23. Mai 2018

Viel Pathos um den Heldenring

Einer der neuen Spielfilme, die im Jubiläumsjahr 2018 in Lettland in die Kinos kommt, ist "Der Ring des Namejs" von Regisseur Aigars Grauba. Es geht hier um die "Semgaller" (lett. Zemgale), der südliche Teil des heutigen Lettland. Zwar mögen manche die Semgaller eher als "nördlicher Stamm der Litauer" bezeichnen - das wird aber sicherlich auf den Widerspruch der Menschen aus dieser Gegend stoßen. Jedenfalls geht es um eine Zeit, als es noch nicht "die Letten" gab, sondern viele kleine Stämme und Lebensweisen. Und es gab die Kreuzritter, die Anfang des 13. Jahrhunderts nach Lettland einfielen - und die "missionieren" wollten, die angetroffenen Einheimischen möglichst christlich taufen, und zu Verbündeten bzw. Untergebenen machen wollten.

Niemand weiss mehr genau zu sagen, warum ein bestimmter aus dieser Zeit stammende Ring zu den bekanntesten archäologischen Fundstücken in Lettland wurde: das typischem Flechtwerk auf der Oberseite und die eingezogenen Drähte sind sein Kennzeichen. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er als "Ring des Namejs" (oder auch: Nameisis / Nameise / Nameyxe) bekannt. Namejs als einger der Anführer der Semgallen - das ist mehrfach historisch belegt - es gab ihn also wirklich; er schlug Ende des 13. Jahrhunderts, zusammen mit litauischen Verbündeten, ein paar erfolgreiche Schlachten gegen die Kreuzritter (siehe: Schlacht bei Aizkraukle).
Es waren ja auch tatsächliche archäologische Fundstücke: zum Beispiel am Burgberg von Daugmale (Grabungen in den 1930iger Jahren). Damals fand man heraus, dass dieser Ring nicht nur einfach gegossen, sondern mit feinen Silberdrähten verflochten war - also das Meisterstück eines guten Handwerkers war. Die Ringe wurden so bekannt und beliebt, dass viele von ihnen sogar aus den wissenschaftlichen Instituten heraus, bald nach den Ausgrabungen, gestohlen wurden.

"Namejs" als Theaterspektakel - nach der Romanvorlage in den
1930iger Jahren auf lettischen Bühnen (Abb. "Jauna Gaita")
Es heißt auch: Letten in aller Welt erkennen sich gegenseitig am Namejs-Ring! Der Vater oder der Großvater schenkt ihn dem Sohn oder Enkel, wenn er auf dem Wege ist erwachsen zu werden. Ein Geschenk, um es nicht mehr vom Finger abzulösen. Eine der (vorläufig) letzten Motive auf dem lettischen Lats (2014 vom Euro abgelöst) war genau dieser Ring.

Archäologin Zenta Broka-Lāce weist allerdings auch darauf hin, dass der Namejs-Ring eigentlich nicht aus Semgallen stammt, nicht einmal von Daugmale. Er wurde nach Vorbildern aus Latgale gefertigt, dem heutige Osten Lettlands. Der erste "Namejs-Ring" kann schon deshalb nicht in Daugmale gefertigt worden sein, da Daugmale als zentraler Platz Semgallens zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert diente, die bei Daugmale gefundenen Ringe aber einer wesentlich späteren Phase entstammten, und zudem der Ort im 13. Jahrhundert nicht mehr besiedelt war (zur Zeit des Namejs). "Die Legenden um den Namejs-Ring wurde in den 1930iger Jahren aus eher politisch-ideologischen Gründen geschaffen, nicht auf wissenschaftlicher Basis", meint Broka-Lāce.

Filmplakat "Nameja gredzens"
Diese Legende wurde vor allem durch den Schriftstller Aleksandrs (eigentlich: Jēkabs) Grīns begründet, der 1918 Fragmente eines Romans „Ring des Namejs” publizierte.Dieser Roman wurde so populär, dass die lettischen Leserinnen und Leser nun fast mehr die Romanhandlung für Tatsache hielten als Aussagen von Historikern. Besonders nach dem 15.Mai 1934, als Präsident Ulmanis (der aus Semgallen stammte!) die Parteien verbot und sich selbst zum autoritären Herrscher (lett. vadonis = Führer) ernannte, wurde die Legende vom unbesiegbaren Helden aus Semgallen noch populärer.
Die Wirkung der Theaterfassung des "Namejs"-Romans, die 1935 Voldemārs Zenbergs ("Sauleskalns")  auf die Bühne brachte, beleuchtete 1973 die lettische Exilzeitschrift "Jauna Gaita" ausführlich; eine pompöse Aufführung mit 81 Schauspielern auf der Bühne und patriotisch aufgeblähten Texte, die auch von "Führern und Rettern des ganzen lettischen Stammes" schwärmte.

Wie dem auch sei - mit etwas weniger Pathos trägt ein Lette heute diesen Ring, um zu zeigen dass er Lette ist. Die lettische Hardrockband Skyforger widmete dem legendären Helden einen Song (Virsaitis Nameisis). Ein wenig eigenes Selbstbewußtsein muss eben zur Definition einer lettischen Identität sein - solange es nicht herabsetzend gegenüber Menschen anderer Herkunft gemeint ist, muss man es ihnen wohl lassen.
Die Legende von "König Namejs" - hier eingesetzt
für die lettischen Tourismuswerbung
Inzwischen ist der Namejs-Ring ja schon nicht mehr nur ein Symbol für vermeintliche historische Helden, sondern für alle Wechselbäder durch die Lettinnen und Letten im 20. Jahrhundert gehen mussten. Bis in die 80iger Jahre hinein durfte der Namejs-Ring in Sowjet-Lettland nicht verkauft werden - wer gute Beziehungen zu einem Schmuckhersteller hatte, bestellte ihn "privat". Wenn heute dieser Ring in den lettischen Touristenläden schon beinahe als Massenware angeboten wird - aus Sicht von Lettinnen und Letten bleibt, wenn schon nicht all die schönen Heldengeschichten, dann doch wenigstens der Ring etwas sehr Besonderes. Daher ist klar, dass auch der neue Kinofilm (engl. Titel "The Pagan King") in Lettland guten Zuschauerzuspruch haben wird.

Wer sich als Gast in Lettland ein klein wenig wie ein zemgallischer König fühlen möchte, der kann in Koknese eine Ausfahrt mit dem Boot "König Nameitis" buchen - für 8 Euro pro Person (Info). Wer sich aber als Souvenir einen entsprechenden Ring kauft, oder vielleicht geschenkt bekommt, wird sich vielleicht spätestens dann für die Mythen um den Ring des "Heidenkönigs" näher interessieren.

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