11. März 2018

Lettische Literatur in deutscher Übersetzung - eine Leerstelle

Lettische Literatur - lost in the rain?
Wer aktuelle lettische Literatur in deutscher Übersetzung sucht, der sucht gegenwärtig lange - da wird vermutlich auch auf den kommenden Literaturmessen in Deutschland wenig präsentiert werden.
Es beginnt schon bei der Suche nach Verantwortlichen: das lettische Literaturzentrum (Latvijas Literatūras centrs - LLC), 2002 gegründet, aber weitgehend vom finanziellen Wohlwollen des lettischen Kulturministeriums abhängig; es existiert nur noch virtuell im Internet - Anfang 2016 beschloss die Mitgliederversammlung das LLC aufzulösen, die vom LLC herausgegebene Literaturzeitschrift "Latvju teksti" wurde im gleichen Jahr eingestellt (lsm). Dem LLC wurde vorgeworfen, mehrere 10.000 Euro nicht korrekt abgerechnet zu haben.

Drei verschiedene Organisationen sollten nun die Aufgaben des bisherigen LCC übernehmen, hieß es (lsm): das "Internationale Schriftsteller- und Übersetzerhaus ("Starptautiskā Rakstnieku un tulkotāju māja") in Ventspils, der Lettische Verlegerverband (Latvijas Grāmatizdevēju asociācija LGA), und der lettische Schriftstellerverband (Latvijas Rakstnieku savienība).

Lettische Übersetzungsförderung,visuell erklärt
Auf diesen drei frisch neu gestalteten Webseiten läßt sich nun allerlei hübsch-gestaltete Info finden - aber sind deutschsprachige Übersetzungen dort zu finden? Fangen wir mal bei der Schriftstellervereinigung an. Das hier zusammengestellte ist wohl eher fürs "Heimatpublikum" gedacht: hübsche optische Effekte, ein bischen Basisinformation über verschiedene Schriftsteller/innen - aber bei den Übersetzungen findet sich bisher nur Leerstellen. Weder bei Dace Rukšāne ist ihr "Warum hast Du geweint" (Buch von 2002, deutsch übersetzt 2007) zu finden, ebenso kein Hinweis bei Gundega Repše auf ihr "Unsichtbare Schatten" (Buch von 1996, Übersetzung 1998), und auch totale Fehlstelle bei Laima Muktupāvela (seit 2012 Laima Kota), deren Buch "Das Champignonvermächtnis" (Buch von 2002, Übersetzung von 2008) schon einmal viel Aufsehen erregte. Hier liegt der Schwerpunkt offenbar nicht auf Informationen für Nicht-Lettischsprachige. Da passt es ins Bild, dass sogar der Menüpunkt "Support for Translators" nur auf eine lettischsprachige Seite führt - und dort finden sich fünf Projekte für 2016: eins Italienisch, eins Norwegisch, eins Spanisch, eins Kroatisch, und eins Russisch. In der neuesten Liste für 2018 findet sich in der langen Reihe der Projekte sogar nur ein einziges deutschsprachiges.

Die Seite "Latvianliterature.lv" hat noch Hinweise auf immerhin 7 Büchern in deutscher Sprache (davon drei aus der Schweiz und Österreich) zusammenkratzen können: zum Kinderbuch "Die wilden Piroggenpiraten" (im Fischer-Verlag seit 2012), die Neuauflage der "Untiefen des Verrats" von Amanda Aizpuriete (erstmals erschienen deutsch 1993, 2017 in der Schweiz neu aufgelegt), das Projekt "Werde zum Gespenst - Gedichte aus Lettland", erschienen 2016 im Verlag Wunderhorn, und auch die Lebenserinnerungen der kürzlich leider verstorbenen Valentina Freimane "Jensseits von Atlantis" (seit 2015 im Wallstein-Verlag - die Autorin schrieb selbst auch in Deutsch). Auch der zweisprachige Band von Knuts Skujenieks "Samen im Schnee" ist hier zu finden (2016 bei Wieser in Österreich erschienen), dann noch Alise Tīfentāle "Im Sog von Riga" (erschienen bei "Baltart" in der Schweiz), und auch noch "Worüber schweigen Freunde", erschienen schon 2012 in der Edition Bodoni. 

Wie sieht es auf Seiten der Verleger aus? Auch bei der LGA finden sich keine fremdsprachlichen Informationen. Im lettischen Teil gibt es zwar eine "Bücher-Datenbank" ("Grāmatu datu bāze"), die aber wohl eher die aktuell im Handel befindlichen Neuerscheinungen der hier versammelten Verlage umfasst, als irgendwelche Übersetzungen. Unter "Wir über uns" verkündet die LGA stolz die Teilnahme auf Buchmessen in "Leipzig, Jerusalem, Warschau, Madrid, Moskau" - sicher eine bunte Zusammenstellung für schöne Geschäftsreisen.

Und das Schriftstellerhaus in Ventspils? Zwar wird eine Menüführung in gleich fünf Sprachen angeboten - in Deutsch kommt man schnell entweder zu einer Email-Adresse für ""weitere Fragen", oder einem Antragsformular für einen einmonatigen Aufenthalt in Ventspils. Detail-Informationen, auch Statistiken über die vergangene Arbeit gibts nur in Lettisch. Wer tief ins Lettische eintaucht findet beim Blick auf die Liste der Literat/innen, die sich gern einen Aufenthalt an der lettischen Ostsee bezahlen lassen, überraschend viel Deutsches: im Archiv zähle ich ganze 63 "Stipendiat/innen" aus Deutschland, darunter auch für 2018 mit Christiane Bauermeister und Franziska Zwerg schon zwei. Ich gönne allen 63 Kreativen selbstverständlich das schöne Ventspils - aber irgendwie nutzen diese Aufenthalte offenbar nicht Übersetzungen aus dem Lettischen. Manja Präkels immerhin schreibt über ihre Eindrücke in Lettland.

Lettischer Übersetzer-Arbeitsplan:
vorerst weitgehend Englisch
Weiter geht die Suche. Die lettische Tagespresse (Diena) berichtet von 43 Übersetzungsprojekten mit finanzieller Unterstützung für 2018: 22 davon englisch, des weiteren albanisch, koreanisch, belorussisch, estnisch, spanisch, ungarisch, italienisch, armenisch, ukrainisch, kroatisch, mazedonisch, arabisch und finnisch. Die Seite "LV100" feiert diese Anzahl sogar als "rekordhoch". Deutsch? Offenbar kein einziges. Lettische Literatur, von deutschen Verleger/innen ignoriert? Oder erst wahrgenommen, wenn die Werke auf dem englischen Markt Erfolg haben? Moment, fast übersehen: in einer zweiten Liste der aktuellen Projekte findet sich ein Gedichtband von Liene Langa, der offenbar im Wallstein-Verlag erscheinen soll (2500 Euro Unterstützung, ich hoffe das Buch erscheint dann auch bald).

Mehr kann eine Bestandsaufnahme im Moment wohl nicht bieten. Können wir den Manager/innen der lettischen Literatur, ganz zu schweigen von den Schreiber/innen, einen Vorwurf daraus machen, dass für sie offenbar der deutsche Markt völlig unwichtig ist? Und das - nur um es nicht zu vergessen - wo bei der kommenden Buchmesse London auch Litauen und Estland dabei sind - in den beiden Nachbarländern fehlt es an Übersetzungen ins Deutsche keinesfalls.
Wer auf den bevorstehenden Buchmessen in Deutschland Lettisches sucht, sollte nicht allzu überrascht oder schockiert sein NICHTS DEUTSCHSPRACHIGES aktuell zu finden. 

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