzdem weiß was los ist." Beim Blick auf seine Facebook-Seite lassen sich aber keineswegs politische Statements finden, wie die Zeitung es darstellt - eher Werbung für seine Schauspielkurse, die er in Riga anbietet. Und auch im Interview deutet Āboliņš einiges an, das ihm in Deutschland offenbar besser gefällt als im heimischen Riga. "Bei uns kannst Du abends mit der Straßenbahn nirgendwo mehr hinkommen. Das bedeutet: die Gäste sind nach der Aufführung so schnell es geht verschwunden, auch die Schauspieler. In Deutschland aber sitzen wir noch zusammen, auch im Kollegenkreis, und diskutieren dies oder jenes. Und allen Angestellten am Theater wird noch ein vernüftiges Essen geboten." - Auch Fahrradtouren unternimmt der lettische Gastschauspieler offenbar gern in München.

Wieder einmal gilt: Meinungsfreiheit ist meist die Freiheit des Andersdenkenden. Und Meinungsfreiheit in Lettland bedeutet sicher nicht, wenn hemmungslos über Schwule und Lesben, Russen, Flüchtlinge und Muslime hergezogen werden kann - es wird lange dauern, bis Lettinnen oder Letten wagen bei solchen Äußerungen offen zu widersprechen.

Vielleicht muss das Āboliņš-Interview auch unter ganz anderen - lettisch innenpolitischen - Gesichtspunkten gesehen werden. Als 2015 sein Engagement in München bekannt wurde, fragte die lettische Presse: "Geht Āboliņš nun ins Ausland?" - Und das in einer Atmosphäre, wo jeder der grundlos weggeht beinahe als "Vaterlandsverräter" gilt, wenn man sich mal die regierungsamtlichen Stellungnahmen und das ansieht, was "vox populi" so im Internet äußert. Das Lettische im Ausland bewahren, und zurückkehren wenn es eben geht, das gilt als Maßstab für die "echten Letten".
Nun also der Rückzieher. Die Betonung nur "zu Gast in Deutschland" zu sein, und "sich nicht in alle Dinge einmischen zu wollen, da das die Deutschen selbst entscheiden müssen." Auch die Hinweise darauf, der angenommenen lettischen Mehrheitsmeinung eben näher zu sein als der deutschen. Schließlich bemühen sich die lettischen Behörden inzwischen, jedem rückkehrwilligen Letten (Lettin) umfangreiche Unterstützung zu geben. Das lettische Außenministerium schätzt, dass 370.000 Lettinnen und Letten inzwischen im Ausland leben. Also gilt: "Viss normāli Latvijā" - alles wie immer, zu Hause in Lettland.

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